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Die S-Bahn, in die ich einsteigen will, hält auf dem Gleis in Dresden. Eine Person steigt aus, sucht für ihren weiteren Weg erkennbar nach Orientierung und sagt dann laut hörbar, aber eigentlich mit sich selbst sprechend: "Nach rechts". Eine auf den Einstieg wartende Person reagiert mit den Worten: "Rechts ist immer richtig!"
Aus der wartenden Traube einander unbekannter Menschen kommt von mehreren Personen Zustimmung: "Richtig." Oder: "Stimmt." Als ich einige Augenblicke später in der fahrenden S-Bahn sitze ertappe ich mich wieder dabei: symbolisch zähle ich die Menschen um mich herum durch: "Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei." Ungefähr jede dritte Person hat bei den Wahlen im Juni flächendeckend in meinem Bundesland, aber auch in den umliegenden Regionen, eine neurechte, teilweise als rechtsextrem eingestufte Partei gewählt. Das zu wissen ist irgendwie realistisch und pragmatisch. Das daraus resultierende Gefühl gleicht einer Ernüchterung.
Die Situation, die Lage scheint für die Landtagswahl am 1. September geklärt. Die Stimmung ist eigenartig, und zugleich schreitet die Zeit voran. Da sind, verkürzt formuliert, die vielen Menschen, die hoffnungsvoll auf diese Wahl schauen und davon überzeugt sind, mit einem Kreuz für die AfD endlich grundlegende Veränderungen herbeiführen zu können. Und da gibt es die vielen, die zugleich mehr sind, die sorgenvoll und angespannt hoffen, dass dies eben nicht geschieht. Und alle wissen, dass gleich mehrere klassische Parteien der demokratischen Mitte um ihren Einzug in den Landtag bangen müssen. Und zugleich gibt es eine neue Partei mit hohen Zustimmungsraten, die den Namen einer einzelnen Person in ihrem Parteiennamen trägt. Nach innen werden sämtliche Machtstrukturen auf diese einzelne Person ausgerichtet, nach außen wird mit verkürzten politischen Aussagen und Behauptungen dem Populismus gefrönt. Viele behaupten, wir würden nicht mehr in einer Demokratie leben, doch 42 Prozent stimmten zugleich laut dem 'Sachsen-Monitor 2023' der Aussage zu, dass es jetzt eine einzige starke Partei braucht, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.
Aufzeichnung chrismon-live: Wie wählt Ostdeutschland?
Da ist sie wieder, die Frage nach dem Verbindenden, wenn so viele Mitmenschen mit in sich widersprüchlichen Argumenten die gemeinsame Welt wahrnehmen und analysieren. Was kann einander verbinden, wenn nicht die sozialen Ungleichheiten und Fragen der Partizipationsmöglichkeiten gerade in den aktuellen gesellschaftlichen Transformationsprozessen in den Fokus gerückt werden, sondern schwer nachzuvollziehende Kritik an Bestehendem wie auch bestätigten Wissen?
Wo kann der gemeinsame Gesprächsfaden mit diesen Mitmenschen sein, die oftmals der Auffassung seien, unsere Gesellschaft sei ungerecht und die Menschen hätten infolge von bewussten politischen Entscheidungen keine Gleichheitschancen – und zugleich entscheiden sich diese Mitmenschen ganz gezielt für das Wählen neurechter Kräfte, die sehr deutlich das Engagement gegen die Gleichheit aller Menschen als ihr Anliegen formuliert? Es wirkt wie eine gegenseitige Entfremdung.
Und trotzdem: wir werden mehr denn je Gespräche benötigen, das miteinander Reden mehr denn je ermöglichen müssen. Um das Gemeinsame zu suchen und darauf aufbauen. Basisdemokratische und partizipative Prozesse werden insbesondere in den kleinen Kommunen, "vor Ort", wichtiger und gebraucht werden. Denn aus diesen gemeinsamen Prozessen kann auch Verbindendes entstehen. Dafür bedarf es Strukturen und Akteure des Bürgerschaftlichen Engagements, sie sind wesentlicher Teil der essentiellen Basis für diese Prozesse des Verbindenden und müssen zugleich auch politisch geschützt werden – anstatt wie aktuell einmal mehr mit Kürzungsdebatten konfrontiert werden.
