Kaspar Hauser tauchte 1828 in Nürnberg auf
Formlabor
Geheimnis um Kaspar Hauser
"Irgendetwas stimmte nicht mit ihm"
Gut 200 Jahre nach­ dem Auftauchen des "rätselhaften Findlings" Kaspar Hauser in Nürnberg hat Davide Morosinotto dessen ungeklärte Ermordung im Jahr 1833 zu einem Detektivroman für Jugendliche verarbeitet
17.12.2025
5Min

chrismon: Warum interessieren Sie sich für Kaspar Hauser?

Davide Morosinotto: Niemand weiß genau, wer er war, ob er als Kind wirklich in einem Verlies gefangen gehalten wurde und warum er jung sterben musste. Das ist fast 200 Jahre nach seinem Tod immer noch ungeklärt, und genau das hat mich gereizt.

In Ihrem Jugendroman "Greta Grimaldi" konzentrieren Sie sich vor allem auf den Mord an ihm. Warum ist es ein Krimi geworden?

Ich habe mich sehr gründlich mit dem Fall ­beschäftigt und glaube nicht, dass wir jetzt noch herausfinden ­können, wer Hauser wirklich war. Eine DNA-Analyse soll ergeben ­haben, dass er wahrscheinlich deutsch war. Aber noch nicht einmal das ist eindeutig. Jedoch eine plausible ­Erklärung für seinen Tod zu finden, ist durchaus möglich. Ich glaube, dass ich da nah an die Wahrheit gekommen bin.

Tamara Casula

Davide Morosinotto

Davide Morosinotto wurde 1980 in Norditalien geboren und wuchs in der Stadt Este auf. Mit 17 Jahren schrieb er seine erste Kurzgeschichte, die für den renommierten Premio Campiello nominiert wurde. Seitdem hat er über 30 Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Mit "Greta Grimaldi" erschien Ende September 2025 sein siebter Jugendroman auf Deutsch, ein Krimi über Kaspar Hauser (Thienemann Verlag).

Wie haben Sie recherchiert?

Ich habe viel gelesen. Das war nicht einfach, weil ich kein Deutsch spreche. Aber mein deutscher Verlag, der Thienemann-Verlag, hat mich sehr unterstützt. Außerdem kann man sich heutzutage mit Künstlicher Intelligenz auch sehr alte Bücher übersetzen lassen. Eine unschätzbare Quelle war aber auch Alice Olaru vom Stadtarchiv Nürnberg. Sie hat mich durch die Stadt geführt und mir die Originaldokumente von Kaspar Hauser gezeigt: Texte und Zeichnungen.

Was vermuten Sie jetzt, wer Kaspar Hauser war?

Ich glaube nicht, dass er ein ausgesetzter Erbprinz von ­Baden war oder das Opfer eines grausamen Experiments – das sind ja die gängigen Theorien. Ich nehme an, er war geistig eingeschränkt, und jemand hat versucht, das auszunutzen, um so an Geld zu kommen. Ich glaube aber auch, dass Kaspar Hauser selbst von der Geschichte, die er immer wieder über sich erzählte, überzeugt war: von der jahrelangen Haft in einem lichtlosen Raum bei Wasser und Brot. Zumindest widerspricht er sich nie in seinen schriftlichen Aussagen. Aber trotzdem bleibt vieles offen.

Was ist unklar?

Als er in Nürnberg auftauchte, konnte er kein Wort ­sprechen, aber nach ein paar Monaten sprach und schrieb er perfekt Deutsch. Wenn er wirklich als Kind total vernachlässigt worden wäre, wäre das nie gelungen, denn ich kann Ihnen versichern, dass die deutsche Sprache wirklich schwer zu lernen ist. Und wenn er gar keine Zuwendung erfahren hätte, hätte er gar nicht erst überlebt. Da ist sich die Wissenschaft mittlerweile ­einig. Und dann seine Zeichnungen: Einige Bilder könnte man sich als Kunstwerke an die Wand hängen, andere sehen aus wie von einem Kleinkind. Kaspar Hauser war handwerklich und künstlerisch begabt und hatte ein reiches Gefühlsleben, aber irgendetwas stimmte eben auch nicht mit ihm.

Davide Morosinotto: Greta Grimaldiund der Junge aus dem Schatten. Thienemann-Verlag, 272 Seiten, 16 Euro

Was an Ihrem Krimi ist wahr, was ist er­funden?

Meine Detektive, Dr. Grimaldi und seine ­Tochter Greta, sowie ihre kriminalistische ­Untersuchung sind erfunden. Auch der ­Neffe des Freiherrn von Tucher und das Dienst­mädchen Martha. Aber sonst bin ich so nah an der Wirklichkeit geblieben, wie es ging: Neben Kaspar Hauser haben Bürgermeister Binder, Freiherr von Tucher, Professor Daumer und der Gastwirt Auernheimer wirklich gelebt. Und auch das Hotel "Zum Bayerischen Hof" hat es im 19. Jahrhundert in Nürnberg gegeben – und der Stadtplan stimmt. Natürlich kennt Grimaldi auch alle gängigen Theorien über Kaspar Hauser und überprüft sie.

