Drohnenaufnahme der open factory im Eiermannbau Apolda
Rechts der kleine originale Bauabschnitt, links Eiermanns Anbau mit großen Fenstern und Dachterasse. Das Foto entstand 2023
Stiftung Baukultur Thüringen/IBA Thüringen/Thomas Müller
Zeitlos schön
In Apolda steht eine Ikone der Industrie-Architektur
In Apolda, Thüringen, steht der sogenannte Eiermannbau. Früher wurden hier Feuerlöscher gefertig, heute ist der Bau eine Open Factory und beweist: Mit einfachen Mitteln lässt sich viel machen
Tim Wegner
12.09.2024
4Min

Gerade machen Thüringen und Sachsen vor allem wegen der Wahlen von sich reden. Doch es ist unfair, nur darüber zu reden und zu schreiben.

Denn so viele Initiativen, so viele Menschen leben dort, die sich positiv einbringen in die Gemeinschaft. In Apolda, Thüringen, habe ich gerade wieder einige dieser Menschen getroffen und einen wunderbaren Ort kennenlernen dürfen: den sogenannten Eiermannbau.

Egon Eiermann lebte von 1904 bis 1970. Ich kannte ihn bisher vor allem als Architekt berühmter Nachkriegsbauten: In Berlin plante er die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, in Bonn mit dem "Langen Eugen" das Abgeordnetenhaus (benannt nach dem damaligen Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier), und mein Schreibtisch zu Hause stammt auch von Eiermann: ein einfaches Stahlgestell mit Holz-Tischplatte.

In einer Beschreibung über ihn las ich den Satz: Bauen ist eine technische Dienstleistung, bei der vielleicht Kunst herauskommt.

Und genau das, Technik und Kunst miteinander zu verbinden, hat Eiermann schon als junger Architekt geschafft. In Apolda erweiterte er 1938 eine ehemalige Stofffabrik um einen Anbau mit viel Platz und schönen Räumen für die dort arbeitenden Menschen. Auftraggeberin war die Total KG, die Feuerlöscher produzierte. Und was Eiermann damals plante, wirkt noch heute zeitgemäß und modern.

Lesetipp: Sigurd Lewerentz - schwedischer Architekt des Todes und des Lebens

Zum Beispiel die "Klimaanlage" im ehemaligen Speise- und Festsaal mit angeschlossener Küche. Heute ist der große, helle Saal mit seinen originalen blauen Bodenkacheln und dem Holzparkett in der Mitte ein fantastischer Veranstaltungsraum. Früher wurde hier täglich gekocht, Essensmief also. Eiermann setzte eine "Dachlaterne" auf die Terrasse. Durch die geschlitzte Saaldecke zog die Luft bei geöffnetem Fenstern dank des Kamineffektes nach oben. Lüftung und frische Luft ohne jeden weiteren technischen Aufwand. Schlicht und genial.

Oben an der Decke sind die Schlitze für die Lüftung zu sehen. Und wie früher schützen Gardinen im Sommer vor Sonne, im Winter vor Kälte

Fassadenbegrünung gehört heute zum guten Ton schicker Bauten. Eiermann arbeitete damals mit der Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher zusammen. Gemeinsam schufen sie für das Dach ein elegantes Stahlgeländer als Rankhilfe, Fotos von damals zeigen Tische und Deckchairs auf dem Dach, unter und neben Pflanzen, die in Töpfen an den Wänden hingen oder am Geländer hochrankten. Fassadenbegrünung damals

An den Geländern sollen bald wieder Pflanzen ranken, an der Wand hängen die originalen Träger für Blumentöpfe, auch da soll es bald wieder blühen

1994 wurde die Feuerlöschfabrik geschlossen. Das Gebäude verfiel. Doch ein Bürgerverein aus Apolda machte sich an die Rettung. Toll, wie und was die damals als erste Rettungsmaßnahmen schafften. Die alte Fabrik lebte auf. Sogar Karl Lagerfeld reiste einmal für eine Modenschau nach Apolda.

Doch das war erst der Anfang. Es kam die Internationale Bauausstellung, die IBA-Thüringen, die den Eiermann-Bau übernahm, behutsam grundsanierte und renovierte.

Heute ist der Bau eine "Open Factory". Es gibt Zeitarbeitsplätze zu mieten, und regelmäßig sind Ausstellungen zu sehen. Überall im Haus hängen historische Bilder. Hübsche Details sind zu entdecken, so die rund angelegten Waschräume - ohne Türen und Handgriffe. Wer Feuerlöscher baut, bekommt dreckige Hände. Das hatte Eiermann bedacht. Heute ist die Idee schlicht corona-gerecht.

Das ganze Gebäude ist frei zugänglich für jede und jeden.

Details der Fassade von der Auenstraße aus

Das städtische Glockenmuseum (Apolda war "die" Glockenstadt Europas) ist hier eingezogen, ebenso eine kleine Schau über die ebenfalls reiche Geschichte der Textilindustrie in Apolda. Und immer gibt es einen Bezug zur Gegenwart.

Wie hatte es sich Eiermann einst selbst gewünscht: Gebäude müssen flexibel sein und sich veränderten Gegebenheiten anpassen können. Auch damit war er seiner Zeit voraus. Auf nach Apolda! Dieser Bau ist ein Fest für die Augen und Sinne aller Menschen, die Spaß an schöner Architektur und neuen Entdeckungen haben.

Tipps:
Sehenswert ist diese ARD-Doku über die Pritzker-Preisträger Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal. Wie Eiermann in Apolda haben sie beispielsweise in Frankreich eine alte Industriehalle nicht abgerissen, sondern erweitert. Niemals abreißen lautet ihre Devise.

Am 20.09.2024 von 10 bis 16 Uhr findet in Frankfurt diese Fachtagung statt: "Zeit für mehr Kooperation. Gemeinschaftlich Planen, Bauen und Wohnen"; organisiert vom "Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V."

Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.