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Ich habe aufgegeben. Nach einigen Tagen strikten Eintragens hatte ich auch die neue Kalorienzähl-App gelöscht. Es blieben in mir gemischte Gefühle. Da war einerseits das schlechte Gewissen, mal wieder nicht durchgehalten zu haben, zu wenig diszipliniert zu sein; andererseits spürte ich auch eine große Erleichterung. Endlich wieder durch den Tag gehen, ohne ständig an Essen zu denken. Oder besser gesagt: an das Essen, das ich besser nicht essen sollte.
Kaloriendefizite - Trennkost – low carb – Intervallfasten – viele kleine Mahlzeiten – nur drei Hauptmahlzeiten – Keto - high protein: die Liste der Ernährungs-Trends der vergangenen Jahre scheint endlos. Und hinter jedem Trend steht mittlerweile ein Business: neue Produkte, Social-media-Accounts und Kochbücher prasseln auf einen ein und vermitteln das Gefühl: Don’t miss it!
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Oft war ich dabei. Ich habe Kohlenhydrate weggelassen, Kohlsuppen gekocht oder 14 bis 16 Stunden zwischen zwei Mahlzeiten vergehen lassen. Doch einen dauerhaften Weg habe ich damit nicht finden können. Die Phasen waren geprägt von Verzicht und durchhalten müssen. Surprise, surprise: Nach einigen Wochen oder Monaten hatte ich die Schnauze voll und habe es wieder sein lassen.
Dieses Mal kam die Entscheidung zum Aufhören sehr viel schneller und ich hoffe auch wirklich dauerhaft. Schluss mit allen Diäten.
Auslöser war der Artikel einer Ernährungswissenschaftlerin: Sie erklärte, was während einer Diät im Gehirn passiert. Während der Hypothalamus – das Hungerzentrum - runterfährt, steigt im gleichen Zug das Hungerhormon Ghrelin. Es vermittelt permanent ein Hungergefühl. Eben dieses Hormon hatte früher die Aufgabe, die Urmenschen zur Jagd zu motivieren. Heute treibt es uns an den Kühlschrank, denn wir können während einer Diät buchstäblich an nichts anderes mehr denken als an die nächste Mahlzeit. Was für ein Krafträuber!
Also: keine strengen Regeln mehr. Stattdessen steht nun auf meiner Agenda: besser fühlen lernen, was ich brauche. Wann habe ich wirklich Hunger?
Im Zentrum der intuitiven Ernährung steht, das eigene Hunger- und Sättigungsgefühl richtig und rechtzeitig wahrzunehmen. Klingt simpel, ist es in unserem hektischen Alltag aber häufig nicht. Oft essen wir, wenn wir gerade die Gelegenheit dazu haben. Zur vorgegebenen Mittagspause im Büro. Auf dem Sprung, zwischen zwei Terminen. Nicht unbedingt dann, wenn unser Bauch meldet: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt.
Dabei geht es auch anders, ich muss mir das nur bewusst machen. In meinen Schwangerschaften beispielsweise hatte ich viel stärker in mich hineingehört und überraschende Antworten bekommen. An dem einen Tag fiel ich über Rohkost her, an einem anderen landete ich bei Kartoffelstampf mit Quark. Ich hörte auf meinen Körper und es funktionierte; wenn ich Kohlehydrate brauchte, gönnte ich sie mir.
Oder noch ein Beispiel: Magen-Darm-Effekte. Da nämlich befolgte ich schon lange und schon immer den Tipp meiner Ärzte: Das, worauf du jetzt Appetit hast, verträgt dein Körper auch schon wieder. Wenn dir der kräftige Eintopf das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, wird dein System ihn auch vertragen. Hat mich noch nie getäuscht.
Ich bin ein Tellerkind und esse in der Regel alles auf, was drauf ist. Dabei essen wir oft über unseren Sättigungsgrad hinaus – weil wir verlernt haben, ihn zu spüren. Langsamer essen, mehr kauen. Auch eine Binsenweisheit, aber ich halte mich jetzt viel strikter dran.
Ich lege das Besteck kurz zur Seite, mache ein paar bewusste Atemzüge. Und wenn ein Rest auf dem Teller bleibt, wird der halt später oder morgen gegessen. Und ich denke nicht mehr Sätze wie, "bei der kleinen Menge lohnt sich das nicht, die esse ich schnell noch auf".
Oft habe ich bisher gegessen, wenn ich einfach nur müde war. Ein schneller Snack, so schien mir, würde helfen. Auch hier trainiere ich jetzt Innehalten und Nachspüren, was mein Körper gerade wirklich braucht. Ist es vielleicht ein 10-Minuten-Nap oder einfach ein Moment an der frischen Luft?
Wenn wir uns bewusst machen, wie unterschiedlich wir alle sind, kann es eigentlich nur einen einzigen Ernährungsberater geben, auf den wir hören sollten: unseren eigenen Körper. Meiner trägt mich seit 44 Jahren tapfer durch mein buntes Leben. Ich werde ihm jetzt öfter Fragen stellen - und freue mich auf seine klugen und maßgeschneiderten Ratschläge.