Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei* uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
So lauten die bekanntesten Worte, die von Dietrich Bonhoeffer überliefert sind. Mit ihnen endet das wichtigste geistliche Gedicht des 20. Jahrhunderts. Das Gedicht war das letzte Zeichen der Liebe zu seiner Braut Maria von Wedemeyer. Diese Liebe blieb ebenso Fragment wie das Leben des Berliner Theologen, das am 9. April 1945 durch einen Justizmord ein jähes Ende fand. Im Konzentrationslager Flossenbürg wurde Bonhoeffer nach einem standgerichtlichen Verfahren umgebracht. Mit 39 Jahren starb er als Opfer von Adolf Hitlers Rachsucht gegen die Verschwörer des 20. Juli. Er ahnte dieses Ende; aber für ihn war es zugleich ein Beginn.
Wolfgang Huber
In der Gewissheit, dass der gewaltsame Tod sein Leben nicht zunichtemachte, zeigte sich sein Gottvertrauen. Bonhoeffer orientierte sich an Jesus – seiner Menschlichkeit, seinem Kreuzestod, seiner Auferstehung. Darin fand er einen festen Anker. Dass Bonhoeffers Tod ein Beginn war, bestätigte sich darüber hinaus in einer Weise, die er selbst nicht ahnen konnte. Denn sein Leben gewann eine Ausstrahlung, die über alles, was er hatte bewirken können, weit hinausgeht.
Weil er sich aus Glaubensüberzeugung und Gewissenspflicht dem Widerstand gegen Hitler anschloss, wurde er schon bald nach seinem Tod als Märtyrer gewürdigt. Die Briefe, Aufzeichnungen und Gedichte aus der Haft, die nach seinem Tod veröffentlicht wurden, entfalten bis heute eine weltweite Wirkung. In vielen Ländern der Erde – von Japan bis Brasilien, von Südafrika bis Polen – wird er als Vorbild geachtet. Sein Beispiel ermutigt zum Widerstand gegen ungerechte Regime, zum Eintreten für den Frieden, zur Zivilcourage im Ringen um den richtigen politischen Weg. In China lesen Angehörige der politischen Opposition in der Gefängniszelle seine Briefe aus der Haft; in vielen Kirchen der Welt ermutigt er zu neuen Formen der christlichen Existenz.
Auch er haderte mit seinem Schicksal
In seinem letzten Gedicht findet das Gottvertrauen in schwierigster Zeit einen ebenso starken wie behutsamen Ausdruck. Natürlich haderte er mit seinem Schicksal; in der Einsamkeit der Gefängniszelle war er oft der Verzweiflung nahe. Aber seine Glaubensgewissheit half ihm, vor Schwierigkeiten nicht zu kapitulieren, Enttäuschungen produktiv zu verarbeiten und der Todesangst zu trotzen.
Von Anfang an stand er in klarer Opposition zu Hitlers Herrschaft und beteiligte sich schließlich aktiv am politischen Widerstand. Mehrfach verließ er Deutschland, um sich neuen Erfahrungen auszusetzen. Italien, Spanien, die USA, Großbritannien waren Länder, in denen er sich längere Zeit aufhielt. Aber er kehrte immer wieder zurück, selbst als dies lebensgefährlich wurde.
Im Sommer 1939 fielen die Würfel. Er wurde in die USA eingeladen, wo man ihm anbot, auf Dauer zu bleiben. Doch über die Möglichkeit des Exils erschrak er zutiefst. Es kam ihm wie ein Verrat an seinen Freunden, an seiner Familie und an den von ihm ausgebildeten Pfarrern vor. Wie sollte er nach dem Krieg am Wiederaufbau Deutschlands mitarbeiten, wenn er den Krieg nur aus der Ferne miterlebt hätte?
Flucht vor der Verantwortung kam nicht infrage
Er war entschlossen, den Kriegsdienst in Hitlers Wehrmacht zu verweigern – nicht weil er ein prinzipieller Pazifist war, sondern weil er die Beteiligung an einem offenkundig ungerechten Krieg ablehnte. Doch dann öffnete ihm sein Schwager Hans von Dohnanyi den Weg zu einer Tätigkeit im militärischen Geheimdienst der deutschen Wehrmacht. In dieser Funktion stellte er nicht nur seine internationalen Verbindungen in den Dienst der "Feindaufklärung". Viel wichtiger war, dass er seine Kontakte für die Widerstandsgruppe nutzte, die sich in seiner Berliner Dienststelle bildete. Ihr wuchs schnell eine Schlüsselrolle für die Zusammenarbeit zwischen dem militärischen und dem zivilen Widerstand gegen Hitler zu.
