Delegationen aus Israel, aus den USA und von der radikalislamistischen Hamas haben angefangen, in Ägypten über einen Waffenstillstand und ein Ende des Krieges in Gaza zu verhandeln. Endlich ist wieder Hoffnung da, wo zuletzt nur noch Verzweiflung herrschte. Denn immer noch sind knapp 50 Geiseln in der Hand der Hamas und nur noch 20 sollen am Leben sein. Der Gaza-Streifen liegt in Trümmern, Zehntausende Palästinenser und Palästinenserinnen sind tot, die humanitäre Lage ist katastrophal. Und die israelische Armee flog zumindest am Montag weiter Angriffe, erneut gab es Tote.
Ja, der Terror ging von der radikalislamistischen Hamas aus. Bei ihrem bestialischen Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 tötete sie über 1200 Israelis und nahm Dutzende Geiseln, von denen immer noch etliche in ihrer Gewalt sind. Doch aus der berechtigten Verteidigung gegen die Terrororganisation ist ein Vernichtungsfeldzug geworden, der sich nicht mehr mit dem Massaker vor zwei Jahren rechtfertigen lässt.
In Israels rechtsreligiöser Regierung geben die Ideologen eines großisraelischen Reichs die Richtung vor. Ob sich die Verhandler in Ägypten auf einen Friedensplan verständigen können, wird entscheidend davon abhängen, ob sich Benjamin Netanjahu gegen seine rechtsradikalen Koalitionspartner durchsetzt. Denn die lehnen Trumps 20-Punkte-Plan ab und werden vermutlich alles tun, um auch nur einen Waffenstillstand zu verhindern.
Anfang August hatte der rechtsradikale Polizeiminister Itamar Ben-Gvir davon schwadroniert, dass man den Gaza-Streifen wieder besetzen und die palästinensische Bevölkerung zur "freiwilligen Auswanderung ermutigen" müsse. Im Juli hatte auch eine Mehrheit des israelischen Parlaments gefordert, "die Souveränität Israels auf die Regionen Judäa und Samaria" auszudehnen, also das Westjordanland zu annektieren.
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Was bedeutet das für Deutschland und das deutsch-israelische Verhältnis? Was bedeutet das für die "deutsche Staatsräson"?
2008 hat Angela Merkel gesagt, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei. Damals war Ehud Olmert Ministerpräsident in Israel. Er hatte sich von großisraelischen Fantasien verabschiedet und war der letzte Ministerpräsident, der ernsthaft eine Zweistaatenlösung verfolgte.
Dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist, bedeutet heute, die israelische Regierung von ihrem selbstzerstörerischen Kurs abzubringen. Falls sich abzeichnet, dass Friedensverhandlungen an Netanjahus rechtsradikalen Ministern scheitern, warum nicht Sanktionen gegen sie und gegen prominente Aktivisten der Siedlerbewegung verhängen, die diesen Kurs rücksichtslos vorantreiben? Denn dieser Weg führt außenpolitisch in die Isolation, was die Sicherheit mehr gefährdet als schützt, er bringt die Geiseln nicht zurück und spaltet die israelische Gesellschaft.
Solidarisch mit Israel zu sein bedeutet heute, die Kräfte zu unterstützen, die Frieden wollen - und zwar auf beiden Seiten. In Israel sind das mehr, als viele denken. Ende August gingen 350.000 Menschen in Tel Aviv auf die Straße und forderten ein Ende des Krieges und die Rückkehr der Geiseln. 350.000 von zehn Millionen Israelis sind eine ganze Menge. In einem aktuellen Interview mit der Zeitschrift Publik Forum schätzt der Historiker Meron Mendel, dass mittlerweile zwei Millionen Israelis gegen den Regierungskurs demonstriert haben. Kriegsmüdigkeit breitet sich aus, immer mehr Reservisten kehren der Armee den Rücken oder sind ausgebrannt.
Nicht wenige Palästinenser sind Christen
Laut einer Umfrage des Politikinstituts Mitvim und der Friedrich-Ebert-Stiftung, über die die "Süddeutsche Zeitung" am 21. September berichtete, sprachen sich 55 Prozent der Befragten für eine Lösung des Gaza-Krieges aus, die die Gründung eines entmilitarisierten palästinensischen Staates vorsieht, die Rückkehr aller Geiseln, das Ende der Herrschaft der Hamas und die Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen Nachbarn.
Auch unter den Palästinensern gibt es Friedensinitiativen und Friedensfreunde, die sich mit gleichgesinnten Israelis austauschen. Im März demonstrierten Menschen in Gaza gegen die Hamas und riskierten ihr Leben. Nicht wenige Palästinenser sind Christen, und so haben gerade auch die Kirchen im Heiligen Land gute Kontakte zu Friedensgruppen in Israel und im Westjordanland. Diese Kontakte sollten sie nutzen, um Vertrauen aufzubauen und Israelis und Palästinenser zusammenzubringen. Für diese Arbeit sollten sie vehement die Unterstützung der Kirchen in Deutschland einfordern.
Israel pauschalisierend als Apartheidstaat zu geißeln, wie es der Weltkirchenrat im Juni tat, schürt allerdings eher das Misstrauen gegen die palästinensischen Christen, als dass es dazu beiträgt, aufeinander zuzugehen. Ausgewogen und präzise forderten hingegen kürzlich die deutschen katholischen Bischöfe die Freilassung aller Geiseln, ungehinderte Hilfe für Millionen Hungernde und eine Zweistaatenlösung. Sie betonten die besondere Verantwortung als Deutsche, "der Solidarität mit dem jüdischen Volk, auch mit dem Staat Israel, eine herausgehobene Bedeutung beizumessen". Sie verurteilten den Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 – und zugleich die Gewalt radikaler Siedler im Westjordanland. Auch kritisierten sie die "jüdischen Fundamentalisten und Politiker des rechtsextremen Flügels der israelischen Regierung", die einem souveränen palästinensischen Staat das Existenzrecht absprächen.
Auch die leitenden Geistlichen der evangelischen Kirche in Deutschland haben gerade in einer differenzierten Stellungnahme an "das Leiden der ZIvilbevölkerung auf beiden Seiten" erinnert und die Konfliktparteien aufgerufen, "die Grundsätze des humanitären Völkerrechts und interantionale Vereinbarungen zu achten".
Man kann solche Appelle leicht als hilflos abtun, aber für die Friedensfreunde im Heiligen Land sind sie ein wichtiges Zeichen, dass die Kirchen in Europa hinter ihnen stehen. Das ist in dieser oft ausweglos erscheinenden Situation nicht wenig.