Die Initiative Faire Landarbeit (ein Zusammenschluss von gewerkschaftsnahen und kirchlichen Institutionen und der Gewerkschaft IG Bau) setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen von Saisonbeschäftigten ein, die derzeit zum Beispiel Spargel stechen. Die Initiative schickte Berater*innen auf die Felder, um die Beschäftigten über ihre Rechte aufzuklären, nach den Arbeitsbedingungen zu fragen und Hilfe anzubieten. 2024 sprachen die Berater*innen mit 3000 Saisonbeschäftigten, die Erkenntnisse der Umfrage sind in den Jahresbericht der Initiative eingeflossen.
chrismon: Wie reagieren die Bauern, wenn Ihre Berater*innen plötzlich auf dem Acker stehen und Saisonarbeiter*innen ansprechen?
Kateryna Danilova: Die Reaktionen sind unterschiedlich. Manchmal lassen sie uns mit den Beschäftigten sprechen und sprechen auch selbst mit ihnen, aber oft erleben wir abweisende Reaktionen von den Bauern. Sie wollen dann verhindern, dass wir mit den Beschäftigten reden. Oder verbieten ihnen, mit uns zu sprechen. Oder ein Vorabeiter muss dabei sein. Der wirkt oft einschüchternd auf die Beschäftigten, so dass sie sich eher zurückhalten und nicht über ihre Probleme berichten. Wir hinterlassen dann unsere Flyer, damit sie uns anrufen können. Aber ein Arbeiter hat uns erzählt, dass alle Flyer sofort von Vorarbeitern eingesammelt wurden, nachdem wir gegangen waren.
Kateryna Danilova
Warum machen Sie diese Feldbesuche?
Die Besuche auf den Feldern sind wichtig, weil die Saisonbeschäftigten nur sehr selten unsere Beratungsstellen aufsuchen. Das hängt damit zusammen, dass die Saisonbeschäftigten ziemlich isoliert auf dem Land leben, oft keinen Zugang zum Internet haben, nicht Deutsch sprechen und nicht wissen, wo sie Hilfe suchen können.
Aus Ihrem Bericht geht hervor, dass Saisonarbeiterinnen zum Geschlechtsverkehr gedrängt wurden. Von wem gehen die Übergriffe aus?
In den Fällen, die uns bekannt sind, haben die fest angestellten Vorarbeiter die Frauen zu Sex gezwungen. Entweder mit der Drohung, dass ihnen ansonsten gekündigt werde, oder mit dem Versprechen, dass sie erleichterte, bessere Arbeitsbedingungen bekommen würden. In zwei Spargelbetrieben aus den vergangenen zwei Jahren waren nach den Angaben der Beschäftigten viele Frauen betroffen. Wir sprechen über Betriebe, die sehr viele Saisonbeschäftigte einsetzen und in denen nahezu allen weiblichen Beschäftigten so gedroht wurde. Es waren also keine Einzelfälle. Es ist ein strukturelles Problem.
Welche Betriebe sind das?
Aus juristischen Gründen kann ich das nicht sagen, sonst würden wir verklagt werden. Und bei einem Prozess wäre es sehr unwahrscheinlich, dass betroffene Frauen aussagen würden.
Von wie vielen betroffenen Frauen gehen Sie aus?
Das können wir nicht genau sagen. Keine der betroffenen Frauen hat mit uns geredet. Die Informationen bekommen wir von anderen Saisonbeschäftigten, die die Übergriffe mitbekommen haben oder die Kolleginnen kennen, denen das passiert ist. Es waren vier Betriebe, von denen wir in den vergangenen zwei Jahren solche Fälle gehört haben. Zwei große Betriebe aus der Spargel- und Erdbeerbranche mit jeweils um die Hundert Saisonarbeiter*innen und zwei kleinere Betriebe, einer davon aus der Tierhaltung. Der Frauenanteil bei den Beschäftigten liegt meistens bei 50 Prozent. Es geht also um viele Frauen. Wir gehen von einem großen Dunkelfeld aus.
Sind die Aussagen von Kollegen und Kolleginnen vertrauenswürdig?
Ja. Aber wir erfahren von solchen Fällen nur durch Zufall. Meistens reden auch deren Kolleginnen und Kollegen nicht gerne über solche Vorfälle, es geht nicht darum, jemanden zu diffamieren. Gleichzeitig sprechen wir im Bericht von "Hinweisen auf sexualisierte Gewalt", weil sich die Betroffenen selbst nicht an uns gewandt haben. Da es sich um ein schwieriges und emotional sehr belastendes Thema handelt, kann es lange dauern, bis Betroffene selbst solche Vorfälle melden.
Wieso kommen diese Straftaten nicht an die Öffentlichkeit?
Die Gründe können vielfältig sein: Viele der Frauen können kein Deutsch, sind Analphabetinnen, haben Angst und schämen sich. Um gegen die sexuelle Gewalt vorzugehen, müssten die Frauen vor Gericht ziehen und klagen. Dann liegt die Beweislast bei ihnen. Wenn es keine Zeugen der Tat gibt, steht Aussage gegen Aussage. In einem Fall waren die Beschäftigten nach den Aussagen physischer und sexualisierter Nötigung durch die Vorarbeiter ausgesetzt. Sie meldeten das Unternehmen dem Zoll, und die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf. Die Ermittlungen wurden jedoch später aus Mangel an Beweisen eingestellt. Dies signalisiert den Saisonarbeitskräften, dass sie in Deutschland in solchen Fällen ihre Rechte nicht durchsetzen können.
