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chrismon: Wie gut kennen Sie sich mit Waffen aus?
Kirsten Fehrs: Mit militärischen Waffentechnologien im engeren Sinn kenne ich mich natürlich nicht aus. Aber das sind heute längst nicht mehr die einzigen Waffen. In Zeiten von hybrider Kriegsführung wird ja noch mit ganz anderen Waffen gekämpft. Cyberangriffe zum Beispiel, aber auch Desinformation und Manipulation und letztlich das Untergraben von Vertrauen in unsere Demokratie. Mit solchen Dingen und was wir dem entgegensetzen können beschäftigen wir uns sehr genau.
Kirsten Fehrs
Muss man sich heute nicht mit Waffen auskennen können, um bei Fragen von Aufrüstung und auch friedensethischen Fragen mitreden zu können?
Ich glaube nicht, dass ich als Bischöfin die Aufgabe habe, mich mit Waffentechnologien im Detail auszukennen. Aber es ist mir wichtig, mit den Menschen, die sich damit auskennen, im Austausch zu sein. Im Beirat der evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr, deren Vorsitzende ich bin, habe ich gerade in den letzten Monaten vielen zugehört, die sich mit der sicherheitspolitischen Lage intensiv befassen. Die auch sehr genau um die Gefahren von Waffen wissen und diese niemals leichtfertig einsetzen würden. Bei denen, die wissen, was Waffen anrichten können, nehme ich ein hohes friedensethisches Bewusstsein wahr.
Die einfache Aussage: Ich bin für Frieden und gegen Krieg – trägt sie heute noch?
Das ist eine grundlegend richtige Aussage. "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein" – dieses klare Bekenntnis von 147 Kirchen in Amsterdam 1948 bleibt für mich Leitlinie und gültiges Plädoyer für den gerechten Frieden. Zugleich: Die Realität ist hochkomplex und nicht eindimensional. Nicht umsonst setzt evangelische Ethik situativ an und verändert sich.
Ich war selbst 1983 im Bonner Hofgarten bei den großen Friedensdemonstrationen dabei. Jetzt sehen wir, dass die Abrüstung, für die wir uns damals eingesetzt haben, eben nicht das Ende ist, sondern militärische Abschreckung an Bedeutung gewinnt.
Und ich spüre eine innere Zerrissenheit, heute angesichts der empfindlich veränderten Weltlage zu sagen: Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, dass es Waffenarsenale nicht nur gibt, sondern dass sie womöglich unter bestimmten Voraussetzungen auch eingesetzt werden.
Sehen Sie sich als Pazifistin?
Wenn das heißt, dass man den gerechten Frieden sucht, ja. Wenn es heißt, dass man jeglichen Waffengebrauch kategorisch ablehnt, nein. Eine Forderung wie "Frieden schaffen ohne Waffen" ist immer abzuwägen gegen die Verantwortung, die man in bestimmten Situationen hat. Denn was tut man, wenn Menschen völkerrechtswidrig angegriffen werden?
Ich kann für mich persönlich natürlich die Gewissensentscheidung treffen, im Blick auf das Feindesliebegebot auf Waffen zur Verteidigung zu verzichten – doch kann ich das auch für andere? Die derzeit Gewalt durch Dritte erleiden? Solche Dilemmata darf man nicht ausblenden.
Lesetipp: "Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten"
Muss man den Krieg vorbereiten, um den Frieden zu bekommen?
Solche Sätze versuchen, etwas zu vereinfachen, was eben so einfach nicht ist. Mit Zuschreibungen wie: dort die naiven Pazifisten, hier die waffenliebenden Kriegstreiber – damit kommen wir nicht weiter. Daher sprechen wir auch in der neuen Friedensdenkschrift vom gerechten Frieden.
Frieden zu stiften schließt selbstverständlich ein, den Aspekt der nicht militärischen Konfliktlösungen nach wie vor stark zu machen, immer wieder. Auch öffentlich. Zugleich bedeutet es, das Leben der Bedrohten zu schützen. Und da kann eine militärische Verteidigung als Ultima Ratio erforderlich sein.
Wie meinen Sie das?
Ein gerechter Frieden muss sicherstellen, dass Menschen in Freiheit und Würde leben können. Wenn wir angegriffen werden mit dem Ziel, unsere freiheitlich-demokratische Lebensweise zu zerstören, dann müssen wir uns verteidigen können.
Es geht also nicht nur darum, gegen den Krieg zu sein, sondern auch darum, für etwas zu sein: nämlich unsere freiheitliche, demokratische Lebensweise?
In Diktatur und Gewaltherrschaft ist kein Frieden möglich. Friedvolles Leben bedeutet, dass der Einzelne frei und für andere verantwortlich leben kann. Das ist unsere tiefe christliche Überzeugung. Wie wir das in unserer heutigen komplexen Weltlage bestmöglich gewährleisten können, darüber müssen wir uns als Gesellschaft verständigen. Die Friedensdenkschrift will dazu einen Beitrag leisten.



