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Kinder kriegen hat immer etwas Narzisstisches. Wenn man sich selbst nicht wenigstens ein bisschen toll fände, würde man vermutlich länger überlegen, ob man sich überhaupt reproduzieren sollte. Natürlich hofft jeder Vater, jede Mutter, etwas von sich im Kind wiederzufinden. Und selten hofft man, dass es die unangenehmen Angewohnheiten sind, wie etwa das morgens-schlecht-aus-dem-Bett-Kommen, das bei Langeweile-in-der-Nase-Popeln oder das lautstarke Fluchen im Straßenverkehr.
Kolumne
Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (2) und drei Kinder (11, 10, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Ihre Kolumne erscheint alle zwei Wochen; sie schreiben im Wechsel.
Nein, man hofft, dass das Kind ein Abbild der edelsten eigenen Charakterzüge wird: anständig, selbstbewusst und sympathisch, weltoffen und erfolgreich. Das führt bisweilen zu einer seltsamen Überidentifikation mit dem Kind. Das glauben Sie nicht? Achten Sie bitte mal darauf, wie oft Eltern "wir" sagen, wenn sie von den positiven Errungenschaften ihrer Kinder sprechen. Zum Beispiel in stolzen Sätzen wie "Wir sind heute schon 9 Monate alt." oder "Wir haben heute zum ersten Mal Pipi ins Töpfchen gemacht!" Seltener hört man: "Wir haben heute Papas FC Bayern-Tasse zerdeppert." Oder: "Wir haben heute in Tante Gertruds Tesla gespien."
In dieselbe Kerbe schlägt, wenn Eltern nur halb im Scherz behaupten, ihr Kind sei hochbegabt. Eigentlich weiß man, dass es wahrscheinlich nicht stimmt. Und trotzdem ist man der Möglichkeit überaus zugetan. Jedes Mal, wenn der Nachwuchs etwas Neues lernt, guckt man nach, ob er oder sie das nicht viel früher macht als andere Kinder. Gerne wird das dann auch anderen Eltern passiv-kompetitiv unter die Nase gerieben: "Also unser Luca ist schon mit 10 Monaten gelaufen. Eurer noch nicht? Naja, da hat ja jedes Kind sein ganz eigenes Tempo. Aber mit anderthalb Jahren würde ich schon mal den Kinderarzt fragen, ob das normal ist …"
Apropos Kinderarzt. Neulich hatte mein Sohn seine U7 (für alle Nicht-Eltern: Das ist die 7. Vorsorgeuntersuchung des Kindes nach der Geburt). In letzter Zeit macht er sowohl motorisch als auch sprachlich ordentlich Fortschritte. Ich freute mich, dass ich dabei sein konnte und übte mit ihm fleißig schwierige Wörter, mit denen er dann vor der Kinderärztin beweisen könnte, wie weit er schon für sein Alter ist. Obwohl mir Angeben eigentlich fern liegt, konnte ich nicht umhin zu hoffen, dass er bei der U7 die volle Punktzahl und ein kleines Abzeichen von der Ärztin bekommt. "Ungewöhnlich intelligent" könnte da drauf stehen. Oder "Herausragend in seiner Altersklasse".
Leider hatte ich meine Rechnung ohne die erfahrene Kinderärztin gemacht, die natürlich nicht nur ein Kind begutachtet, sondern 50 am Tag. Seit Jahrzehnten. Die haut es bestimmt nicht mal mehr vom Hocker, wenn ein Zweijähriger Sonette auf Kantonesisch rezitiert und danach "La Campanella" von Franz Liszt auf dem Klavier spielt.
Ganz im Gegenteil: Sie listete alles an meinem Sohn auf, was verbesserungsbedürftig war. Wie ein Auto beim TÜV. Wir müssen jetzt Fußgymnastik machen, weil er eine leichte Fehlstellung hat. Außerdem Schnuller abgewöhnen, weil sich schon ein leichter Überbiss zeigt. Er braucht mehr Vitamin D. Und leicht übergewichtig ist er auch noch. Na toll. Als sie in unsere bedröppelten Eltern-Gesichter blickte, sagte sie noch: "Sie wollen doch eine Systemoptimierung, oder nicht?"
Etwas desillusioniert betrachteten wir unser ausgelassen durch die Praxis turnendes System, das auf eifriger Suche nach neuen Optimierungen war. Ein bisschen Gespür für unerfüllte Eltern-Eitelkeit hatte die Kinderärztin dann doch noch für uns übrig und sagte seufzend: "Die Mischung aus Draufgänger, Junge und sprachlich relativ weit gibt es in seinem Alter selten." Yes! Glück gehabt! Meine Frau und ich blickten uns an: "Wir sind ein sprachlich begabter Draufgänger!"