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Vor einigen Jahren besuchten wir unseren Sohn in Budapest, der dort studierte. Er hatte uns eine Wohnung besorgt, über Airbnb. Sie lag mitten im Zentrum, in einem riesigen Altbau mit ebenso riesigem Hinterhof und wirklich vielen Wohnungen. Als wir abends mit unseren Rollkoffern da ankommen, war der Hof voll belebt. Kinder spielten im Hof, Eltern saßen auf Stühlen vor ihren offenen Türen, durch die man in winzige Wohnungen blicken konnte. Alles war alt, etwas schäbig, heruntergekommen, allerdings: Einige Haustüren sahen schon von außen ganz anders aus - neue Fenster und Türen, Fußabtreter davor, Schlüsselcontainer an der Seite.
Auch unsere Wohnung gehörte dazu: Ikea-Schick über zwei Etagen, mit Nespresso-Maschine, Sofakissen und Pseudobüchern in den Regalen. Hier wohnte niemand mehr richtig, hier stiegen alle paar Tage neu Menschen ab wie wir: gut betuchte Touristen.
Jedes Mal, wenn wir die nächsten Tage dort ankamen oder weggingen, fühlte ich mich wie ein gemeiner Eindringling. Es war so offensichtlich, was in diesem Haus los war. Irgendeine reiche Investorin kaufte Wohnung für Wohnung auf, sanierte sie und vermietete nur noch an Touristen. Wie es wohl heute da aussieht? Sitzen da immer noch Omis in Kittelschürze vor ihrer Haustür und schälen Kartoffeln? Ich glaube nicht.
Überall fehlen Wohnungen und überall wird trotzdem Wohnraum zweckentfremdet, häufig illegal. Am augenfälligsten, gerade in der Reisezeit, ist "Airbnb". Ich freue mich darüber, dass das Thema zumindest in den Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung viel Platz einnimmt. Es gibt tolle Dokus im Radio und Fernsehen über den Widerstand in Barcelona, Mallorca, Venedig, aber eben auch in Deutschland.
Lesetipp: Doris Dörrie über neues Wohnen und die Rolle der Frauen
In vielen Städten ist die Politik aufgewacht und geht verstärkt gegen illegale Ferienwohnungen vor. Auch in Rothenburg ob der Tauber. Den dortigen Oberbürgermeister Markus Naser hatte ich im ZDF gesehen. Im Telefongespräch mit mir relativierte er seinen dort zitierten Satz, dass Airbnb in Rothenburg "verboten" sei. Nein, grundsätzlich verbieten könne die Stadt den Service nicht, aber gegen Missbrauch vorzugehen, das funktioniere sehr gut: "Wir sind eine kleine Stadt und kennen einander." Ein paar wenige Wohnungen in der historischen Altstadt dürfen legal vermietet werden. Alle paar Wochen schaut sein Team in die gängigen Vermietungsportale, kann so illegale Angebote schnell entdecken - und sich bei den Besitzern melden: "Wir probieren es immer erst mal im Guten", sagt Naser.
Zweckentfremdung von Wohnraum existiert nicht nur durch illegale Kurzzeitvermietungen an Touristen. Viel häufiger sind unbegründeter Leerstand, unerlaubte Vermietung von Wohnungen an Gewerbe und auch Überbelegung an beispielsweise Saisonarbeiterinnen, Bauarbeiter oder Handwerker aus dem Ausland.
In meiner Heimatstadt Hamburg war ich kürzlich für eine Recherche für die Wochenzeitung ZEIT mit einem Bezirksamtsteam unterwegs, die zweckentfremdeten Wohnraum suchen, finden und dagegen vorgehen. Ich war schwer beeindruckt davon, wie zielgerichtet die wirklich engagierten Leute, vom Sachbearbeiter bis zu Polizistin, agierten und wie schwer die Konsequenzen bei Missbrauch tatsächlich sind.
Unvergesslich für mich ist der schockierte Eigenheimbesitzer, der auf hohe Strafzahlungen hingewiesen wurde, weil sein Haus in dem ruhigen Villenviertel im Norden Hamburgs schon Monate leer stand. Angeblich sei es unvermietbar, berichtete er. Falsch, sagte das Team vom Bezirksamt und ordnete die "Aufnahme der Wohnnutzung" an. Und zwar ziemlich subito. Der Hausbesitzer war perplex: "Das ist doch mein Haus? Damit kann ich doch machen, was ich will?"
Kann er eben nicht. "Eigentum verpflichtet" - was für ein schöner Satz, den ich an diesem Tag mehrmals hörte.
Ein stärkendes Erlebnis. Verwaltung kann vielleicht viel öfter, als wir es realisieren, funktionieren und sie handelt dann in unserem, dem gesamtgesellschaftlichen Sinne.
Ich kann nun für Hamburg und Rothenburg sagen, wie dort gegen "Wohnraumzweckentfremdung" vorgegangen wird, aber wie sieht es bei Euch, bei Ihnen in der Stadt, in der Kommune aus? Stehen Häuser oder Wohnungen in der Nachbarschaft leer? Hängen Schlüsselcontainer am Eingang der Wohnungen in der Etage unter Euch? Seht Ihr häufig Rollkoffer-Menschen dort ein- und ausgehen?
Ja, das klingt nach fiesem Denunziantentum. Nach Blockwart und Schnüffelei.
Doch was viele von uns nicht wissen: Privates Spekulantentum mit Wohnraum ist weit verbreitet und richtet einen gesamtgesellschaftlichen Schaden an. Große internationale Wohnungsbaugesellschaften, die stehen oft im Fokus. PR-wirksam fordern wir ihre Enteignung. Doch der nette Nachbar von nebenan, vielleicht sogar Mitglied der eigenen engagierten Baugemeinschaft? Den anzeigen? Das macht man doch nicht…
Doch, sollten wir machen. Im Team vom Hamburger Bezirksamt können sie nur losziehen, wenn sie genau solche Meldungen haben. Aus anderen Städten höre ich ähnliches. Oft ist so eine Meldung auch anonym möglich.
Meine geschätzte Kollegin Angelika Majchrzak-Rummel habe ich hier ja schon vorgestellt. Die Fachanwältin für Wohnrecht empfiehlt einen Blick auf diese Webseite mit einem Überblick über die rechtliche Situation im ganzen Land.
Mein Tipp hier: Informiert Euch, seid aufmerksam. Nicht immer muss man gleich anzeigen. Ein Gespräch, so wie in Rothenburg ob der Tauber, kann oft helfen.
PS: Noch ein Sendetipp zum Nachgucken. In der schönen Doku: "Wie retten wir unsere Städte?" besucht der TV-Journalist Christian Sievers vom ZDF nicht nur deutsche Innenstädte und zeigt auf, was wir alle tun können, damit sie nicht langsam vor sich hinsterben. Dort spricht er auch mit Daniel Zimmermann, Oberbürgermeister, den hatten wir schon mal porträtiert. Schön, dass er immer noch engagiert ist.