chrismon: Michaela, du bist aus dem Schwarzatal weggezogen, weil es dir, nun ja, etwas langweilig war. Doch seit einigen Jahren wohnst du wenige Meter entfernt von deinem Elternhaus. Warum bist du zurückgekommen?
Michaela Blei: Ich finde das Großstadtleben toll. Aber meine Heimat ist das Schwarzatal. Wie schön es hier ist, hab ich erst realisiert, als ich lange weg war.
Du lebst selbst in einem alten Sommerfrischehaus und engagierst dich in einem Verein für den Erhalt eines anderen historischen Hauses. Was heißt das eigentlich: Sommerfrische?
Das ist ein alter Begriff und steht für Ferienzeit oder Erholung. Das Schwarzatal war schon vor über 150 Jahren ein beliebtes Reiseziel. Wir sind mitten im Thüringer Wald im Mittelgebirge. Die Luft ist gut, man kann wunderbar wandern. Viele wohlhabende Menschen bauten sich eigene Ferienhäuser in diesem ganz bestimmten Stil: viel Fachwerk, schöne Balkone. Später kamen große Hotels und Gasthäuser dazu.
Das Schwarzatal war auch bei Intellektuellen beliebt.
Ja, wir hatten das Schloss, Goethe und Humboldt waren da, später auch Bauhausarchitekten. Friedrich Ebert hat hier die Weimarer Verfassung unterschrieben.
Michaela Blei
Julia Pfaller
Und später?
Da ging es richtig los mit den Touristen. In der Nazizeit und später in der DDR wurde unser Tal zu einer offiziellen Ferienregion, mit Ferienheimen und Kurkonzerten. Fast jeder im Tal hatte Fremdenzimmer, auch meine Großeltern. Einige Stammgäste kamen auch noch nach der Wende. Ich erinnere noch die Namen: Scholz oder Brockmann- Kammer. Ich bin heute gut mit deren Kindern befreundet.
Aber?
Die Sommerfrische-Architektur wurde schon in der DDR-Zeit nicht wirklich gut gepflegt, sie galt als bürgerlich. Nach 1989 brach der Fremdenverkehr zusammen und hat sich seitdem nicht erholt. Viele Sommerfrischehäuser verfallen und werden das nicht überleben. Mich und viele andere macht das traurig.
Da stehen immer noch Ruinen herum?
Ja, als ich Kind war, habe ich darin gespielt, und auch heute noch gehört das zur Jugend dazu. Im Schloss hausten eine Zeit lang russische Soldaten. Die ehemaligen FDGB-Ferienheime und Hotels stehen teilweise leer. Wir haben da als Kinder und Jugendliche Partys gefeiert.
Das "Haus Bräutigam" steht ganz in der Nähe eures eigenen Hauses. Was weißt du über seine Geschichte?
Es wurde 1906 für Fräulein Lydia Bräutigam gebaut, so steht es in den Bauakten. Sie hat das Haus nach dem Krieg mit ihrem Bruder bewohnt und Zimmer vermietet. Etwa 25 Jahre stand es leer, ein Münchner Investor hatte es gekauft, aber nicht wirklich was gemacht. Irgendwann drohte der Abriss.
Was ist euer Ziel für das Haus?
Wir wollen es als einen Ort für temporäre Aufenthalte entwickeln, für Städter oder auch für Menschen aus der Region. Vielleicht können hier auch Studierende ein Semester wohnen. Neun Schlafzimmer auf drei Etagen, insgesamt 400 Quadratmeter. Wir planen Gemeinschaftsbäder, eine große Küche, Familienzimmer. Es gibt im Tal ein ähnliches Projekt im Nachbarort Döschnitz.
Was motiviert dich?
Mir ist meine Heimat wichtig. Ich finde aber auch, dass wir den Blick von außen brauchen. Ohne Gäste und ohne Menschen, die mit ganz anderen Augen auf unser Tal und das Landleben schauen, wird sich nicht viel tun. Das haben die letzten 30 Jahre gezeigt.
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Wer ist noch im Verein?
Wir sind bisher nur ein kleiner Kreis, vor allem Wissenschaftlerinnen und Studenten von der Bauhaus-Uni in Weimar – und ich, die hier aus dem Ort kommt. Allein könnten wir das nie. Wir bekommen viel Unterstützung von Menschen aus dem Tal, die schon vor Jahren eine "Zukunftswerkstatt" gegründet haben. Und es gibt die Internationale Bauausstellung Thüringen, die sich genau diesem Thema widmet: Verbindungen zwischen Stadt und Land verbessern.
Wie oft seid ihr am Haus und was macht ihr da?
So etwa jedes zweite Wochenende. Das ist dann echt harte Arbeit: Wände einschlagen, Decken runterreißen. Montags hab ich Muskelkater.
Kannst du das? Bauen?
Überhaupt nicht. Ich habe auch keine Ahnung von Architektur. Aber ich lerne ganz viel. Manchmal kommen Freunde dazu, und wir bringen unsere Kinder mit. Das macht viel Spaß.
Baueinsatz am Wochenende hin oder her: Wie finanziert ihr das Projekt?
Das Haus und das Grundstück gehören mittlerweile der gemeinwohlorientierten Stiftung Trias. Wir zahlen eine sehr geringe Erbpacht, dazu unterstützt uns das Land Thüringen. Wir brauchen aber weitere Fördermittel. Die Suche danach ist wahnsinnig kompliziert, aber Gott sei Dank gibt es Profis dafür bei uns.
Was sagen die Nachbarn in Schwarzburg?
Anfangs haben einige schon komisch geschaut, so nach dem Motto: Was die Typen aus der Stadt so treiben! Mittlerweile aber nimmt das Haus Form an und viel ist passiert, wir haben den Dachstuhl und das schöne Fachwerk saniert und wieder instand gesetzt. Die Befürchtung, dass das Haus halbfertig stehen bleibt, wird geringer. Neulich sprach mich ein Maurer an und fand, dass wir gute Arbeit machen. Das ist ja meine Hoffnung: Dass wir zeigen können, dass wir aus eigener Kraft viel erreichen.
Mehr Infos zu kreativen Wohnprojekten finden Sie alle zwei Wochen in der Kolumne "Wohnlage" von Dorothea Heintze