Wurde schon mal ein Vorarbeiter zur Rechenschaft gezogen?
Uns sind solche Fälle nicht bekannt. In den meisten Fällen melden die Saisonarbeiterinnen die sexualisierte Gewalt nicht den Behörden.
Und was ist mit den Bauern? Schauen die einfach weg?
In den uns bekannten Fällen blieb unklar, ob die Arbeitgeber von den Vorfällen nichts wussten oder ob sie die Dinge einfach laufen ließen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie solche Situationen nicht erkennen. Oft sprechen die betroffenen Frauen kein Deutsch und die gesamte Kommunikation läuft dann nur über diese Vorarbeiter, was es für diese einfacher macht, die Situation zu verschleiern.
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Wie gut ist die Gesundheitsversorgung organisiert?
Die Saisonbeschäftigten haben meistens keine gesetzliche Krankenversicherung, sondern nur eine Gruppenkrankenversicherung über den Arbeitgeber. Die unterscheidet sich sehr stark von der gesetzlichen Krankenversicherung, weil das Leistungsspektrum sehr eingeschränkt ist. Nur das Allernotwendigste wird behandelt. Ausgeschlossen ist, nur um mal ein Beispiel zu nennen, etwa die ärztliche Begleitung während einer Schwangerschaft. Aber bei etwa 200.000 Saisonbeschäftigten pro Jahr, von denen die Hälfte Frauen sind, ist das eine ernste Versorgungslücke. Bei der Gruppenversicherung entfällt im ersten Monat die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Erkrankte arbeiten dann trotzdem, obwohl es ihnen schlecht geht. Auch die Unterbringung ist oft problematisch.
Warum?
Bei manchen Betrieben werden die Menschen in überfüllten Gemeinschaftszimmern untergebracht, in einigen Fällen müssen sich Männer und Frauen Zimmer und Sanitäranlagen teilen, obwohl das verboten ist. Auch die Mieten für die Unterkünfte sind oft horrend. Wir sprechen hier von bis zu 60 Euro pro Quadratmeter und das für Mehrbettzimmer in Metallcontainern irgendwo auf dem Land in Brandenburg oder in Hessen. Die Menschen zahlen manchmal bis zu 50 Prozent ihres Nettolohns an den Arbeitgeber für die Unterkunft und Verpflegung zurück, was aus unserer Sicht nicht rechtens ist. Die höchsten Preise pro Monat für ein Bett im Mehrbettzimmer und eine warme Mahlzeit pro Tag lag bei 800 Euro, aber auch 600 Euro kamen vor. Üblich sind meist 360 Euro. In vielen Unterkünften müssen sich 30 oder 40 Menschen eine Toilette und eine Dusche teilen, nicht immer gibt es eine Kochmöglichkeit. Oft wissen die Saisonbeschäftigten gar nicht, wie hoch ihre Miete ist. Denn sie bekommen ihren Lohn für die ganze Saison erst am letzten Tag ausgezahlt. Und dann sehen sie erst, wie viel man ihnen für Essen und Unterkunft abgezogen hat.
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Aus welchen Ländern kommen die Arbeitskräfte?
Der Großteil stammt aus Rumänien, darunter auch Sinti und Roma. Es kommen aber immer mehr Menschen aus anderen Ländern. Wir haben eine Gruppe von 200 usbekischen Studenten gesehen, aber das waren ausschließlich Männer. Menschen aus Polen und Bulgarien treffen wir immer seltener an.
Discounter bieten recht günstig Spargel an. Sollte man den dort kaufen?
Discounter sind ein Teil des Problems, sie diktieren oft den Bauern die Preise. Die Bauern versuchen dann, ihre Kosten zu senken. Die Opfer sind dann die Saisonbeschäftigten.
Wo sollte ich Spargel kaufen, wenn ich Wert auf faire Arbeitsbedingungen lege?
Das kann man so pauschal auch nicht sagen. Selbst ein anerkanntes Bio-Siegel sagt nichts über die Arbeitsbedingungen aus. Wir wissen auch von den gewerkschaftlichen Organisationen aus anderen europäischen Ländern, wie Spanien oder Italien, dass die Produktionsbedingungen dort noch schlechter als hier sein können. Man könnte beim Kauf schon das Produktionsland beachten.
Sind Ihnen auch Betriebe aufgefallen, die ihre Beschäftigten fair behandeln und gut unterbringen?
Ja, es gibt Betriebe, bei denen die Unterbringung in Ordnung ist und die immer Mindestlohn zahlen und dabei nicht tricksen. Wo der Lohn auch während längerer Arbeitspausen gezahlt wird, etwa wenn das Wetter schlecht ist. Aber diese guten Betriebe sind eher die Ausnahme. Denn die fairen Betriebe leiden letztendlich unter ihrer unfairen Konkurrenz. Die können schließlich günstigere Preise anbieten.
Sollte man dann lieber gar keinen Spargel kaufen?
Nein. Schließlich geht es bei der Ausbeutung von Saisonbeschäftigten nicht nur um Spargel. Die Produktionsbedingungen für das übrige Obst und Gemüse sind ja sehr ähnlich. Dann dürfte man ja gar nichts Gesundes mehr essen. Wenn man Bauern gut kennt und weiß, dass dort fair produziert wird, sollte man dort kaufen.