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Ich mache gerade das Dekadenteste, was ich je gemacht habe: Ich sitze in einem Hotelzimmer in Lubmin am Schreibtisch. Alleine! Wenn ich den Kopf drehe, schaue ich auf den Greifswalder Bodden, weiße Schaumkronen auf Dunkelblau. Frühlingssonne. Letztes Jahr habe ich ein Literaturstipendium vom Land Mecklenburg-Vorpommern bekommen und weil ich demnächst den Abschlussbericht abgeben muss, aber noch nicht so weit bin, wie ich sein wollte, bin ich für zwei Nächte hier. Den ganzen Tag schreiben und wenn ich will die ganze Nacht. Keine Kinder ins Bett bringen! Kein Frühstück machen. Frühstück gemacht kriegen!
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In der Geschichte, die ich schreibe (falls es je eine wird...) geht es um Freunde, die zusammen ein Schiff bauen, denn das habe ich auch mal gemacht. Das Schiff ist 36 Meter lang, aus Stahl, zwei Holzmasten, Platz für 30 Leute.
Jedes Frühjahr, immer wenn das Schiff, ohne mich, den Greifswalder Hafen verlässt, überfällt mich aus dem Nichts eine Sehnsucht, die so pünktlich eintritt, dass sie vielleicht direkt über das endokrine System an den Sonnenstand gekoppelt ist. Die Krokusse verblühen und ich will aufs Wasser. Aber anstatt da draußen am Steuer zu stehen oder Segel zu setzen, starre ich vom Land aus auf die Küstenlinie und versuche zu schreiben.
Und jetzt ist mir auch noch diese Kolumne dazwischen gekommen. Zum Glück war ich gerade auf einer Recherche in Malchin. Das ist mitten in Mecklenburg-Vorpommern, weit weg vom Meer, an der Peene. Für das Good Impact Magazin, ein Magazin für konstruktiven Journalismus, habe ich eine Geschichte über David Schacht geschrieben. Der ist Geschäftsführer des WasserZweckVerbands Malchin Stavenhagen. Von ihm muss ich unbedingt erzählen. Weil er Hoffnung macht.
Wasserzweckverband klingt nach Aktenschränken und Klempnern im Blaumann, dabei geht es um die so wichtige öffentliche Daseinsvorsorge. Denn wir sind angewiesen auf sauberes Trinkwasser. Und David Schacht sagt, dass sauberes Wasser gar nicht so selbstverständlich sei, wie wir denken. Dass man an den langjährigen Kurven sieht, wie die Werte für Nitrat und Reste von Pflanzenschutzmitteln steigen. Die Klimakrise mit ihren vielen Dürreperioden kommt hinzu. Also, sagt Schacht, wenn nichts passiert, müssten wir so in 30 Jahren Aufbereitungsanlagen bauen, um das Wasser noch trinken zu können. Könnte sich Malchin aber nie leisten.
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Darum hat David Schacht seinen Verband in Malchin Stavenhagen aus dem Schatten gezerrt und zu einem lokalen Player gemacht, den jeder kennt. Die Öffentlichkeitsarbeit, die er dafür macht, finanziert sich neben Fördermitteln über die Wassergebühren. Ob das korrekt ist, hat er rechtlich prüfen lassen.
Der Verband hat ein altes, denkmalgeschütztes Wasserwerk saniert. Ein Verein organisiert dort jetzt Tanzabende und untersucht mit Jugendlichen die Wasserqualität. Den einen Tag trifft sich im Wasserwerk die Ortsgruppe des Bauernverbands mit Schmalzstullen und Bier. Den anderen Tag singt da die Berliner Liedermacherin Dota Kehr (Karten waren sofort weg).
David Schacht will alle ins Boot holen, mit allen reden. Übers Wasser, über die Region, über den Boden. Wie bringt man Gruppen zusammen, die Feindbilder voneinander kultiviert haben? David Schacht nennt es den "kooperativen Ansatz". Dafür trifft er sich mit Bauern und Umweltschützern auf dem Acker und sorgt dafür, dass sie sich gegenseitig zuhören. "Wir brauchen nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Kooperation und Verständnis für die Sichtweise des Anderen, keine weitere Brandmauer - wir müssen im Gespräch auf Augenhöhe bleiben."
Dass das gelingt, liegt auch an ihm. David Schacht ist einer von hier. Er braucht im Kontakt mit den Bauern nicht nach dem richtigen Ton zu suchen, er trifft ihn automatisch. Im Wasserwerk kooperiert er mit Uta Berghörfer, einer promovierten Umweltwissenschaftlerin und Umweltpädagogin, die für den kulturellen Teil des Projekts verantwortlich ist. "Wir ergänzen uns perfekt", sagt David Schacht. "Sie ist eine Frau aus dem Westen, die noch nie einen Chef hatte und aus einer Akademikerfamilie kommt. Ich bin ein Mann aus dem Osten, der beim Militär war und als erster seiner Familie studiert hat."
Ihre Idee vom Wasserwerk: ein öffentlicher Ort, an dem die Malchiner miteinander ins Gespräch kommen können, um dann zusammen Zukunft gestalten. Einfach mal selber machen. Und das schlägt dann, notdürftig, den Bogen zum Beginn des Textes. Ich muss dann mal weiter schreiben.