EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs
Gerechter Frieden – was ist das?
EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs demonstrierte in den 1980er Jahren gegen Aufrüstung. Heute sagt sie: Es gibt gute Gründe dafür
Für Frieden und Versöhnung: Banner mit der Aufschrift 'Krieg soll nach Gottes Wille nicht sein' vor der Lutherkirche in der Bonner Südstadt
Banner mit der Aufschrift 'Krieg soll nach Gottes Wille nicht sein' vor der Lutherkirche in der Bonner Südstadt
Joachim Gerhardt
Lena Uphoff
05.11.2025
3Min

chrismon: Wie gut kennen Sie sich mit Waffen aus?

Kirsten Fehrs: Mit militärischen Waffentechnologien im engeren Sinn kenne ich mich natürlich nicht aus. Aber das sind heute längst nicht mehr die einzigen Waffen. In Zeiten von hybrider Kriegsführung wird ja noch mit ganz ­anderen Waffen gekämpft. Cyberangriffe zum Beispiel, aber auch Desinformation und Manipulation und letztlich das ­Untergraben von Vertrauen in unsere Demokratie. Mit solchen Dingen und was wir dem entgegen­setzen können ­beschäftigen wir uns sehr genau.

Bischofsrat in GreifswaldMarcelo Hernandez

Kirsten Fehrs

Kirsten Fehrs wurde 1961 geboren und ist seit November 2024 Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das Amt hatte sie seit November 2023 kommissarisch inne. Die Theologin ist zudem Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Von 2018 bis 2020 war sie Sprecherin des fünfköpfigen Beauftragtenrats, den die EKD zum Schutz vor sexualisierter Gewalt einberufen hat. Bischöfin Fehrs engagiert sich außerdem für den Dialog der Religionen, sie ist Vorsitzende des Interreligiösen Forums Hamburg.

Muss man sich heute nicht mit Waffen auskennen ­können, um bei Fragen von Aufrüstung und auch friedens­ethischen Fragen mitreden zu können?

Ich glaube nicht, dass ich als Bischöfin die Aufgabe ­habe, mich mit Waffentechnologien im Detail auszukennen. Aber es ist mir wichtig, mit den Menschen, die sich ­damit auskennen, im Austausch zu sein. Im Beirat der evangelischen Seel­sorge in der Bundes­wehr, deren Vor­sitzende ich bin, habe ich gerade in den ­letzten ­Monaten vielen zugehört, die sich mit der sicher­heitspolitischen Lage ­intensiv be­fassen. Die auch sehr genau um die ­Gefahren von ­Waffen wissen und ­diese niemals leicht­fertig ­einsetzen würden. Bei denen, die wissen, was Waffen ­anrichten können, nehme ich ein ­hohes friedens­ethisches Bewusstsein wahr.

Die einfache Aussage: Ich bin für Frieden und gegen Krieg – trägt sie heute noch?

Das ist eine grundlegend richtige Aussage. "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein" – dieses klare Bekenntnis von 147 Kirchen in Amsterdam 1948 bleibt für mich Leitlinie und gültiges ­Plädoyer für den gerechten Frieden. Zugleich: Die Realität ist hochkomplex und nicht ­eindimensional. Nicht umsonst setzt evangelische Ethik situativ an und ver­ändert sich.

Ich war selbst 1983 im Bonner ­Hofgarten bei den großen Friedensdemonstrationen dabei. Jetzt ­sehen wir, dass die Abrüstung, für die wir uns damals eingesetzt haben, eben nicht das Ende ist, sondern ­militärische Abschreckung an Bedeutung gewinnt.

Und ich spüre eine innere Zerrissenheit, heute angesichts der empfindlich veränderten Weltlage zu sagen: Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, dass es Waffenarsenale nicht nur gibt, sondern dass sie womöglich unter bestimmten Voraussetzungen auch eingesetzt werden.

Sehen Sie sich als Pazifistin?

Wenn das heißt, dass man den gerechten Frieden sucht, ja. Wenn es heißt, dass man jeglichen Waffengebrauch kategorisch ablehnt, nein. Eine Forderung wie "Frieden schaffen ohne Waffen" ist immer abzuwägen gegen die Verantwortung, die man in bestimmten Situationen hat. Denn was tut man, wenn Menschen völkerrechtswidrig angegriffen werden?

Ich kann für mich persönlich natürlich die Gewissensentscheidung treffen, im Blick auf das Feindesliebegebot auf Waffen zur Verteidigung zu verzichten – doch kann ich das auch für andere? Die derzeit Gewalt durch Dritte erleiden? Solche Dilemmata darf man nicht ausblenden.

Lesetipp: "Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten"

Muss man den Krieg vorbereiten, um den Frieden zu ­bekommen?

Solche Sätze versuchen, etwas zu vereinfachen, was eben so einfach nicht ist. Mit Zuschreibungen wie: dort die ­naiven Pazifisten, hier die waffenliebenden Kriegstreiber – damit kommen wir nicht weiter. Daher sprechen wir auch in der neuen Friedensdenkschrift vom gerechten Frieden.

Frieden zu stiften schließt selbstverständlich ein, den ­Aspekt der nicht militärischen Konfliktlösungen nach wie vor stark zu machen, immer wieder. Auch ­öffentlich. Zugleich bedeutet es, das Leben der Bedrohten zu ­schützen. Und da kann eine militärische Verteidigung als Ultima ­Ratio erforderlich sein.

Wie meinen Sie das?

Ein gerechter Frieden muss sicherstellen, dass ­Menschen in Freiheit und Würde leben ­können. Wenn wir ­angegriffen werden mit dem Ziel, ­unsere freiheitlich-­demokratische ­Lebensweise zu zerstören, dann müssen wir uns ­verteidigen können.

Es geht also nicht nur darum, gegen den Krieg zu sein, sondern auch darum, für etwas zu sein: nämlich unsere freiheitliche, demokratische Lebensweise?

In Diktatur und Gewaltherrschaft ist kein Frieden möglich. Friedvolles Leben bedeutet, dass der Einzelne frei und für andere verantwortlich leben kann. Das ist unsere tiefe christliche Überzeugung. Wie wir das in unserer heutigen komplexen Weltlage bestmöglich gewährleisten können, darüber müssen wir uns als Gesellschaft verständigen. Die Friedensdenkschrift will dazu einen Beitrag leisten.

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