Susanne Breit-Kessler - leer gegessener Teller
sbk
Kein Zwang bitte!
Es ist eine Unsitte, sich den Bauch vollzuschlagen, um nichts übrig zu lassen
08.02.2023

Aufgegessen. Brav gewesen. Viele Menschen sind so groß geworden - mit dem pädagogisch wertlosen Hinweis, dass es gutes Benehmen zeigt, wenn man seinen Teller leer futtert.  Weil alles seinen Grund hat: Vielleicht stand hinter solchen Erziehungsmethoden die Erfahrung von Not und Hunger, das Erleben von Zeiten, in denen es nichts gab und es deshalb gut und sinnvoll war, sich gestärkt zu haben, wann immer das möglich war.

Andere hörten immer wieder den Spruch: „Iss auf, dann gibt es morgen gutes Wetter“. Mich stimmte das als Kind sehr nachdenklich. Welchen Bezug gibt es zwischen meinen Nudeln und den Temperaturen draußen? Wenn ich aufesse und die anderen nicht, was passiert dann? Scheint über meinem Kopf die Sonne und über den schnell Gesättigten regnet es? Warum gibt es Sturm, obwohl ich aufgegessen habe? Alles Unfug, resümierte ich schon früh.

Der Spruch kommt, so hat es Michael Krumm, Literaturwissenschaftler aus Lauenburg, erklärt, aus dem Plattdeutschen. Da heißt es: „Wenn du dien Teller leer ittst, dann gifft dat morgen goodes wedder“. Die letzten beiden Worte bedeuten aber nicht „gutes Wetter“ sondern „wieder Gutes“: Der Koch oder die Köchin freut sich über leere Teller und schwingt sich am nächsten Tag hochmotiviert an den Herd, um frisches Essen zu produzieren.

Kinder zum Aufessen zwingen? Geht gar nicht

Das leuchtet ein. Ich freue mich auch, wenn es meinem Mann schmeckt und er keine Reste zurücklässt. Trotzdem ist es wichtig, niemanden, vor allem Kinder nicht, zu nötigen, alles zu verputzen, was serviert wird. Manchmal erzeugt man dadurch Abneigungen gegen Lebensmittel, die sehr bekömmlich wären. Ich kenne Leute, die essen keine Rote Bete, Stachelbeeren, Zwiebeln oder Tomaten, weil sie früher dazu gezwungen wurden. Schade.

Was noch ärger ist: Wer von klein auf unter Druck gesetzt wird, hemmungslos in sich hineinzuschaufeln, der isst regelmäßig mehr, als er oder sie braucht. Man verlernt, auf das eigene Sättigungsgefühl zu achten. Essen bereitet keine Freude mehr, sondern wird zu einem dickmachenden Automatismus. Manchmal geschieht auch das Gegenteil: Man mag gar nicht  mehr essen, weil man ständig soll  - und verweigert irgendwann die Nahrungsaufnahme. 

Also: Aufessen, obwohl man satt ist, zeigt weder gute Manieren, noch macht es schönes Wetter oder eine annehmbare Figur. Meine Eltern, beide Kriegsgeneration und dankbar für alles, was es nach dem Elend gab, mahnten mich stattdessen, die Augen nicht größer werden zu lassen als den Magen. Also genau darauf zu achten, was ich brauche, um den Hunger zu stillen und was nicht. Eine weise Regel. Der Teller war leer und ich nicht voll.

Was es für Inspirationen gibt, um anständig mit Resten umzugehen, die dennoch gelegentlich entstehen, lesen Sie immer wieder in diesem Blog. Und falls Sie sich fragen, warum oben auf dem Teller nichts mehr zu sehen ist: Da waren vier Kartoffelkroketten mit Scamorza und Schinken drauf, dazu ein Häuchlein Trüffelmayonnaise. Davon konnte ich leider nichts übriglassen. Noch nicht mal zum Anschauen.

Vom Blog zum Buch:

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Kolumne

Susanne Breit-Keßler

Essen und Trinken hält Leib und ­Seele zusammen. Und darüber Neues zu lesen, macht den Geist fit. Viele Folgen lang hat Susanne Breit-Keßler Ihnen Woche für Woche ihre Gedanken dazu aufgeschrieben und guten Appetit gewünscht. Im Sommer 2024 endete die Kolumne. Die Texte sind weiter im Archiv abrufbar.