Erika Mann und W. H. Auden, 1935
Wystan Hugh Auden war ein großer Dichter - und kompromisslos gegen die Nazis. 1935 heirateten er und Erika Mann, pro forma. Sie erhielt durch ihn den britischen Pass
Alec Bangham / National Portrait Gallery, London
Reformationstag
Und immer zerrte der Teufel
Martin Luther war ein zerrissener Mensch, Glaube und Verzweiflung lagen eng beieinander. Daran erinnert das Luther-Gedicht von W. H. Auden. Es zeigt, wie sehr die Reformation uns alle geprägt hat


(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
31.10.2025
3Min

In einigen Bundesländern ist heute Feiertag. Reformationstag. Für uns alle ein wichtiger Tag. Um eine Ahnung von der kulturellen Bedeutung der Reformation zu geben, möchte ich hier ein kaum bekanntes Gedicht eines der größten Lyriker des 20. Jahrhunderts vorstellen. Es heißt schlicht "Luther".

Geschrieben hat es Wystan Hugh Auden (1907-1973) im Frühjahr 1940.

Wirklich übersetzen lässt sich dieses Sonett – mit Reimen und Rhythmus – nicht. Ich habe es probiert und hoffe, dass es zumindest eine Annäherung an diesen großen Dichter möglich macht.

Luther:
"Das Gewissen aufgespannt, um auf den Donner zu horchen,

sah er den Teufel eifrig, geschäftig in dem Wind

über dem Läuten der Kirchtürme und dann unter

den Türen der Nonnen und Doktoren, diesen Sündern.

Welcher Apparat könnte das Unheil abwenden,

das Dornengestrüpp menschlicher Fehler lichten?

Das Fleisch war ein schweigsamer Hund, der seinen Herrn beißt,

die Welt ein stiller Teich, in dem ihre Kinder ertrinken.

Die Lunte des Gerichts zischte in seinem Kopf:

"Herr, räuchere diese süßen Bienen aus ihren Stöcken.

Alle Werke, Großen Männer, Gesellschaften sind schlecht.

Der Gerechte wird aus Glauben leben …", schrie er voll Furcht.

Und die Männer und Frauen dieser Welt waren froh,

die sich noch nie gesorgt hatten oder gezittert in ihrem Leben.

Dieses Gedicht ist mitten im Zweiten Weltkrieg entstanden, einer auch für W. H. Auden entscheidenden Zeit.

Ein Jahr zuvor, kurz nach Kriegsbeginn, war er von Großbritannien in die damals noch nicht am Krieg beteiligten USA umgezogen. Das hatte ihm in seiner Heimat erbitterte Anschuldigungen eingebracht. Dabei war er ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten. Unter anderem hatte er, der schwule Dichter, 1935 die ihm bis dahin persönlich unbekannte Tochter von Thomas Mann, Erika, geheiratet. Ihr drohte die Ausbürgerung, und dank Auden erhielt sie nun einen britischen Pass.

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In den USA schloss er sich wieder der Kirche seiner Kindheit an und erwies sich bald in einer Vielzahl von Essays und Langgedichten als christlicher Dichter und Denker. Damit setzte er sich von der "Prüderie der Gebildeten" ab, "für die theologische Begriffe weitaus schockierender sind als jedes Schimpfwort".

In seiner Frömmigkeit war Auden ein Anglo-Katholik, theologisch zeigte er großes Interesse an den protestantischen Meisterdenkern seiner Zeit: Karl Barth, Paul Tillich und Reinhold Niebuhr. Zeitlebens – auch aufgrund seiner Homosexualität – von tiefen Einsamkeitsgefühlen erfüllt, fühlt er sich zu Sören Kierkegaard und dessen christlichem Existentialismus hingezogen. Dieser mag ihn auch an Martin Luther interessiert haben, dessen Reformation ihm ansonsten fremd gewesen sein muss: Auden hatte Gottesdienste am liebsten, in denen es keine Predigt gab.

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Audens Luther-Gedicht fasziniert durch seinen dunklen Existentialismus. Es ist von unauflöslichen Spannungen durchzogen: zwischen innen und außen, laut und leise, dem Einzelnen und den anderen, dem Glauben und der Verzweiflung. Luther ist eine zerrissene Gestalt. An ihm zerrt der Teufel, er sehnt sich nach der Gnade. Verloren steht er mitten in einer gefallenen Welt. Weltmänner und -frauen haben für ihn kein Verständnis. Er ist – um mit dem Schriftsteller Gottfried Benn zu sprechen – ein "gezeichnetes Ich", allerdings nicht von Leere umgeben, sondern von seinem Gott, wobei allerdings offenbleiben muss, ob dieser mehr zu lieben oder zu fürchten ist.

Und genau aus diesen Gründen ist der Reformationstag heute ein so wichtiger Gedenktag für uns alle. Seine Pointe besteht darin, dass er nicht bloß ein kirchlicher Feiertag im engeren Sinne ist, sondern auch ein Tag des kulturellen Gedenkens.

Die Reformation prägt unser Land bis heute: religiös, kulturell, ethisch, politisch, mentalitätsmäßig. Nur wegen dieser Mehrfachbedeutung wurde er im Zuge des Reformationsjubiläums in einigen Bundesländern zum Feiertag erklärt - und ich möchte alle Politiker und Politikerinnen bitten, sich daran zu erinnern, wenn sie mal wieder mantramäßig die generelle "Abschaffung" als Feiertag fordern.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur