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Manche Gespräche klingen länger nach – so eine Unterhaltung, die ich vor einigen Tagen über Musik geführt habe. Sie hat mich aufmerksam werden lassen für die dunklen und tiefen Töne, die unverzichtbar sind für ein erfülltes Leben, die heute aber häufig übertönt werden.
In meinen Podcast "Draußen mit Claussen" hatte ich Christian Kuhnt eingeladen, den Intendanten des Schleswig-Holstein Musikfestivals. Wir sprachen über klassische Musik und Pop, darüber, wie man möglichst viele Menschen Kultur erleben lässt, die keine Bildungsbürger sind, und was ein Musikfest für einen ländlichen Raum bedeutet. Dann stellte ich ihm die schlichte, schwierige Frage, welche Art von Musik für ihn persönlich am wichtigsten sei. Christian Kuhnt antwortete:
"Ich möchte diese schöne Traurigkeit, die sich mir in einem langsamen Satz eines Klavierkonzertes von Mozart so eindrücklich darstellt, mit anderen teilen. Ich bin ein großer Fan von Balladen. Ich könnte drei Tage lang ununterbrochen Balladen hören, weil ich diese Schönheit in der Traurigkeit so mag. Ich glaube, dass dies in Zeiten der emotionalen Verrohung wichtig ist. Wir können jeden Abend in eine Comedy-Show gehen, aber diese tief empfundene Traurigkeit, die nichts mit Depression zu tun, die uns reflektieren lässt, die uns schwach sein lässt, die uns niemals über andere stellt, ist ein hoher Wert, den ich vielen Menschen zugänglich machen möchte. Diese Verletzlichkeit ist das Entscheidende, worum es mir in der Musik geht."
Man könnte das ergänzen. Unsere mediale, besonders die digitale Welt setzt auf schnelle emotionale Entladung – im Witz und in der Wut. Dabei dienen beide dem Zweck, sich über andere zu erheben, sich über andere lustig zu machen oder zu empören: Ich lache oder schimpfe über andere und bleibe so in einer vermeintlich festen Position – aggressive Selbstvergewisserung auf Kosten anderer. Das schadet am Ende mir selbst und uns allen. Deshalb hat es auch eine indirekt politische Bedeutung, welche Musik wir hören.
Echte, wahre, schöne Musik liefert keinen flinken Impuls. Sie braucht Zeit. Sie öffnet und weitet den Sinn, hilft beim Ablegen der Rüstung, rührt an, verbindet uns mit dem eigenen Lebensgrund und lässt uns den Schmerz anderer Menschen mitempfinden. Wenn ich die Playlist meines Lebens anschaue, fällt mir auf, wie viel traurige Musik darin zu finden ist: Klaviersonaten von Beethoven, "What’s Going on" von Marvin Gaye, "Blue" von Joni Mitchell, "One" vom sterbenskranken Johnny Cash, Sommer-Melancholien von João Gilberto und nicht nur für heute "O Haupt voll Blut und Wunden", Bachs Johannespassion. Es ist Musik, die mich still werden lässt.
In diesen Tagen wird wieder über das Tanzverbot am Karfreitag diskutiert. Das ist nicht neu und hat sein Recht. Denn christliche Traditionen gelten nicht mehr einfach so, sondern müssen begründet werden. Was also ist der Sinn eines stillen Feiertages wie des Karfreitags nicht nur für Christen, aber auch für nicht-religiöse Menschen?
Er lässt Abstand nehmen lässt von dem routinierten Wechsel aus Produzieren und Konsumieren, Arbeiten und Spaßhaben, Betrieb und Party. Dieser eine von insgesamt 365 Tage bietet die seltene Gelegenheit, etwas anderes in den Mittelpunkt stellen, was aber für ein erfülltes Menschsein unverzichtbar ist: die Stille, das Spüren der eigenen Verletzlichkeit, das Gedenken an Schmerz und Tod, das Mitleid und die Trauer. All das würde in einer Gesellschaft, die ausschließlich auf Spaß gepolt wäre, ortlos sein. Das wäre ein Verlust – nicht nur für Christen, sondern für alle Menschen dieses Landes. Insofern ist der Karfreitag eine gute Gelegenheit, in Ruhe und Konzentration traurige Musik zu hören.