Als meine Mutter heimlich Karamellbonbons machte
So schön sahen die Bonbons von Mimi und ihrer Schwester bestimmt nicht aus....
Getty Images/Johner Images
Das süße Geheimnis meiner Mutter
Mimis Karamellbonbons
In vielen Familien gibt es Geschichten, die mit jedem Erzählen besser werden. Zum Beispiel diese hier: Zwei Schwestern konnten ihren Heißhunger auf Süßes nicht zügeln - und stiegen heimlich in die Karamell-Produktion ein
Nicole Keller
25.12.2024
4Min

Meine Mutter ist schon als Mutter eine Wucht, aber ich würde sagen: Als Oma legt sie noch eine Schippe drauf.

Wenngleich der Begriff "Oma" gar nicht auf sie passt und es somit ein glücklicher Zufall war, dass mein Sohn Max, damals noch im Kleinkindalter, sie kurzerhand "Mimi" taufte. Mimi hat immer ein Ohr für ihre Enkelkinder, springt ein, wenn es bei uns zeitlich knapp wird – und sie zaubert jedes Mal ein paar Süßigkeiten aus der Tasche, wenn sich die Kinder nach einem Besuch bei ihr verabschieden. Ein Bonus, den sie als kleines Mädchen mit Sicherheit auch gern gehabt hätte - denn sie und ihre Schwestern wurden von meinen Großeltern verdammt knapp gehalten, wenn es ums Naschen ging.

So muss es meiner Mutter und meiner Tante wie ein Schlaraffenland vorgekommen sein, als sie eines Nachmittags eine Schulfreundin zu Hause besuchen durften, die, sagen wir mal, aus gutem Hause kam. Dort war es üblich, dass mehrere Hausmädchen (adrett mit weißer Schürze, versteht sich) im Haushalt mitwirkten.

Lesetipp: Was Geschwister zusammenhält...ein ganzes Leben lang

An besagtem Nachmittag durften die Kinder dabei sein, als in der großen Küche Karamell gemacht wurde. Die Mädels verfolgten gebannt jede Handbewegung: erst das zischende Knistern beim Einfüllen des Zuckers. Was für ein Duft! Später das Hinzugeben von Butter und Sahne, schließlich wurde die braune Flüssigkeit auf ein Blech gegossen.

Nun hieß es warten. Die Mädels wurden zum Spielen geschickt, doch die Gedanken meiner Mutter konnten sich nicht von den Ereignissen in der Küche lösen. Und nach einer gefühlten Ewigkeit war es so weit: Die braune Masse war endlich fest geworden und durfte probiert werden. Wenn Glück einen Geschmack hätte, es wäre dieser, dachte meine Mutter, als sie am Abend das Haus der Freundinnen verließ.

Zurück in ein Zuhause, in dem zwar wirklich gut gekocht wurde – es außerhalb von Geburtstagen oder Weihnachten aber höchstens mal einen sauren Drops zum Lutschen gab. Was für eine schreiende Ungerechtigkeit, dachte meine Mutter. Es muss ein ziemlich lauter Gedanke gewesen sein, der sich nicht wieder verscheuchen ließ.

Ein paar Tage später. Meine Großmutter machte sich auf, um ein paar Besorgungen zu machen. Die Schwestern waren allein zu Hause. Kaum war die Luft rein, prüften die zwei die Bestände in der Speisekammer. Zucker, Butter, Sahne – alles da. Und schon landete der Zucker im Topf.

Es fing an zu brutzeln, der Geruch stieg auf, das Zischen beim Eingießen der Sahne... Inmitten diese Symphonie der Vorfreude mischte sich plötzlich ein weiteres Geräusch: das Knattern des VW Käfers meiner Großmutter auf der Auffahrt.

Die Geschwindigkeit, in der dann alles passierte, lässt sich wohl nur durch den hohen Adrenalingehalt meiner Mutter und meiner Tante erklären. Im Affentempo zog eine der beiden den Topf vom Herd, während die andere das Küchenfenster zum Lüften aufriss und notdürftig den Zucker aufwischte, der am Topf vorbei gerieselt war. Meine Tante rannte mit dem "corpus delicti" ins obere Stockwerk, während meine Mutter an der Haustür meine Großmutter nach allen Regeln der Kunst aufhielt und ablenkte.

Im Arbeitszimmer meines Großvaters bot eine kleine Abseite das benötigte sichere Versteck für den Topf. Das Bett abgerückt, Abseiten-Türchen auf, Topf rein. Und mit aller Kraft hoffen, dass es nicht auffliegt.

Lesetipp: Ist die Jugend wirklich in der Krise?

Das Glück blieb den Schwestern hold – zumindest insofern, als dass nie auch nur ein Sterbenswörtchen über das Geschehene verloren wurde. Auch in den folgenden Tagen und Wochen kam entgegen aller Erwartungen kein Donnerwetter aufgrund eines fehlenden Kochtopfes oder des reduzierten Zuckerbestandes.

Ob meine sonst recht strenge Großmutter hier Milde walten ließ? Wir wissen es nicht. Vielleicht lag es doch eher daran, dass ihre Gedanken beim anstehenden Umbau des Hauses waren – mein Großvater war Architekt und hatte sich einige Modernisierungen für das Obergeschoss einfallen lassen. In diesem Zuge wurde auch die kleine Abseite zugemauert. Mit all den Geheimnissen, sie sich hinter ihrem Türchen befanden.

Meine Mutter und meine Tante kamen also nie in den Genuss ihres selbstgemachten Karamells. Noch oft dachten sie an die spektakuläre Aktion. Und stellten sich vorm Einschlafen vor, wie Forscher eines Tages – wenn sie alle schon längst verstorben wären - die Ruinen des Hauses untersuchen und auf das Karamell-Töpfchen stoßen würden. "Kein Wunder", würden sie denken, "dass die Menschen von damals ausgestorben sind. Bei der miesen Ernährung."

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.

Kolumne

Katharina Wilck

Die Freude an gutem Essen und das Erzählen schöner Geschichten, das sind zwei große Leidenschaften von Küchenzeile-Autorin Katharina Wilck. Und bitte alles immer gut gewürzt, denn die gelernte Journalistin mischt in ihrer Hamburger Manufaktur spannende Gewürze zusammen. Jeden zweiten Mittwoch.