Der Kirchenraum ist karg. Weiße Ventilatoren an der Decke bewegen langsam die stehende Luft zwischen den Wellblechwänden. Die violetten, weißen, blauen Stoffbahnen, die die Betonwände verhängen, kräuseln sich leicht. Pastor Maurice Onyango, ein groß gewachsener Mann, steht an einem weißen Pult und heißt die Frauen willkommen, die sich auf den Plastikstühlen versammelt haben. Es ist Samstagnachmittag und in seiner Kirche Word of Hope (Wort der Hoffnung) versammeln sich die aktiven Frauen der Gemeinde, die Women’s Fellowship.
Das Hope Worship Center ist eine kleine Pfingstgemeinde in Baba Dogo, einem Stadtteil zwischen Industriegebiet und Slum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Die Pfingstkirchen sind eine weltweite missionarische Bewegung, die davon ausgeht, dass der Heilige Geist unmittelbar und direkt wirkt – so wie in der biblischen Pfingstgeschichte, als der Heilige Geist angeblich auf die Jünger Jesu herabkam und sie plötzlich in fremden Sprachen sprechen ließ.
Viele Mädchen in Baba Dogo werden Mutter, bevor sie 18 sind. "Es ist wichtig, dass wir als Kirche und als Gemeinschaft diese Themen besser verstehen", sagt der Pastor. Hundert blaue und weiße Stühle hat er in seinem Kirchenraum, sonntags sind alle besetzt. Heute sind es nur zehn Stühle, auf denen Frauen unterschiedlichen Alters sitzen. Gemeinsam haben sie beschlossen, dass sie in diesem Jahr nicht nur spirituell gemeinsam wachsen wollen, sondern auch im Wissen über Gesundheit – vor allem reproduktive Gesundheit. An diesem Samstag fangen sie damit an. Mehrere Gemeindemitglieder arbeiten im Gesundheitsbereich und sollen gleich zu Wort kommen.
Doch zuerst: Gemeinsam singen! "Schwester Evelyn, würdest du uns leiten?", fragt der Pastor. "Unastahili kuabudiwa", singt eine Altstimme – zu Deutsch: "Du bist unserer Anbetung würdig" – und nach wenigen Tönen stimmen die anderen mehrstimmig ein. Sie wippen von links nach rechts, viele haben die Augen geschlossen. Nach dem Lied sprechen alle ihre Gebete, Stimmen überlagern sich, Sprachen auch. "Wir danken Gott, dass er uns heute hier zusammengebracht hat", schließt der Pastor und übergibt das Wort an Anne Ochieng.
Ochieng ist Ende 40 und arbeitet als Sozialarbeiterin seit vielen Jahren im Krankenhaus der German Doctors im angrenzenden Slum Mathare. Im bodenlangen, goldgemusterten Kleid kommt sie nach vorne. Sie fragt die Frauen, was sie mit Familienplanung verbinden? "Kinder mit Abstand", "Kinder, um die man sich kümmern kann", lauten die Antworten. Ochieng leitet das Programm für Teenagermütter und hat über die Jahre an mehreren Weiterbildungen des österreichischen Programms "The Rain Workers" teilgenommen, das engagierte Bürgerinnen und Bürger zu Multiplikatoren für Wissen über Familienplanung und reproduktive Gesundheit macht. "Wir versuchen, eine Brücke zwischen den Menschen und der Gesundheitsversorgung zu sein", sagt sie.
In vielen staatlichen Krankenhäusern und Gesundheitszentren gibt es zwar Informationen und Beratung zu unterschiedlichen Familienplanungsmethoden – aber die erreichen oft nicht die Menschen, die sie bräuchten. Die meisten suchen nur Beratung, wenn es ein wirkliches Problem gibt. Regelmäßige Besuche bei einer Gynäkologin gibt es in Kenia nur für einen kleinen Prozentsatz der Frauen. Das heißt: Viele Informationen beruhen auf Hörensagen. In Apotheken bekommen sie ohne jede Beratung über mögliche Nebenwirkungen die Pille und auch Spritzen, die für drei Monate einer Schwangerschaft vorbeugen.
