Musiktipps März 2025
Pastoralfolk
Drei neue Alben, die mit ihrem breit gefächerten Folk-Sound und Themen von Verlust bis Verzweiflung diverse pastorale Bezüge aufweisen
CD-Tipps - Pastoralfolk
PR
Tim Wegner
04.03.2025
3Min

"Pastoral" – wer dabei an Hirten und ihre Herden denkt, liegt nicht ganz falsch. Im gegenwärtigen Sprachgebrauch kann das Wort "seelsorgerlich" bedeuten, aber es kann durchaus auch die Bedeutung von "feierlich" oder sogar "ländlich-idyllisch" annehmen. Zu diesen drei Alben passt der Begriff meist in mehrfacher Hinsicht:

Die Delines erzählen auf ihrem neuen Longplayer Geschichten von Willy Vlautin, die in feierlichste Songs gegossen wurden. Vlautin ist nicht nur der Urheber dieser Texte und Gitarrist der Delines: Viele dürften ihn auch noch als Kopf seiner früheren Band Richmond Fontaine kennen. Zudem ist er gefeierter Romanautor, der schonmal mit John Steinbeck und Keith Haruf verglichen wird. Bereits drei seiner Bücher wurden verfilmt.

In ihnen geht es oft um ein Amerika, dessen Status Quo alles andere als rosig ist. Und so verwundert es nicht, dass er sich auch in seinen Songtexten den Verlierern und Outlaws der amerikanischen Gesellschaft widmet. Verpackt in grandiosen Zeit­lupen-Cinemascope-Sound mit Orgel, Bläsern und Streichern, vorgetragen von der unvergleichlichen, salzig-weichen Stimme von Amy Boone, bringen die Delines damit den ein oder anderen Stein zum Schluchzen. Oder zumindest zum Seufzen.

Musik aus dem Kloster

Echolalia ist so etwas wie eine All-Star-Band. Allerdings besteht sie aus All-Stars, die meist eher im Schatten der großen Recording Artists stehen. Sie sind Nash­ville-Profis, versierte Musiker*innen, die für Plattenaufnahmen in den zahlreichen Studios der Hauptstadt der Country-, Western- und Folk-Musik gebucht werden. Spencer Cullum, Andrew Combs, Dominic Billett, Jason Lehning, Eli Beaird, Jordan Lehning und Juan Solorzano haben sich aber nun aus dem trubeligen Nashville verabschiedet und in die Ruhe und Einsamkeit einer ehemaligen Abtei auf der Isle of Wight vor der Südküste von Großbritannien zurückgezogen. Zumindest für die Aufnahmen zu ihrem ersten gemeinsamen Album.

Und mit Blick auf eine idyllisch-raue Landschaft sind dort ganz besondere Songperlen entstanden. Die Idee: Die vier hauptberuflichen Songwriter unter ihnen bringen jeweils drei Songs mit und alle gemeinsam machen etwas Besonderes daraus. Diese Stücke klingen verstörend und ungemein tröstlich zugleich: Als würde der Pedal-Steel-Gitarrist zusammen mit Gespenstern bei einem Glas Rotwein auf die Küs­te blicken und über den Sinn des Lebens diskutieren. Ein bisschen psychedelisch, ein bisschen magisch und sehr erdig.

Everything Is Recorded ist das musikalische Langzeit-Kollaborationsprojekt von Richard Russell: Die letzten vier Jahre hat der Londoner Produzent am neuen Album gearbeitet. Dabei hat ihn ein spannendes Gedankenexperiment geleitet: Die Reggae-Musik ist speziell in den 80er Jahren digital geworden. Im sogenannten "Dancehall-Reggae" kamen Beats und Melodien plötzlich komplett aus dem Computer. Russell überlegte sich, wie es klingen würde, wenn sich die Folk-Musik genauso entwickelt hätte.

So schrieb und produzierte er eine ganze Reihe Songs, die er dann mit diversen prominenten Gästen zusammen aufnahm und fertigstellte - unter ihnen so unterschiedliche Künstler*innen wie Sampha, Bill Callahan, Florence Welsh, Noah Cyrus, Jah Wobble oder Jack Penate. Zärtliche Melodien und charmant-verspielte bis gelassen-vertrackte Beats und Nebengeräusche täuschen darüber hinweg, dass es inhaltlich vorwiegend ans Eingemachte geht: Verlust, Tod und Trauer sind die Themen. "Das Album zu machen, war erfüllend, eine Art, das Leben zu heiligen", sagt Richard Russell selbst. Souliger Digitalfolk, der vom Ende handelt und in der Stille leuchtet - Seelsorge sozusagen.

Produktinfo

The Delines: Mr. Luck & Ms. Doom. Decor Records

Echolalia: Echolalia. Full Time Hobby

Everything Is Recorded: Temporary. XL Recordings

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