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Neulich war ich im Teutoburger Wald und in Detmold. Zusammen mit meiner Freundin, die in der Region lebt, spazierten wir durch die Straßen, tranken ein Käffchen und ich staunte: So viel unaufgeregtes, lebendiges Stadtleben ist mir schon lange nicht mehr begegnet. Inhabergeführte Geschäfte, Kneipen, verkehrsberuhigte Straßen, Plätze, überall Bäume, Wasserkanäle. Beim sogenannten "Hitzecheck" 2024 hat Detmold den ersten Platz belegt. Allein der Schlossplatz umfasst 18 000 Quadratmeter und wird gerade umgestaltet. Noch mehr Aufenthaltsqualität. Noch mehr Grün.
Das alles ist nicht selbstverständlich, sondern auch das Ergebnis eines harten Kampfes der Einwohner von Detmold, erzählte mir meine Freundin. Denn vor vielen Jahrzehnten hatte man hier ein autogerechtes Detmold geplant, wollte die viele Altbauten abreißen und große Straßen und Parkplätze im Zentrum anlegen. Dazu kam es nicht, es gab eine schnelle und erfolgreiche Gegenwehr gegen die Pläne. Well done, Detmold, kann ich da nur sagen.
Auf dem Nachhauseweg mit dem Auto passierten wir das Städtchen Barntrup. Es hat einige tausend Einwohner. Ich sah allerdings nur eine hübsche Silhouette aus der Ferne, denn wir nutzen die nagelneue Umgehungsstraße: gewaltig große Straßen mit einem Verkehrskreuz, so groß, wie ich es sonst eher aus Frankfurt oder Berlin kenne.
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Meine Freundin findet das komplett aus der Zeit gefallen. Sie erzählte mir, dass die Planungen dafür aus den 1970er Jahren stammten. Als es vor wenigen Jahren um die Umsetzung ging, gab es Widerstand: von den Grünen, den Bauern und Wanderfreunden, denn die riesigen Trassen durchschneiden ein Landschaftsschutzgebiet. Am Ende wurden sie gebaut und wirken im Luftbild von oben und beim Befahren wie ein Beton-Alien in der Landschaft. "Alle Bedingungen haben sich geändert", schimpft meine Freundin, "aber die Planung blieb."
Wie kann das sein? Wieso werden immer noch so oft Pläne umgesetzt, die uralt sind und in ihrer Entstehungszeit von anderen Voraussetzungen ausgingen? Niemand plant mit Absicht rückwärtsgewandt. Doch niemand kann mit Sicherheit heute sagen, was uns in 40 Jahren bewegt.
"Bebauungspläne sind das wichtigste rechtliche Instrument, um dem im Grundgesetz (Art. 28 Abs. 2) begründeten Auftrag gerecht zu werden, die örtlichen Angelegenheiten als Gemeinde im Sinne einer nachhaltigen und gerechten Bodenordnung zu gestalten", schreibt das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) Berlin und führt aus: "Bebauungspläne sind als Satzungen (oder Rechtsverordnungen) rechtlich verbindlich und werden aus dem Flächennutzungsplan (vorbereitenden Bauleitplan) der Gemeinde entwickelt."
Wer tiefer einsteigt, stößt auf Ausnahmeregelungen, auf das Baugesetzbuch und viele weitere Regelungen. Und weil sie so wichtig sind, wird über Bebauungspläne in Politik und Gesellschaft häufig intensiv gestritten. Manchmal vergehen Jahre vom Beschluss bis zur Umsetzung, manchmal geht es schnell. Manchmal wird widersprochen, manchmal nicht. Die Rechtslage ist kompliziert und komplex.
Malte Siegert vom NABU in Hamburg kennt sich aus mit Einsprüchen gegen Bebauungspläne. Denn in den vergangenen Jahren sind es wie in Barntrup häufig die Landschaftsschützer und Naturschutzverbände, die sich gegen große, aus ihrer Sicht oft klimaschädliche Bauvorhaben, engagieren. Sie gelten als "Anwälte der Natur" und haben daher weitgehende Rechte, sich eben auch gegen Bebauungspläne zu wehren.
Der NABU-Hamburg hat zusammen mit dem BUND Klage beim Verwaltungsgericht Leipzig gegen den Bau einer neuen Autobahn in Hamburg eingereicht. Es geht um ein zehn kilometerlanges Teilstück im Süden der Stadt, die A26 Ost. Auch diese Pläne sind Jahrzehnte alt, auch hier haben sich aus Sicht der Klimaschützer die wichtigsten Voraussetzungen für die Notwendigkeit des Baus verändert. Das gilt für die Bedarfsbegründung ebenso wie für die Finanzierung.
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Ich verfolge den Widerstand gegen dieses Projekt schon lange, habe mir die entsprechenden Pläne angesehen und mich zusammen mit über 28 000 anderen Menschen in Hamburg an einer Petition dagegen beteiligt. Denn ich finde, die Gründe gegen diesen Mammutbau (geschätzte Kosten 240 Millionen Euro pro Kilometer) wiegen schwer.
Das Autobahnteilstück wurde teuer und aufwendig mit einer 50 Meter hohen Elbbrücke geplant, damit große Kohleschiffe das damals noch existierende Kohlekraftwerk Moorburg hätten erreichen können. Das Kraftwerk ist mittlerweile stillgelegt und abgerissen. Doch die Pläne sind geblieben. Viele Menschen, die ich kenne, unterstützen den Bau trotzdem. Sie finden, dass wir nicht immer wieder alles neu ausdiskutieren sollten. Sie finden, es muss vorangehen in diesem Land. Die Wirtschaft brauche neue Bauvorhaben, Wachstum, eben auch neue moderne Verkehrswege.
Das alles mag stimmen. Es geht ja auch nicht darum, gar nichts zu verändern. Es geht um Anpassung und Modifizierung, um agiles Arbeiten, wie wir es in so vielen Bereichen unseres täglichen Lebens mittlerweile kennen. Bebauungspläne jedoch wirken manchmal wie festgetackert.
Aus dem Gespräch mit Malte Siegert vom NABU-Hamburg streiften wir all das und eines, was er sagte, geht mir nicht aus dem Kopf: "Natürlich will das keiner mehr ändern, wenn es endlich durch ist". Denn ist der Beschluss einmal da, kommen die ersten Aufträge rein, es fließen Gelder und Fördermittelzusagen. Wer jetzt politisch - trotz besseren Wissens um mittlerweile mangelnden Bedarf oder unverhältnismäßig gestiegene Baukosten-Projekte - ändern oder sogar streichen würde, riskiert die wirtschaftliche Existenz anderer, möglicherweise Arbeitsplätze, den Verlust von Fördergeldern. Ein großes Dilemma - angesichts dessen offenbar oft entschieden wird: "Augen zu und durch."
PS: In Venedig läuft bis 23. November die Architektur-Biennale. Im Deutschen Pavillon geht es vor allem um Klimaschutz, Hitzestress und die Möglichkeiten der Bauwirtschaft, zeitgemäß auf diese Herausforderungen zu reagieren. Dass das alles kein Wunschdenken bleiben muss, sondern Realität werden kann, zeigt das Beispiel Dänemark - Dokufolge auf Arte.