Haustiere
Wenn der Hund stirbt
Eine Katze, ein Hund können vor Einsamkeit schützen und enge Begleiter sein. Aber was, wenn das Ende naht? Kann man sich gegen den Abschiedsschmerz wappnen?
Gabriele Bärtels mit ihrer Hündin auf einer Parkbank
Die Autorin mit ihrer Hündin auf einer Parkbank in Berlin.
Holger Talinski
Holger Talinski
04.04.2025
5Min

Meine Hündin und ich streifen gern in aller Frühe über die Felder. Dort trifft man um diese Uhrzeit bestenfalls andere Hundehalter. Kürzlich entdeckte ich in der Ferne einen Mann, dessen Gang mir bekannt vorkam. Aber wo war Cosmo, sein alter Australian Shepherd, den meine Hündin so liebte, dass sie einen Tanz aufführte, wenn wir die beiden trafen?

Auch meine Hündin hatte den Mann erkannt oder erschnuppert, jedenfalls gab sie plötzlich Gas, rannte hinter ihm her, und als sie ihn erreicht hatte, wedelte sie wild, jaulte und fiepte – doch hinter keinem Gebüsch tauchte ihr vergötterter Freund auf.

"Wo ist Cosmo?", rief ich, als der Mann stehen blieb und sich nach mir umdrehte. Ich wusste es natürlich schon.

Der Mann hob die Schultern und ließ sie wieder sacken.

"Und jetzt gehen Sie alleine Gassi?", fragte ich betroffen.

Er nickte, sein Gesicht war durch seinen Schal halb verborgen.

"Fünfzehn Jahre. Bei jedem Wetter morgens hier draußen. Kann man sich so schnell nicht abgewöhnen."

Schmerz steckte in jedem seiner kurzen Sätze.

Menschen ohne Hund können sich kaum vorstellen, wie unendlich schwer der Verlust eines Vierbeiners wiegt, mit dem man zehn, zwölf, siebzehn Jahre zusammenlebte und die meisten Gewohnheiten teilte. Niemand, nicht einmal der engste Lebensgefährte, steht einem so nah wie dieses Tier, im allerwörtlichsten Sinne.

Kaum, dass meine Hündin vor zehn Jahren als Welpe ins Haus gestolpert war, bildeten sich Routinen aus, die bis heute bestehen: frühmorgens bei jedem Wetter raus, im Winter mit drei Handschuhen, von denen sie partout einen tragen will, und tausendmal der warme, schwere Hundekörper, der zu meiner Rechten auf das Sofa plumpst, wenn wir abends zusammen Nachrichten gucken, beide unter der gleichen Wolldecke.

Im Alter hat sich das Thema Erziehung verflüchtigt, Hund und Halter kennen einander bis auf den Grund. Es genügen Blicke, ein leises Wort oder Fiepen, dann wissen beide Bescheid.

Jeder von uns ist darauf vorbereitet, dass er seinen Hund überleben wird, aber solange das Tier jung ist, kann man sich das überhaupt nicht vorstellen. Man lernt es nur über die vielen anderen Hunde, mit deren Besitzern man über die Jahre vertraut wird. Auf unseren morgendlichen Gassigängen begegnen wir einander immer wieder. So schlossen meine Hündin und ich zahlreiche Freundschaften, doch einige dieser Vierbeiner leben nicht mehr, und ihre Besitzer sah ich nie wieder.

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Im Sommer saß ein über 90-jähriger Witwer auf einer Parkbank, sein kleiner, alter Puschelhund fehlte. Ich setzte mich zu ihm, und der alte Mann kraulte mit seinen Pranken meiner Hündin die Ohren.

Gabriele Bärtels und ihre Hündin auf ihrer täglichen Route

"Ja, jetzt isse nicht mehr", sagte er, anfangs noch mit forscher Stimme. "Sechzehn Jahre. Wir sind morgens zusammen uffgestanden. Radio angemacht, Kaffee, bisschen Hundefutter, dann raus. Dann hatt se ne Runde geschlafen und ich hab den Haushalt gemacht. Mittags wieder raus. Und jetzt? Jetzt weiß ich morgens gar nicht, was ich machen soll."

Tränen quollen aus seinen Augen, und er klopfte meiner Hündin kräftig auf den Rücken.