Offiziell war er Mitglied des militärischen Geheimdiensts, im Verborgenen Angehöriger der Verschwörung gegen den "Führer". Das allein kann einen Menschen schon in Atem halten. Dennoch richtete sich Bonhoeffers Blick über die Forderungen des Tages hinaus. Die Flucht vor der Verantwortung kam für ihn nicht infrage. Nicht wie er sich "heroisch aus der Affäre ziehen", sondern wie "eine kommende Generation weiterleben" könne, war für ihn die entscheidende Frage. Wie sollte Deutschland nach dem erhofften Ende der Naziherrschaft aussehen? Wie ließ sich erreichen, dass Menschen in ihrem Lebensrecht wie in ihrer Freiheit gleichermaßen geachtet wurden? Fragen dieser Art ließen ihm keine Ruhe.
Ein Wagnis für andere eingehen
Er motivierte andere, sich damit zu beschäftigen. Er selbst bearbeitete sie, solange er sich noch frei bewegen konnte, in einem Manuskript, das grundlegenden Fragen der Ethik gewidmet war. Er schärfte vor allem die Verantwortung für fremdes wie für das eigene Leben ein. Lebte er in unserer Zeit, würde er auch den nachhaltigen Umgang mit der Natur hervorheben und darauf drängen, dass wir durch unsere Lebensgestaltung nicht den Lebensraum derer zerstören, die nach uns kommen. Der Klimawandel ist eine Herausforderung, auf die man Bonhoeffers Einsichten praktisch anwenden kann.
Ebenso wichtig war ihm die Frage nach der künftigen Gestalt der Kirche. Sie bedrängte ihn besonders in der Einsamkeit der Gefängniszelle. Die Kirche verfehlte nach seiner Überzeugung ihren Auftrag, solange sie nur um sich selbst kreiste und in der Selbstverteidigung befangen blieb. Es kam darauf an, ein Wagnis für andere einzugehen. Vor allem das Schicksal von Jüdinnen und Juden stand Bonhoeffer bei einer solchen Forderung vor Augen. Der Glaube konnte nicht länger auf die fromme Innerlichkeit beschränkt bleiben oder auf das Weltbild vergangener Zeiten gestützt werden. Bonhoeffer verstand den Glauben als eine Haltung, die das Leben bestimmt. Eine solche Erneuerung des Glaubens und der Kirche gehörte zu den großen Hoffnungen, die zeit seines Lebens uneingelöst blieben.
Diese Hoffnung kann uns heute beflügeln. Sie begründet das Eintreten für nachhaltige Entwicklung, für die Überwindung von Armut und die Bekämpfung des Hungers in der Welt. Eine "Kirche für andere" in Bonhoeffers Sinn steht auf der Seite von Menschen, die in ihrer Freiheit bedroht sind und um Leib und Leben fürchten müssen. Sie wendet sich denen zu, die vereinsamen und Angst vor der Zukunft haben. Sie hilft Menschen, zuversichtlich zu leben und getröstet zu sterben.
Den Opfern beistehen
Bonhoeffers Leben blieb Fragment. Doch es ist erstaunlich, wie viel in diesem Leben Raum hatte. Die Leidenschaft für die Musik, die Lust am Spiel, die Kunst der Freundschaft und die Sehnsucht nach Liebe gehörten genauso dazu wie das Wirken für Kirche und Theologie, für die Ermutigung junger Menschen und für die Ausbildung künftiger Pfarrer.
Der Politik so viel Platz in seinem kurzen Leben einzuräumen, hatte er nicht geplant. Es waren die Umstände der Zeit, die dazu nötigten. Er wollte den Staat an seine Aufgabe erinnern, für ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. Er erkannte die Notwendigkeit, den Opfern unter dem Rad von Unfrieden und Ungerechtigkeit beizustehen. Er erlebte, dass es in bestimmten Situationen nicht reicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Dann gilt es, dem Rad selbst in die Speichen zu greifen.
