Hey, Deutschland, mach dich mal hyggelig!
So entspannt kann Autofahren sein - wie hier in Dänemark
Michal Fludra/NurPhoto/picture alliance
Sicherer Reisen
Hey, Deutschland, mach dich mal hyggelig!
Sind Sie gesund aus dem Osterurlaub zurück? Schön! Wir haben uns auf dem Weg dorthin fast totfahren lassen - und in Dänemark gelernt, mit welch einfachen Mitteln wir eine rücksichtsvollere Gesellschaft werden könnten
Tim Wegner
28.04.2025
3Min

Diese Zeilen wären beinahe nie erschienen. Oder ich hätte sie diktieren müssen, mit eingegipsten Armen. Zum Glück kam es anders.

Ich weiß nicht, warum ich zögerte, als ich auf der Fahrt in den Urlaub von der mittleren auf linke Autobahnspur wechseln wollte, um einen Lkw zu überholen, der auf der A5 wiederum an einem Brummi-Kollegen vorbei wollte. Ich hatte über die Schulter geblickt, wie vorgeschrieben. Da war nichts. Ich hatte in Außen- und Rückspiegel geschaut. Mehrfach. Es waren Autos auf der linken Spur unterwegs, aber sie waren noch weit weg. Also Blinker setzen und los? Dann hätte es geknallt! Plötzlich schossen zwei Autos an uns vorbei, so rasend schnell, dass unser Auto wackelte. Ich glaube nicht, dass wir eine Chance gehabt hätten. Trümmerfeld, Blaulicht, Vollsperrung. Es war ein Moment des Wahnsinns, der aber auf deutschen Autobahnen Normalität ist.

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An unserem Urlaubsziel in Dänemark lief es viel besser. Dort gilt ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen (es waren früher sogar noch weniger), von 80 km/h auf Landstraßen und 50 km/h innerorts. In fast jeder Stadt, in fast jedem Dorf leuchten blickende Lichter über Zebrastreifen. Am Ortseingang zeigen Tafeln die eigene Geschwindigkeit an. Die Strafen sind hoch, und alle wissen das.

Die vier Stunden Fahrt in unserem nördlichen Nachbarland waren die entspanntesten auf der ganzen Reise. Besonders auf den dänischen Autobahnen. Niemand drängelte, der Verkehr glitt ruhig dahin, keiner bremste hektisch ab und zwang die nachfolgenden Fahrerinnen und Fahrer dazu, in die Eisen zu gehen - was auf deutschen Autobahnen regelmäßig zu Staus aus dem Nichts führt, weil die Autos so unterschiedliche Geschwindigkeiten haben. Am Verkehrsaufkommen lag es nicht. Es war viel los. Reiseverkehr eben. Ganz ähnliche Erfahrungen haben wir bei Reisen in die Schweiz, nach Österreich oder in die Niederlande gemacht.

Warum tun wir uns diesen Stress an? Das ist die falsche Frage! Die richtige wäre: Warum hört die Politik auf eine Minderheit? Im Koalitionsvertrag von Union und SPD taucht das Wort "Tempolimit" gar nicht erst auf. In Umfragen gibt es aber immer wieder Mehrheiten für eine verbindliche Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen. Immerhin bekennen sich die Koalitionspartner zum Ziel, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen (das Bundesverfassungsgericht hat allerdings schon vor Jahren deutlich gemacht, dass die Politik sich daran auszurichten hat). Ein Tempolimit würde sofort helfen, diesem Ziel einen Schritt näherzukommen.

Zudem würde es Autobahnen sicherer machen. Forschungsergebnisse zeigen klar: Auf Autobahnabschnitten, auf denen phasenweise ein Limit galt, gab es signifikant weniger Unfälle. Wären wir langsamer auf Landstraßen unterwegs, wäre der Effekt noch größer. Denn auf Landstraßen waren 2023 fast 60 Prozent der 2839 Verkehrstoten zu beklagen. Und nach jedem Unfalltoten leiden viele Menschen - Angehörige, der Freundeskreis, die Rettungskräfte, Seelsorger… Warum tun wir uns das an?

Fragen zu stellen, die an die Vernunft der Menschen und der Politikerinnen und Lobbyisten appellieren - das führt oft nicht zum Ziel. Reine Sachinformationen auch nicht, sonst hätten wir bereits einen allumfassenden Klimaschutz. Doch das Informationsdefizitmodell, das hinter dieser Annahme steht, ist längst widerlegt.

Ich glaube, Vorbilder und gute Erfahrungen ziehen mehr. Also: Die Dänen gelten als eines der glücklichsten Völker. Es gibt ein Wort dafür, das es sogar in den Duden geschafft hat, weil viele Deutsche es offenbar als nachahmenswert empfinden: "Hygge" steht für "Gemütlichkeit, Heimeligkeit als Lebensprinzip". Okay, es gibt gemütlichere Orte als Autobahnen. Und doch sind es Orte, an denen man in Dänemark lernen kann, wie man in einer Gesellschaft besser und rücksichtsvoller miteinander umgehen kann, damit es überhaupt "Hyyge" werden kann.

Hey, Deutschland, mach dich mal hyggelig!

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Kolumne

Nils Husman

"Wir müssen die Schöpfung bewahren!“ Da sind wir uns alle einig. Doch was heißt das konkret? Nils Husmann findet, wer die Schöpfung bewahren will, sollte wissen, was eine Kilowattstunde ist oder wie wir Strom aus Sonne und Wind speichern können – um nur zwei Beispiele zu nennen. Darüber schreibt er - und über Menschen und Ideen, die Hoffnung machen. Auch, aber nicht nur aus Kirchenkreisen.