Im Durchschnitt haben Familien in Kenia drei bis vier Kinder. Staatliche Unterstützung für Familien gibt es nicht – wenn Familien sich Schulgebühren nicht leisten können, müssen Kinder oft schon Geld verdienen, bevor sie mit der Schule fertig sind. Die Quote der Teenagerschwangerschaften ist in den Slums oft noch höher als die vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen UNFPA ermittelten 15 Prozent, weil finanzielle Abhängigkeiten ausgenutzt werden und die Eltern oft kein Geld für Collegegebühren oder Investments in ein eigenes kleines Business haben.
Die Mitglieder der Pfingstgemeinde in Baba Dogo leben im Umkreis, einige der Männer haben Jobs in den nahen Fabriken, viele der Frauen verkaufen unter der Woche Obst oder Gemüse am Straßenrand oder haben andere kleine Einkommensquellen. "Kann Familienplanung funktionieren, wenn sie nur Sache der Frauen ist?", fragt Ochieng. Nicken in den Stuhlreihen. In der Stille hört man das nervöse Scharren von Schuhen über den Betonboden. Doch Anne Ochieng ist anderer Meinung: Familienplanung ist, wenn man sich gemeinsam darauf einigt, wie viele Kinder man haben will und wann, erklärt sie. Und ermutigt die Frauen, als Paar zur Beratung in ein Gesundheitszentrum zu gehen und mit einem Arzt zu besprechen, welche Methode der Verhütung am besten geeignet ist. Wenn Frauen heimlich verhüten und dann Symptome nicht erklären können, kann das zum Auslöser für Gewalt in der Partnerschaft werden.
Den Punkt greift Evelyn Ogola auf, die vorhin das Lied angestimmt hat. Hier in der Kirche, sagt sie, beten Männer für ein Kind, während die Frauen sich gerade ein Hormonimplantat eingesetzt haben. Kichern füllt den Raum. Dann fällt plötzlich der Strom aus, die Lampen verlöschen, die Ventilatoren gehen aus, doch ihrem Redefluss mit lebendiger Gestik tut das keinen Abbruch. Im knielangen schwarzen Rock und mit bunt bedrucktem Oberteil strahlt sie eine natürliche Autorität aus. Ogola arbeitet seit mehr als 20 Jahren in Programmen, die sich für die HIV-Vorbeugung und Versorgung der Infizierten einsetzen. Sie spricht über unbeabsichtigte Schwangerschaften – "die Kinder aber sind gewollt". Doch die Müttersterblichkeit ist hoch, oft bekommen Frauen das nächste Kind, bevor sich ihr Körper wieder erholen konnte. "Möge Gott uns helfen, richtige Entscheidungen zu treffen", sagt sie. Am Ende ihres Vortrags klatschen die Frauen spontan.
"Gott hat die Kirche als Problemlöser geschaffen", findet Pastor Maurice Onyango. Der 54-Jährige hat Theologie studiert und wurde 2004 vom Internationalen Bund der Pfingstkirchen ordiniert. Das Motto seiner Kirche ist ein Vers aus dem Brief des Apostels Paulus an die Epheser: "Die Glaubenden zum Dienst bereitmachen, damit die Gemeinde, der Leib von Christus, aufgebaut wird." Für ihn beinhaltet das nicht nur spirituelle Themen – auch in weltlichen Dingen sollen seine Gemeindemitglieder Vorbild sein, Botschafterinnen und Botschafter für eine offene, gesunde Gesellschaft. "Es gibt kein Thema, das wir hier nicht diskutieren können", sagt Evelyn Ogola.
