Weltkirchenrat zu Israel
Herrscht in Gaza Apartheid?
Wie Israels Regierung die Menschen in Gaza behandelt, wird zurecht kritisiert. Der Weltkirchenrat bezeichnet die Zustände als "Apartheid". Das ist abwegig und hilft niemanden. Ein Kommentar
Ein palästinensischer Muslim wartet am 14. März 2025 in Bethlehem im besetzten Westjordanland darauf, einen israelischen Kontrollpunkt zu passieren
Ein israelischer Soldat und ein palästinensischer Mann, der an einem Checkpoint in Bethlehem wartet, um nach Jerusalem zu kommen
Hazem Bader / AFP / Getty Images
15.07.2025
4Min

Die Lage in Gaza ist furchtbar, ohne Zweifel. Aber ist das, was dort passiert, tatsächlich Apartheid? Der Zentralausschuss des Weltkirchenrates sieht es so. Der Weltkirchenrat oder ÖRK ist ein weltweiter Zusammenschluss der meisten reformatorischen und orthodoxen christlichen Kirchen. Ende Juni 2025 hat der Zentralausschuss des Gremiums auf seiner Tagung in Johannesburg die Erklärung "Ein Aufruf zur Beendigung von Apartheid, Besatzung und Straflosigkeit in Palästina und Israel" verabschiedet.

Dieser Beschluss ist in Deutschland und der Schweiz auf starken Widerspruch gestoßen. Vor allem zwei Dinge wurden kritisiert. Zum einen, dass der Beschluss den Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023 völlig verschweigt und allein gegen Israel Vorwürfe erhebt. Zum anderen, dass im Beschluss steht: Der Weltkirchenrat "verlangt, dass die Realität der Apartheid beim Namen genannt wird: Wir anerkennen und verurteilen das System der Apartheid, das Israel dem palästinensischen Volk auferlegt und damit das Völkerrecht und das moralische Gewissen verletzt".

Verfolgt der Staat Israel ein "System der Apartheid", ist er gar selbst ein Apartheidstaat?

Wenn wir "Apartheid" sagen, denken wir mit guten Gründen an den Staat Südafrika, in dem seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit wachsender Verschärfung in der Tat ein System der Apartheid herrschte. Erst ab 1990 entwickelte sich dort nach einer langen Zeit zivilen wie gewaltförmigen Widerstands eine Zeit des Übergangs weg von der Apartheid hin zu einer pluralen Staatsform. Dieser Prozess fand mit der Wahl Nelson Mandelas zum Präsidenten in Südafrika 1994 seinen Abschluss.

Apartheid in Südafrika meinte ein ausgeklügeltes und sich immer weiter verschärfendes System an rechtlichen und politischen Verordnungen mit dem Ziel, "schwarze" und "weiße" Lebenswelten voneinander zu trennen und die Privilegien der weißen Bevölkerung zu sichern und auszubauen.

Was dies für das alltägliche Leben der schwarzen Bevölkerung bedeutete, kann man sich als Nichtbetroffener wohl nur annähernd vorstellen – etwa wenn man das eindrucksvolle Apartheid-Museum in Johannesburg besucht, das die Geschichte und Realität der Apartheid dokumentiert. Wenn die Besucher und Besucherinnen das Museum betreten, bekommen sie - durch Zufall generiert - eine Karte in die Hand, auf der entweder "Black" oder "White" steht. Beide Gruppen betreten das Museum durch zwei verschiedene Eingänge: die "Schwarzen" durch einen langen Gang von Hindernissen und Einschränkungen, die "Weißen" durch einen ebenso langen Gang mit Bequemlichkeiten und Privilegien. Dabei trennt eine Glaswand die beiden Gruppen, so dass man sich zwar sehen, aber nicht erreichen, berühren oder miteinander sprechen kann - Apartheid eben. Ein eindrücklicher museumsdidaktischer Versuch, Nichtbetroffenen wenigstens ansatzweise nahezubringen, was Apartheid bedeutete.

In einer ganz anderen Welt bewegt man sich, wenn man nach Israel blickt. Im israelischen Parlament, der Knesset, sitzen jüdische Parlamentarier ebenso wie palästinensische. An den Universitäten Israels forscht eine Palästinenserin zusammen mit einem jüdischen Kollegen. All das wäre in einem Südafrika der Apartheid nicht möglich gewesen.

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Aber - so wird gerne eingewendet - spricht nicht selbst der Internationale Gerichtshof in Den Haag nicht von einem Apartheidstaat Israel? Nein, tut er nicht. Der Gerichtshof hat - und das in der Regel zu Recht - viele Verstöße der Regierungen Israels als Verstöße gegen das Völkerrecht benannt. Und das ist gut so. Aber er hat nie von einem "System der Apartheid" gesprochen oder gar den Staat Israel als Apartheidstaat bezeichnet.

Ein weiterer Einwand lautet: Muss man den Begriff der Apartheid nicht ausweiten und von seiner geschichtlichen Abkunft aus dem Apartheidsystem Südafrikas befreien? Auch das halte ich für problematisch. Entgrenzungen und Ausweitungen von Begriffen führen in der Regel zur Bedeutungslosigkeit der Begriffe.

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Man kann dies sehr gut am Begriff der "Religion" sehen. In Teilen der Religionswissenschaft und auch der Theologie wurde in jüngster Zeit der Begriff Religion so ausgeweitet, dass schließlich auch der Besuch eines Museums oder der Gang ins Fußballstadion als religiöse Handlungen verstanden werden können. Nur ist das Ergebnis, dass solche Begriffsausweitungen dann alles und damit im Grunde nichts mehr, jedenfalls nichts mehr präzise bezeichnen. Nein – was Apartheid ist und was sie im Leben von Menschen bewirkt, das sehen wir am Beispiel Südafrikas. Und in diesem Lichte gesehen ist der Staat Israel kein Apartheidstaat.

Was bleibt dann? Die Kritik an der gegenwärtigen Politik der Regierung Netanjahu ist berechtigt. Verstöße gegen das Völkerrecht in Gaza und durch die Gewalt der radikalen Siedler im Westjordanland sind klar zu benennen. Das hat die frühere Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland getan, und das tut der gegenwärtige Außenminister.

Aber man tut gerade den Menschen in Gaza und im Westjordanland keinen Gefallen, wenn man die notwendige Diskussion und die notwendige Kritik mit dem Begriff der Apartheid befrachtet. Die Gewalt, unter der die Menschen dort unsäglich leiden, wird dann aufhören, wenn die letzten Geiseln der Hamas frei und im Kreise ihrer Angehörigen sind, wenn die unselige Uhr, die in Teheran das Ende des Staates Israel ankündigt, entfernt ist, und wenn sich dann eine vernünftige Regierung Israels den Gesprächen mit den umliegenden arabischen Staaten über eine friedliche Lösung der gegenwärtigen Konflikte zuwenden kann.

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