Am Anfang war das Wort
Spannende Entwicklung für die Eltern: Was werden die ersten Worte sein?
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Sprache
Am Anfang war das Wort
Sehnsüchtig warten Eltern auf das erste Wort ihres Kindes - aber was, wenn es dann so gar nicht den Vorstellungen entspricht?
Tim Wegener
12.12.2024
3Min

Von den vielen ersten Malen eines Kindes ist das erste Wort mit besonders hohen Erwartungen aufgeladen. Was wird es sein? Und warum? Was sagt das erste Wort über die Persönlichkeit, die Präferenzen und Wahrnehmungen meines Kindes aus? Als wäre die erste sinnvolle Aneinanderreihung von Lauten, die wir als Sprache erkennen können, ein prophetisches Zeichen für den weiteren Lebensweg des Kindes – quasi ein linguistisches Sternzeichen.

"Ah, ja, dein erstes Wort war "Auto", mein Junge! Kein Wunder, dass du später im Controlling eines mittelständischen PKW-Händlers gelandet bist." – Diese oder ähnliche Sätze kann man sich dann 25 Jahre später als Erwachsener anhören, obwohl es doch zur Karriere als Star-Violinist einfach nicht gereicht hat mit dem Talent und man die Ausbildung zum Bürokaufmann nur abgebrochen hat, weil man unglücklich in die Assistentin des Chefs verliebt war.

Auch spielen beim ersten Wort diverse Eitelkeiten eine Rolle: Sagt der Bub zuerst "Mama" oder "Papa"? Oder schnappt uns die "Oma" den ersten Platz weg? Wir vermuteten zeitweise, dass sie heimlich mit ihm übt...

Wie auch immer: Das erste Wort meines Sohnes war "heiß". Hm. Was soll mir das jetzt über seine beruflichen Perspektiven sagen? Wird er Schweißer? Oder Stahlarbeiter? Es war an einem sonnigen Nachmittag im vergangenen Sommer. Wir saßen beim Griechen auf der Terrasse und er durfte Bratkartoffeln probieren. Plötzlich schob er vehement die Gabel vom Mund weg und rief: "HEISS!" Wir waren ehrlich verblüfft, weil das Wort gleich in einem derart korrekten Zusammenhang fiel. Trotzdem waren wir Eltern stolz, dass unser Kind in einer neue Kommunikationsebene angekommen schien.

Schon vorher hatte er irgendetwas vor sich hingebrabbelt. Wäre man danach gegangen, wäre "Gnu" eines der ersten Wörter gewesen. Ich bezweifle allerdings, dass sich ein sechs Monate altes Kind zoologisch derart gut auskennt, dass dahinter mehr als eine zufällige Verirrung der Zunge steckte.

Sein zweites Wort war "nein". Auch das nicht unüblich bei Kindern. Nichtsdestoweniger wuchs in uns das Unbehagen, was das für künftige Auseinandersetzungen in der Pubertät bedeuten könnte, wenn er schon so früh weiß, was er nicht will. Danach, zu unserer Erleichterung, sagte er doch endlich "Mama" und "Papa". Was zuerst da war, können wir rückblickend nicht mehr sicher feststellen. Es kam also zu keiner Ehekrise.

Nach einer wochenlangen Stagnation bei circa zehn Wörtern ("Wow", "Pasta", "Pippi", "Bimmbamm"), sind wir gerade in einer Phase der Sprachexplosion angelangt. Nicht nur werden die Worte deutlicher, nein, jetzt kommen gerade täglich drei bis vier neue dazu. Oft reicht es, wenn unser Sohn sie einmal gehört hat. Als verantwortungsvoller Vater habe ich das zum Anlass genommen, ihm sämtliche Planeten aus Star Wars beizubringen ("Naboo" klappt gut, "Tattooine" eher nicht).

Das direkte Hören-Sagen führt aber auch zu der unangenehmen Situation, dass wir aufpassen müssen, was wir laut sagen. Gestern Abend fiel in einem Gespräch während des Abendessens in einem harmlosen Zusammenhang das Wort "Nazi". Raten Sie mal, was unser Sohn die nächste halbe Stunde fröhlich durch die Wohnung gebrüllt hat? Zum Glück waren wir nicht im Supermarkt, denn er zeigt auch gerne auf Leute...

Dass seine Wortauswahl etwas Elementares über ihn, seine Zukunft oder gar seinen Charakter aussagt, glauben wir nicht (mehr). Sonst stünde ihm tatsächlich eine Laufbahn im Zoo ("Tiger", "Aal", "Bär", "Miau", "Igel") bevor – oder in der Bekleidungsbranche ("Jacke", "Mütze", "Socken"). Sein erstes dreisilbiges Wort war übrigens "Arbeiter". Das sagt vermutlich mehr über uns aus als über ihn.

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Kolumne

Michael Güthlein
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Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (1) und drei Kinder (10, 9, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen; sie schreiben im Wechsel.