"Noch mal n Hund anschaffen, bringt ja in meinem Alter nichts mehr", brachte er hervor.

Es gibt in solchen Momenten einfach nichts Tröstendes zu sagen.

Der weiß-braune Jagdhund Theo wurde fünfzehn, sechzehn, siebzehn Jahre alt, ein unglaubliches Alter für seine Rasse. Bis zuletzt stakste er auf wackligen Beinen seine Gassi-Minirunde und war stets bereit, hinter der Gartenpforte sein Grundstück gegen vorbeiziehende Feinde zu verteidigen. Als der Hundegreis an einem heißen Sommertag einen Schlaganfall erlitt und sofort eingeschläfert wurde, konnten sich die Halter gegen den Schock, plötzlich ohne ihren Theo dazustehen, trotzdem nicht wappnen.

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Das Schlimme ist ja: In den meisten Fällen müssen wir Hundehalter entscheiden, wann unser Familienmitglied diese Erde verlässt. Über diesen richtigen Zeitpunkt hadern alle, sowohl vor als auch nach dem Einschläfern, wenn sie mit dem leeren Hundehalsband in der Hand an der Rezeption der Tierarztpraxis stehen, um die Rechnung zu bezahlen.

Nie wieder müssen sie sich nach ihrem Tier umdrehen und "Komm, Fifi!" rufen, aber die ersten Wochen tun sie es doch und erschrecken, wenn niemand reagiert. Oder sie gehen eben die vertrauten Gassiwege, wie das Herrchen von Cosmo. Zu Hause erinnert ja alles an den Hund. Sein Bett, sein Regenmantel, seine Haare auf dem Sofa. Sämtliche Gewohnheiten waren auf ihn abgestimmt, denn er lauschte ja auch im Tiefschlaf immer und sobald der Hausschlüssel klimperte, stand er neben den Schuhen.

Das Gassigehen ohne Hund fühlt sich ziellos an, und wenn man andere Hundehalter trifft, ist man plötzlich gehemmt, denn das bisher so selbstverständliche, verbindende Element ist weg. Man spürt sich nicht mehr als zugehörig, und so verliert man nicht nur seine treue Hundeseele, sondern oft auch ein ganzes soziales Netz sowie den fest gefügten, verlässlichen Lebensrhythmus mit Haustier.

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In dieser Woche ist nun auch Enno gestorben, der Rüde war gerade mal achtzehn Monate älter als meine Hündin. Da sie beide schlanke, braune Tiere gleicher Rasse sind, waren sie zusammen eine Augenweide. Über zehn Jahre lang bin ich oft mit seinem Halter im schnellen Gleichschritt über die Felder gelaufen, die Hunde rieselten um uns herum. Sie wurden dabei so langsam älter, dass wir es kaum bemerkt haben.

Als ich nach alten Fotos von Enno suchte, um sie seinem Halter zu schicken, schossen mir die Tränen in die Augen. Ich weinte um Enno und um seinen Besitzer, dessen bodenlose Trauer ich ungefähr ermessen kann. Und ich weinte, weil der Tag nicht mehr fern sein wird, an dem auch ich meinen Hund gehen lassen muss, und schon jetzt weiß, dass es kein Wort für den Abschiedsschmerz geben wird.

Um die Nase ist meine Hündin schon weiß, wie auch unter den Pfoten. Zu Hause schläft sie sehr viel. Doch wenn sie mal wieder meinen Handschuh geklaut hat, ihn hochwirft, auffängt, wie ein Clown vor mir tänzelt, dann sagen alle Leute: "Sie ist noch jung, nicht wahr?"

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In unserer gemeinsamen Zeit gab es Momente, in denen ich mir gewünscht hätte, es gäbe meine Hündin nicht, doch jetzt wird jeder Tag mit ihr wertvoller. Von meiner früheren Konsequenz ist nichts mehr übrig. Meine Hündin darf jetzt Frischkäseschachteln auslecken und kriegt Belohnungen für gar nichts. Leert sie den Papierkorb aus, so protestiere ich nicht mehr. Wenn wir über die Felder wandern und sie vor mir her schnüffelt, dann schaue ich auf ihr schaukelndes Hinterteil und glühende Liebe überfällt mich.

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