Das ist keinesfalls leicht. Auch für mich persönlich nicht. Dennoch bleibe ich in Gesprächen mit Mitmenschen höflich, freundlich und zuhörend. Und ich erhoffe und erwarte dies auch von meinem Gegenüber. Personen allerdings, die sich bewusst entschieden haben, für eine neurechte, rechtsextremistische Partei ein Mandat zu übernehmen oder aktiv die neurechten Strukturen unterstützen, denen werde ich weiterhin mit aller Klarheit und Entschiedenheit begegnen.
Gut zu wissen ist, dass wir damit gewissermaßen nicht alleine sind. Denn in vielen Ländern auf unserem Globus gibt es gerade Situationen, welche die Demokratie herausfordern. Gut zu wissen ist auch, dass es Wege gibt, unsere Situation zu bewältigen, auch weil uns andere Länder aufzeigen wie es gehen kann bzw. nicht ablaufen sollte.
Ab dem 2. September wird es im Interesse der Demokratie und des Miteinanders auf jeden Fall anders werden, ganz gleich, wie das Wahlergebnis lauten wird. Denn es wird nicht möglich sein, sich mit Argumenten wie "es ist noch einmal gut gegangen", "die Ampel in Berlin ist das Problem" oder "das war eine Protestwahl" zufrieden zu geben. Viele der gewohnten und eingeübten Formen des politischen Umgangs miteinander müssen überdacht werden, denn ganz offensichtlich funktionieren sie so nicht mehr. Es kann so nicht weiter gehen kann und es muss anders werden.
PS: Die "Ostpost" geht jetzt bis August in die Sommerpause.
Liebe Ursula Ott, immer wenn…
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Liebe Ursula Ott,
immer wenn „Chrismon“ der „Zeit“ beiliegt, lese ich Ihre Zeitschrift gerne, finde viele Themen lebensnah und interessant. Außerdem gefällt mir, dass Sie immer wieder Neues ausprobieren und aktuelle Themen aufgreifen. Doch in der Ausgabe 05.2024 bin ich über die Anmoderation der neuen Kolumne „Ostpost“ gestolpert. „Wir müssen reden! Über die Wahlen in Ostdeutschland, über die AfD, über den Alltag in einer politisch aufgeheizten Atmosphäre.“
Der Osten Deutschlands wird hier zu Ostdeutschland, quasi einem separaten, von Deutschland abgetrennten Land, in dem die AfD ihr Unwesen treibt. Ostdeutschland wird assoziativ mit der AfD gleichgesetzt. Nun ist es leider so, dass die AfD erschreckende Zustimmungswerte in der Bevölkerung der ostdeutschen Bundesländer hat. Dennoch möchte ich an die jüngsten Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und Hessen erinnern und damit daran, dass die AfD kein ostdeutsches Phänomen ist. Außerdem wünsche ich mir sehr, dass Sie den Ihnen offenbar fremden östlichen Teil Deutschlands nicht nur durch die AfD-Brille betrachten, sondern auch diejenigen zu Wort kommen lassen bzw. über diejenigen schreiben, die politisch und/oder zivilgesellschaftlich gegensätzliche Positionen vertreten, so, wie z. B. in dem Kurzbericht über das Netzwerk Polylux in der Maiausgabe 2024 geschehen.
Wie Sie sicher unschwer erraten haben, bin ich selbst aus dem Osten und deshalb möglicherweise etwas empfindlich bezüglich der Art und Weise, wie immer noch über den Osten gesprochen wird.
Darf ich in diesem Zusammenhang zwei Buchempfehlungen notieren?
1. Matthias Jügler „Die Verlassenen“ und
2. Steffen Mau „Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft“
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Katrin Lange