Warum ist die Detektivin, die den Fall schließlich löst, ein Mädchen und aus Italien?

Mir war sofort klar, dass meine Detektive aus Italien ­kommen müssen. Geschichten müssen authentisch sein, selbst wenn sie erfunden sind. Für einen italienischen ­Autor wie mich wäre es nicht möglich, eine Geschichte, die so deutsch ist, mit deutschen Hauptpersonen zu erzählen. Ich bin nicht in Ihrer Kultur verwurzelt und hätte Fehler gemacht. Mädchen mussten in dieser Zeit sittsam sein und sich in der Öffentlichkeit zurückhalten. Aber weil Greta nicht weiter beachtet wird, kann sie sehr genau beobachten.

Lesetipp: Leseförderung mal anders

Sie sind bekannt für Ihre Abenteuerromane für Jugendliche. Was macht einen guten Abenteuerroman aus?

Das lateinische Wort adventura bedeutet, dass etwas Unerwartetes passiert. Darum geht es in guten Abenteuerromanen. In jedem Kapitel muss etwas Überraschendes passieren. Deshalb hilft es sehr, dass meine Romane in unterschiedlichen historischen Zeiten, Ländern und ­Kontinenten spielen. Und auch wenn "Greta Grimaldi" in Deutschland angesiedelt ist, ist das Nürnberg des 19. Jahrhunderts für heutige Kinder Neuland.

"Man wird mit jedem Buch ein anderer"

In Ihren Jugendbüchern sparen Sie weder Gewalt noch erste sexuelle Erfahrungen aus. Wie schreiben Sie ­darüber?

Geschichten müssen echt sein, sonst sind sie uninteressant. Und im echten Leben gibt es nun mal Gewalt und Sex und Krankheiten. Aber manche Ideen, Konzepte und ­Erfahrungen gehen über die Köpfe von Jugendlichen ­hinweg oder interessieren sie noch nicht. Wenn man für Erwachsene schreibt, kann man zum ­Beispiel davon ausgehen, dass sie sexuelle Erfahrungen gemacht haben, Jugendliche zwischen zehn und zwölf meist noch nicht. Greta zum Beispiel erlebt ihren ers­ten Kuss: Aus ­verschiedenen Gründen ist sie ebenso ­fasziniert wie verwirrt davon.

Wer sind Ihre literarischen Vorbilder?

In diesem Fall George Simenon, der französische Krimiautor. Sein Kommissar Maigret ist ein sehr merkwürdiger Detektiv. Er scheint eigentlich gar nichts zu tun, erst zum Schluss eines Maigret-Krimis wird klar, dass ­dieses vermeintliche Nichtstun zur Lösung des Falls führt. Mein Doktor Grimaldi ist ihm ähnlich. Er bewegt sich ja lange Zeit nicht aus dem ­Hotel, in dem er mit seiner Tochter abgestiegen ist. Ich habe aber auch endlich einmal deutsche Klassiker gelesen, die schon lange auf meiner Liste stehen. Thomas Manns "Buddenbrooks" hat mir viel über das 19. Jahrhundert beigebracht.

Sie haben sehr viel gesehen und erlebt: Wie hat Ihre Arbeit als Abenteuerschrift­steller Sie verändert?

Jedes Mal, wenn ich ein neues Projekt angehe, weiß ich nicht, wie es enden wird – und ob überhaupt. Vielleicht gerät jemand ernsthaft in Gefahr oder stirbt. Man lebt mit seinen Charakteren. Das Buch, das ich gerade schreibe, handelt von einer Schatzsuche in New York. Eine Gruppe von Kindern entdeckt ein Schiffswrack im Hafen von New York mit 17 Kisten Gold: Das beruht auf einer wahren Geschichte. Aber ich mache mir gerade ernsthaft Sorgen um einen der Protagonisten. Wenn er stirbt, verändert das auch die ganze Geschichte. Man wird mit jedem Buch ein anderer.

Schreiben als Abenteuer. Ist das Ihr Traumjob?

Ja, ich habe entschieden, dass ich schreiben will, als ich zehn war. Ich habe viele Bücher geschrieben, bevor ich mit der "Mississippi-Bande" meinen Durchbruch hatte. Es ist viel Arbeit, aber ich liebe es. Es ist die große Leidenschaft meines Lebens.

Produktinfo

Davide ­Morosinotto: ­Greta Grimaldi und der Junge aus dem Schatten. Thienemann-­Verlag, 272 Seiten, 16 Euro.

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