Der Alltag kann vieles sein – hektisch, Routine, hoffentlich auch bunt und schön. Ein Thema aber hat selten einen Platz: der Tod. "Was kann ich noch für dich tun, wenn du einmal stirbst?" Das ist eine schwierige Frage, aber Christine Krause, Geschäftsführerin des Würdezentrums in Frankfurt am Main, Altenpflegerin und Pflegemanagerin, rät trotzdem dazu, sie zu stellen. Und hat einen Tipp, wie man Gelegenheiten schafft. Zum Beispiel, wenn man mit dem hochbetagten Vater einen Film schaut, in dem ein Mensch stirbt. Dann könne man sagen: "Oje, so möchte ich mich nicht quälen müssen – wie siehst du das eigentlich?"
Sterben ist ein Prozess
Ein Mittwochabend im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. Im ersten Stock eines Bürogebäudes besuchen 13 Menschen einen Letzte-Hilfe-Kurs. Unten auf der Straße rauschen Busse, Autos und Menschen auf Fahrrädern vorbei. Das pralle Leben, während es oben ums Sterben geht. Ganz praktisch. Denn wer im Sterben liegt, möchte nichts mehr trinken und lässt den Mund offenstehen. Lippen und Mundhöhle trocknen aus.
Conny Sciborski, gelernte Altenpflegerin und zweite Referentin an diesem Abend, und Christine Krause verteilen Stäbchen an die Gäste. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Lollis. Aber an der Spitze ist Schaumstoff angebracht, den man befeuchten kann, um Lippen und Mundhöhle abzutupfen. Das lindert. Mit Wasser? Nicht unbedingt.
Sterben ist ein Prozess, auf den das ganze Leben zuläuft. Alle wissen es, aber vielen macht der Gedanke Angst. Einige der Kursbesucher im Würdezentrum erzählen, sie kümmerten sich gerade um Menschen, die krank oder alt sind und vermutlich schon bald sterben müssen. Wie wird das sein? Wie kann man ihnen zur Seite stehen?
Und was passiert eigentlich, bevor und wenn wir sterben? (Das hier im Text verlinkte Video war auch Teil des Letze Hilfe-Kurses, Anm. d. Redaktion.) Der Körper von älteren oder sehr kranken Menschen spult ein regelrechtes Programm ab, das eine ganze Weile vor dem Tod beginnen kann. Nicht alles muss, vieles aber kann so kommen, dass Angehörige, Freundinnen und Außenstehende die Zeichen lesen lernen können. Auch wenn es wehtut.
Menschen, die bald für immer gehen werden, haben wenig Energie. Es kann sein, dass sie kein Interesse mehr an Dingen zeigen, die ihnen immer wichtig waren. Christine Krause erlebt das gerade mit ihrem Vater. Der war Fernfahrer, konnte ihr auch im Ruhestand immer sagen, auf welcher Strecke die größte Staugefahr besteht – vorbei, es kümmert ihn nicht mehr. Es kann auch passieren, dass Besuch nicht mehr willkommen ist, ein Mensch sich immer mehr zurückzieht, nichts mehr unternehmen möchte – und viel schläft. "Die Phase kann eine längere Zeit andauern, es kann auch sein, dass sich manches für einige Zeit wieder bessert, aber wer die Zeichen erkennt, kann sich auch besser darauf einstellen, dass ein geliebter Mensch aufs Lebensende zugeht", sagt Christine Krause.
Das Bewusstsein verändert sich
Und dann kommen, irgendwann, die letzten Tage und Stunden. Es gibt kein Schema, wir sterben alle unterschiedlich. Und doch gibt es verlässliche Anzeichen, auch wenn nicht alle auf alle Menschen zutreffen müssen.
Bei Sterbenden verändert sich das Bewusstsein. Manche sind unruhig, andere verwirrt, wieder andere traurig, weil sie spüren, dass es zu Ende geht. Kreislauf und Puls werden schwächer, wer bald stirbt, kann nur noch liegen. Viele Menschen sind dann immer weniger ansprechbar, auch wenn sich Palliativmedizinerinnen sicher sind: Sie spüren, wenn wir sie begleiten. Arme, Hände und Beine sind kalt, häufig auch bläulich gefärbt. Und was viele quält, die Sterbenden beistehen: Das Atmen kann schwer werden und rasselnde Geräusche machen, weil die Kraft fehlt, um Schleim abzuhusten. Aber Christine Krause und Conny Sciborski, die beide schon vielen Menschen beigestanden haben – "wir durften sie begleiten", so nennen sie das –, sind sich sicher: "Wer stirbt, erlebt dieses Rasseln nicht als quälend."
Warum ist das so, wie kann das sein? Das Gehirn von Sterbenden schüttet Botenstoffe aus, die stärker sind als Hunger und Durst. Wer nichts trinkt, trocknet aus. Dadurch gelangen weitere Stoffe ins Blut, die beruhigen und Schmerzen lindern. Niere und Leber stellen ihre Arbeit ein, Giftstoffe fluten das Blut, auch sie lähmen das Gehirn – wir werden bewusstlos. "Man stirbt nicht, weil man aufhört zu essen und zu trinken, sondern man hört auf zu essen und zu trinken, weil man stirbt", sagt Christine Krause.
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Spätestens jetzt ist es an der Zeit, Lippen und Mundhöhlen der Sterbenden zu befeuchten. Nur wie? Christine Krause und Conny Sciborski haben ein Gerät dabei, mit dem sie Flüssigkeit aufschäumen können. Für den Kurs haben sie das mit Apfelsaft und Weißwein gemacht. Wer mag, kann einen Löffel probieren. Tatsächlich! Die Lippen werden angenehm feucht, und man schmeckt sofort heraus, ob es Saft oder Wein ist.
Die Letzte Hilfe hört nicht mit dem Tod auf
Welche Flüssigkeiten wir Sterbenden aufschäumen, ist egal. Was guttut, ist erlaubt. Die beiden Frauen haben schon mit geschäumtem Gin Tonic oder Trinkschokolade Lippen befeuchtet – alles, wirklich alles gehe und sei viel besser, als den Mundraum mit fettiger Butter feucht zu halten, wie es früher üblich gewesen sei. "Das war für Sterbende unangenehm", sagt Christine Krause.
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Kurse in "Letzter Hilfe"
Der erste Kurs in Letzter Hilfe fand in Deutschland 2015 in Schleswig statt, die Idee hatte der Palliativmediziner Georg Bollig. Mittlerweile haben etwa 50 000 Menschen teilgenommen. Ein Kurs gliedert sich in vier Module à 45 Minuten: Sterben ist ein Teil des Lebens, Vorsorgen und Entscheiden, Leiden lindern und Abschied nehmen. Infos und Kursangebote (aufgelistet nach Bundesländern) unter letztehilfe.info