Wutausbrüche bei Kindern
Ganz viele kleine und ganz große Dramen jeden Tag. Wir können als Erwachsene vielleicht davon lernen
Cavan Images/Getty Images
Wutausbrüche
Ich. Will. Aber.
Manchmal nerven mich die scheinbar belanglosen Wutausbrüche meines Sohnes. Aber können wir Erwachsene nicht auch etwas über unsere eigenen Gefühle von ihnen lernen?
Tim Wegener
29.05.2025
3Min

Neulich hatte mein Sohn zwei waschechte Wutausbrüche. Der erste verlief wie das klassische Drehbuch eines schlechten Werbespots: Bitterlich weinend schmiss er sich auf den Boden, trommelte mit seinen Fäustchen gegen die Badfließen und rief "Nein! Nein! Nein!" Beim zweiten saß er im Fahrradsitz und warf den Kopf in den Nacken, um mit einem zutiefst frustrierten Heulen dafür zu sorgen, dass in der Nachbarschaft die Fenster aufgingen.

Was war geschehen, das solch herzzerreißende Dramen rechtfertigte? Hatte ich ihm sein Lieblingskuscheltier geklaut? Durfte er keine Schokolade mehr essen? War seine Holzeisenbahn in Flammen aufgegangen? Weit gefehlt.

Im Bad war der Auslöser, dass ich anfing, Zähne zu putzen. Er wollte aber nicht, dass ich jetzt Zähne putze: "Nein, Papa, nicht Zähne putzen jetzt!" So leid es mir tat, ich konnte seinem Wunsch nicht nachkommen. Vor allem, weil er keine Begründung lieferte. Er wollte einfach nicht, dass ich Zähne putze. "Nein! Nein! Nein!" Später im Hof, als ich ihn in den Fahrradsitz hievte, war der Anlass, dass er kurz davor die Mülltüte mit den Windeln in den "falschen" der drei identischen Restmülltonnen geworfen hatte. Ich weigerte mich, sie wieder herauszuholen, damit er sie woanders hineinwerfen kann. Es folgte ein Heulkrampf.

Ich muss zugeben: Beide Ausraster konnte ich nur bedingt ernst nehmen. Anfangs war ich genervt über den Gefühlsausbruch, aber dann habe ich darüber nachgedacht, warum er so heftig reagiert. Mein Sohn lernt ja erst noch, seine Umgebung und alles, was um ihn herum geschieht, emotional einzuordnen und seine Gefühlswelt angemessen zu regulieren. Wann sind welche Gefühle angebracht? Wann vielleicht übertrieben? Ist das, was ihn stört, ein kurzzeitiges Problemchen oder hat es ernsthafte Auswirkungen auf sein Leben? Fragen, deren Antworten man von einem Zweijährigen vielleicht noch nicht erwarten kann.

Was für mich also eine Lappalie darstellt, ist für ihn eine mittelschwere Katastrophe. Dabei guckt er natürlich auch, wie sein Umfeld auf diese Ausraster reagiert. Lassen wir Eltern uns darauf ein und sind echt besorgt? Wollen wir es ihm sofort recht machen? Dann war es ja wohl richtig, zu zetern und zu weinen. Oder erntet er nur irritierte Blicke und Schulterzucken? Das führt vielleicht dazu, dass er irgendwann nicht mehr in Tränen ausbricht, nur weil ausgerechnet Papa die Bananenschale vom Tisch geräumt hat und nicht Mama.

Die Welt, wie wir sie uns vorstellen und wünschen und die Welt, wie sie dann wirklich ist - das geht leider oft auseinander. Damit irgendwann leben zu können, gehört zum Erwachsenwerden dazu. Man nennt das Frustrationstoleranz.

Andererseits beeindruckt es mich, wie unverstellt traurig oder wütend mein Sohn auf manche Dinge reagiert. Da ist (noch) kein Filter, keine kulturelle oder anerzogene Barriere, die seine Gefühle in ein gesellschaftlich akzeptiertes Regelkorsett zwängt. Findet er etwas doof, wird es unumwunden kommuniziert. Findet er es super, dann auch. Als Erwachsene sind wir eher kontrolliert. Wie oft schluckt man zum Beispiel Ärger über einen Vorgesetzten oder Freude über einen erfolgreichen Projektabschluss einfach hinunter, weil es sich nicht ziemt, das herauszulassen?

Wäre es nicht schön, wenn wir Erwachsene auch öfter mal wieder unsere Gefühle so ehrlich zum Ausdruck brächten? Es ist ja auch ungesund, ständig alles in sich hineinzufressen und den Frust herunterzuschlucken - oder die Freude.

Wie wäre es, wenn wir bei der nächsten Gehaltserhöhung einfach laut losjubeln würden? Oder über den Parkplatz hüpfen, weil das alte Auto nochmal durch den TÜV gekommen ist? Das funktioniert natürlich auch andersherum: Wenn mir das nächste Mal beim Bäcker eine ältere Dame in der Schlange das letzte Croissant vor der Nase wegschnappt, werde ich in Tränen ausbrechen, gegen die Auslage trommeln und laut rufen: "Das wollte aber ICH haben!" Mal sehen, was dann passiert.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.

Kolumne

Michael Güthlein
,
Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (2) und drei Kinder (11, 10, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen; sie schreiben im Wechsel.