Wir leben in anderen Zeiten. Doch Bonhoeffers Vorbild kann uns helfen, die Zeichen unserer Zeit wahrzunehmen, bevor es zu spät ist: Wenn die demokratischen Institutionen der Lächerlichkeit preisgegeben werden, ist Widerstand angesagt, nicht Kumpanei. Wenn die Möglichkeiten einer freien Gesellschaft genutzt werden, um gegen Minderheiten Stimmung zu machen, ist Parteinahme nötig, nicht Gleichgültigkeit. Wenn Antisemitismus um sich greift, gilt auch heute Bonhoeffers berühmter Satz: "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen."
*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Textfassung stand die lange gebräuchliche Formulierung "Gott ist mit uns…". Aktuell und richtig ist: "Gott ist bei uns…". Dies hat die Redaktion geändert.
Sehr geehrte Damen und Herren
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihre Aprilausgabe lese ich am 75. Jahrestag Schwester Elisabeth Rivets, die am Karfreitag, dem 30.3.45 im KZ Ravensbrück ihr Leben für eine mitinhaftierte Mutter hingab. Umso herzlicheren Dank für Wolfgang Hubers intellektuell und geistlich herausragender Würdigung Bonhoeffers, dessen 75. Jahrestag seines Martyriums diesen Gründonnerstag anstehen wird – mitten in der Covid-19-Pandemie. Warum, Gott, dieses weltweite Leid? Bonhoeffers Antwort lautet, ähnlich wie Paul Gerhardt 300 Jahre zuvor in seinem Adventslied „Wie soll ich Dich empfangen“: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.“
Gott, der die Liebe ist, hat uns in der Geburt und im Kreuzestod Jesu offenbart, dass er im Leid bei uns ist und uns tröstet, ja sogar im Tod himmlische Vollendung schenkt. Dieses Mitleid(en) unseres Schöpfergottes ist die personale Antwort auf die Frage, weshalb ein Gott bedingungsloser Liebe das Leid zulassen könne. Gott antwortet auf unser "Warum?" nicht theoretisch, sondern trocknet höchstpersönlich an unserem Jakobsbrunnen, an unserem Lazarusgrab, am Ölberg unsere Tränen.
Nur diese, aus eigener Leiderfahrung geborene Antwort auf das gen Himmel schreiende „Warum?“ vermag Trost zu spenden. Hoffentlich lesen viele Zeitgenossen Wolfgang Hubers aktuelles Buch über Bonhoeffer – Seelenspeise zur rechten Zeit.
Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Felix Evers
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Mit großer Irritierung habe
Mit großer Irritierung habe ich lesen müssen, das Sie (bzw W. Huber) in dem kleinen Artikel über Bonhoeffer die letzte Strophe seines Geichts von den "guten Mächten" immer noch falsch zitieren, wnen Sie schreiben (lasssne): "Gott ist mit uns alle Tage...". So ist es zwar ursprünglich leider inden ersten Ausgane Ausgaben überliefert, aber seit das Original in Bonheofers Handschrift (Faksimile überall einsichtbar) vor ca. 30 Jahren aufgetaucht ist, heißt es nun richtig: "Gott ist bei uns alle Tagr...". Das ist ein wesentlicher und nicht njur beiläufiger Unterschied? Was ist so wesentlich? "Mit" würde pausbäckig bedeuten: Gott wird für die eigene Zwecke vereinahmt ( wie es z.B. im 1. Weltkrieg auf den Koppelschlössern der deutschen und französischen Soldaten gleichermaßen stand: "Gott mit uns" . "Mit" wem wohl also zog Gott in den Krieg, mit den Fanzsosen oder den Deutschen?), Got im Gnazen also "Erfüllungsgehilfe" meiner geheimen Wünsche. Das gerade hat Bomnhoeffer vehement abgelehnt udn als "religiöse" Vereinnahmung Goittes bezeichnet. "Bei" hei0t aber. Gott ist "bei" mir im Gelingen wie auch kim Nicht-Gelingen., Gott ist "bei" mir, auch wenn er meinemn geheimen Wünschen widerspricht, zu meinen Wünschen Nein sagt. In der Sprache Bonheoffers, "Mit" ist religiöse Inbesitznahme Gottes "Bei" lässt den nicht-religiösne Gott seine Freiheit, auf seine unvorhersehbare Weise"bei" mir zu sein, ohne "mit" mit meine eigenmächtige Wege zu gehen.
