Christian Ulbricht
Christian Ulbricht ist viel herumgekommen - diese Bank steht in Tel Aviv. Nun will er in Deutschland bleiben...
Privat
Rückkehr nach Ostdeutschland
Gehen oder Bleiben?
Im Osten Deutschlands sinkt die Geburtenrate dramatisch, die Bevölkerung schrumpft. Doch nicht nur Rückkehr, sondern Dableiben wird zur Bewährungsprobe – für Identität, Demokratie und Alltag
Anke LübbertPR
04.06.2025
4Min

Ende Mai 2025 wurden die Landräte in drei Wahlkreisen in Mecklenburg-Vorpommern gewählt, konkreter gesagt, "nachgewählt", denn die wirklichen Erstwahlen fanden bereits Anfang Mai statt.

Aber nur in einem Landkreis gab es einen Sieger, der spontan über 50 Prozent gekommen ist. In den drei anderen traten zwei CDU-Kandidaten beziehungsweise ein parteiloser Kandidat gegen die AfD-Kandidaten und der einen Kandidatin zur Stichwahl an.

Eine Riesenaufmerksamkeit haben Landratswahlen selten, dabei ist es gar nicht so irrelevant, wer der Chef einer Landkreisverwaltung ist. Weil Politik auch lokal entschieden wird. Und weil von Wahlen immer auch eine Signalwirkung ausgeht.

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Vor kurzem habe ich mit dem Soziologen Christian Ulbricht übers Wiederkehren und Dableiben geredet. Er ist selber ein sogenannter "Rückkehrer", aufgewachsen in Jarmen in Vorpommern; dann Studium in Münster, Bielefeld, Berkley und Tel Aviv. Er leitete zwei Jahre lang das Greifswalder "Welcome Center", wo er anderen Rückkehrenden das Ankommen in Vorpommern erleichtern sollte. Zusammen mit seinem Team hat er sie bei der Job-, Kita- und Wohnungssuche unterstützt, erste Hilfe beim Umzug geleistet, solche Sachen.

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es ein massives Geburtendefizit. 2023 wurden weniger als halb so viele Kinder geboren (ca. 9700) wie Menschen gestorben sind (ca. 24.000). Um das auszugleichen ist bei Landes- und Lokalpolitikern vor allem eine Zielgruppe in den Fokus geraten: ehemalige Landeskinder, zwischen 25 und 40, die anderswo in Deutschland studiert haben oder ausgebildet wurden und nun zurückkehren könnten. Sehr gerne sollen sie die dringend nötigen Qualifikationen mitbringen und bestenfalls gut ausgebildete Partner und möglicherweise Kindern im Gepäck haben.

Es geht um Abtrünnige, Heimkehrende, die in die weit offenen Arme ihrer alten Heimat stolpern und wieder aufgenommen werden sollen. In den Städten und Dörfern, wo sie mal aufgewachsen sind, an deren öden Bushaltestellen sie morgens frierend auf den Schulbus warteten und denen sie nach dem Schulabschluss nicht schnell genug den Rücken kehren konnten.

In manchen Orten werden für diese umschwärmte Zielgruppe sogar Messen organisiert. In Greifswald und Neubrandenburg steht die Heimkehrer-Messe unter dem Motto: "Heimkehren ist immer möglich" und findet strategisch günstig am 27. Dezember statt, zwischen Weihnachtsbraten und Neujahrskater, also immer dann, wenn der obligatorische Weihnachtsbesuch in der alten Heimat ansteht.

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Der Höhepunkt der Heimkehrerbewegung habe in den Corona-Jahren gelegen, sagt Christian Ulbricht. 2021, 2022, als das 2000-Quadratmeter-Grundstück von Oma oder Opa in Pasewalk oder Löcknitz aus der Perspektive eines Bewohners von Berlin-Friedrichshain im Home-Lockdown plötzlich enorm an Attraktivität gewonnen hatte. Nein, nicht über die Rückkehrer wollte er reden - sondern über die Dableiber.

Er sagte, er habe einige Freunde, die in den letzten Jahren zurückgekommen seien, in die Nähe ihrer Familie. "In der Ferne idealisiert man die Heimat, wir versinnlichen sie, indem wir an Kohlrouladen denken und vergessen, wie es sich anfühlt, Angst davor zu haben, auf dem Heimweg verprügelt zu werden. Und wenn man denn zurück ist, fragt man sich nach einer anfänglichen Euphorie schnell, ob man hier denn wirklich bleiben will."

Für Christian Ulbricht fördert diese Frage eine ernsthafte und notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen Zugehörigkeit, mit dem, was wir Heimat nennen. Das Ergebnis ist offen für ihn. Schließlich entwickeln wir uns in der Ferne weiter. "Das Denken, wie üblich in der alten Heimat, ist mir unüblich geworden. Das habe ich allerdings erst richtig begreifen können, als ich zurückkehrte."

Viele der Rückgekehrten fragten sich nun, ob die Strände, Wälder und Nationalparks, die Nähe und Babysitterqualitäten ihrer zu Großeltern gewordenen Eltern wirklich den engen Jobmarkt, den fehlenden ÖPNV und die hohen Zustimmungswerte zu antidemokratischen Einstellungen wettmachten. "Ich kenne einige, die die Landratswahlen im Mai abwarten wollen, bevor sie sich entscheiden, ob sie wirklich dauerhaft bleiben wollen", sagte er neulich bei unserem Gespräch vor den Wahlen.

Landratswahlen als Seismometer für die Zukunftsfähigkeit eines Landstrichs - nun sind sie gelaufen. Kein Landkreis wird zukünftig von der AfD regiert. Stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass die Wähler von CDU, SPD, Grüne, FDP und anderen es in Vorpommern-Greifswald gemeinsam geschafft haben, eine AfD-Landrätin zu verhindern, schon ein positives Signal aussendet. Christian Ulbricht will sich dazu kein Urteil erlauben.

Er sieht es als Herausforderung, dass man in der alten, fremd gewordenen Heimat weder versucht, an das alte Heimat-Ich anzuknüpfen, noch dem Leben in der Ferne hinterhertrauert. Stattdessen gehe es darum, die verschiedenen Identitäten gewissermaßen zu fusionieren und daraus etwas Neues zu kreieren - auch durch Engagement für die Region.

"In Gesprächen merke ich, dass es vielen Rückkehrenden ähnlich geht wie mir. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass die alte Heimat, wenn man zuvor die Welt erkundet hat, ganz schön eng und klein geworden ist." Bleiben, sich engagieren und etwas Neues erschaffen oder gehen?

"Ich denke, dass man diese Entscheidung immer wieder neu treffen muss - unabhängig von Landratswahlen." Christian Ulbricht hat seine Entscheidung getroffen. Er bleibt - und leitet nun das Regionalzentrum für demokratische Kultur in Vorpommern-Greifswald.

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Kolumne

Christian Kurzke

Christian Kurzke stammt aus Ostdeutschland und arbeitet heute bei der Evangelischen Akademie in Dresden. Anke Lübbert wurde in Hamburg geboren, lebt jedoch seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Greifswald. Beide schreiben sie im Wechsel über Politik und Gesellschaft aus ihrer Sicht. Alle zwei Wochen