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In den wenigsten Kirchen wird so offen mit dem Thema umgegangen wie bei Pastor Onyango. Viele Kirchen meiden das Thema, andere bestehen auf natürliche Familienplanung – Abstinenz und sichere Tage ausrechnen – als einzige Methode. Peter Munene kennt all die unterschiedlichen Ansätze, ihre Stärken und Schwächen, und weiß, wie umstritten das Thema ist. Er leitet das internationale Faith to Action Network, in dem sich führende Vertreter unterschiedlicher religiöser Gemeinschaften gemeinsam für Familiengesundheit und eine geschlechtergerechte Gesellschaft einsetzen. Den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen hat sich auch Kenia verpflichtet, Munene ist Mitglied der Arbeitsgruppe für Religion und nachhaltige Entwicklung.
"Es gibt kein Thema, das wir hier nicht diskutieren können"
Evelyn Ogola
Viele Gesundheitseinrichtungen in afrikanischen Ländern werden von Kirchen oder kirchlichen Organisationen betrieben – und orientieren ihre Angebote an der Einstellung der Träger zum Thema Familienplanung. In Gemeinden hängt es sehr von den Pfarrerinnen und Pfarrern ab, ob das Thema überhaupt zur Sprache kommt und ob unterschiedliche Verhütungsoptionen vorgestellt werden, sagt Munene. Wer das Thema wichtig findet, spricht es bei Paaren in den Vorgesprächen zur Hochzeit an. Die wenigsten Kirchen haben Programme oder Strukturen, die Familienplanung zum Thema machen. Viele betonen Gottes Ansage "Seid fruchtbar und mehret euch" aus der biblischen Schöpfungsgeschichte und lassen keine weiteren Fragen zu. Dabei haben schon Gestalten aus der Bibel Abstand zwischen den Kindern geplant, sagt Munene.
Wo Familienplanung mit dem Reizwort Bevölkerungskontrolle in Verbindung gebracht wird, werde es problematisch, weiß Peter Munene. Dass man von der Pille unfruchtbar wird oder dass der Westen Afrika mit aufgezwungenen Maßnahmen sterilisieren will, sind Mythen, die dann leicht aufkommen.
Doch jeden Tag sterben sieben Mädchen und Frauen in Kenia nach misslungenen Abtreibungen, schätzt die Organisation Marie Stopes. Tausende müssen jedes Jahr im Krankenhaus behandelt werden. Diese Realität zu ignorieren ist für Evelyn Ogala keine Option. "Wir können als Gemeinde nicht so tun, als ob Leute keinen Sex hätten, bevor sie heiraten", sagt sie. Besser sei es, das Gespräch zu suchen und sichere Räume zu schaffen, wo Menschen Fragen stellen können, ohne verurteilt zu werden. "Es ist gut, wenn wir uns selbst ermächtigen", sagt Ogala. Wissen ist Macht. Eine junge Frau kam nach einer solchen Gesprächsrunde zu ihr und erzählte, dass sie schon seit fünf Jahren ein Hormonimplantat im Arm habe – aber Angst, mit jemandem darüber zu reden, so tabuisiert ist das Thema für viele. Normalerweise soll dieses sogenannte Verhütungsstäbchen nach spätestens drei Jahren wieder entfernt oder erneuert werden.
Maurice Onyango versucht, ein Vorbild zu sein für gesunde Familienstrukturen – er hat seine Frau zu den Untersuchungen vor der Geburt der vier Kinder begleitet, die jeweils vier Jahre Altersabstand haben. Ein ähnliches Treffen will Onyango bald mit den Männern der Gemeinde organisieren. Denn auch er hat an diesem Samstag dazugelernt – die Männer, die kommen und sagen, dass ihre Frauen plötzlich kein Interesse mehr an Sex haben, wissen vielleicht nicht, welche Hormone ihre Frauen zur Verhütung nehmen und welchen Effekt diese haben können.
"Veränderung kann hier anfangen – und dann die Gesellschaft da draußen bewegen", sagt der Pastor und weist mit seinem Arm in Richtung der blau lackierten Holztür.