Fazi: Es ist sehr schade, mehr noch: theologisch höchst gefährlich und gedankenlos,, wenn Sie oder gar W. huber, was noch viel schlimmer wäre, diesen alten Fehler, der längst durch Bonhoeffers eigenes Votum korrigiert istg, immer wieder neu zum Schaden theologischer Redlichkeit und vor allem des konkreten Glaubens weiter kolportieren würden.
Axel Denecke
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Kirche kreist um sich selbst
Bischof Huber schreibt:
Ebenso wichtig war ihm die Frage nach der künftigen Gestalt der Kirche. [. . .]
Die Kirche verfehlte nach seiner Überzeugung ihren Auftrag, solange sie nur um sich selbst kreiste und in der Selbstverteidigung befangen blieb.
Inwieweit der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD mit dafür verantwortlich ist, dass auch die heutige evangelische Kirche um sich selbst kreist, weil Ökonomen z.B. von der Wirtschaftsberatung McKinsey den Kurs bestimmen, kann man seriös nicht in einem Satz beantworten. „Die Kirche der Freiheit“ von 2006 hat er an führender Position mit zu verantworten.
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Geborgtes Prestige
Die Zeichen der Zeit sind leider noch viel ernster, als es uns Herr Bischof Huber nahelegen möchte:
Demokratische Institutionen werden lächerlich gemacht ? Sie werden überhaupt nicht mehr wahrgenommen und übergegangen ! Grundmächtige Fragen, die noch Generationen nach uns betreffen,werden ohne jede Debatte am Parlament vorbei entschieden und - unterstützt durch mediale Dauerberieselung - durchgesetzt ...
Gegen Minderheiten wird Stimmung gemacht ? Wer Kritik am sozialen Verhalten von Angehörigen bestimmter Minderheiten übt, eine Kritik wohlgemerkt, die sich auf offiziell anerkannten Fakten gründet, kann froh sein,wenn nur sein Auto angezündet wird ....
Antisemitismus greift um sich ? Richtig, extremistische Demonstranten fordern auf Berlins Straßen die Vernichtung des Staates Israel und skandieren "Juden ins Gas" ....und wie reagiert die Kirche ? Mit dröhnendem Schweigen ! (Gregorianische Gesänge hört man in den Kirchen sowieso fast nicht mehr... )
Das sind die die Zeichen der Zeit - und wer tritt dagegen ein ? Die Kirche offensichtlich nicht. Dabei bedürfte es in dieser Zeit, um eine Opposition zu bilden, die diesen Namen auch verdient, nicht einmal der seelischen Größe eines Bonhoeffer; es bedarf nur eines geringfügigen Mutes, offenkundige Wahrheiten einfach auszusprechen ....
Eine Kirche, die nicht einmal hierzu in der Lage ist, sich aber auf Vorbilder aus der Vergangenheit beruft, ist nicht mehr glaubwürdig, sondern borgt sich Prestige aus einer Sphäre, die sie schon längst verlassen hat.
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Leserbrief zu "Dem Rad in die Speichen greifen" in chrismon 4/20
Wolfgang Hubers aktueller Artikel zum 75. Todestag Dietrich Bonhoeffers beginnt mit dessen bekanntesten Zeilen, der letzten Strophe seines Gedichts "Von guten Mächten". Leider ist dabei ein häufig anzutreffender Fehler unterlaufen mit der falsch zitierten Formulierung "Gott ist mit uns am Abend und am Morgen". Aufgrund einer fehlerhaften Abschrift der handschriftlichen Originalfassung des Gedichts, das sich in Bonhoeffers Brief vom 19.12.1944 an seine Verlobte Maria von Wedemeyer findet, wird dieser Fehler bis heute oft weitergereicht. In Bonhoeffers Originalfassung heißt es aber nicht "Gott ist mit uns", sondern "Gott ist bei uns am Abend und am Morgen". Man darf davon ausgehen, dass Bonhoeffer dabei an Jesu Verheißungswort im Taufbefehl
dachte: "Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."
Darüberhinaus ist denkbar, dass Bonhoeffer mit der Formulierung nicht an das "Gott mit uns" erinnern wollte, das auf den Koppelschlössern der Wehrmachtssoldaten stand und Gott in unstatthafter Weise als Parteigänger im Kampf gegen den Kriegsgegner in Anspruch nahm. Gott ist nicht "mit uns" gegen die anderen, sondern er ist bei uns wie er bei allen ist, die auf ihn hoffen.
Pfarrer Peter Remy
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