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Vor einigen Wochen beobachtete ich die Herbsttagung der Landessynode der evangelischen Kirche in Sachsen. Drumherum gab es viele interessante Begegnungen für mich. Wieder einmal wurde mir klar, wie wichtig das Aug-in-Aug-Gespräch ist, eben gerade auch mit Menschen, die anderer Meinung sind als ich.
Denn ja, es wird schärfer gestritten in unseren Kirchen. Und ja, sehr oft liegen wir mittlerweile auch sehr weit auseinander. Bisher hatte ich gehofft, dass wir zumindest in den christlichen Grundsätzen und beim christlichen Menschenbild auf einer Linie liegen. Nach dieser Tagung muss ich sagen: Leider gilt das nicht immer.
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Worum geht es? Um die Gleichheit von Menschen, eines der wichtigsten christlichen Gebote. "Denn vor Gott sind alle Menschen gleich" (Bibel: Römer 2, 11)
Auf der Tagung der Landessynode sollte unsere sächsische Kirchenverfassung um diesen Satz ergänzt werden. "Die Landeskirche tritt für ein von Gleichberechtigung und gleichberechtigter Teilhabe bestimmtes Zusammenleben ein." Ich dachte, das sei eine reine Formalie. Doch der Antrag verfehlte die erforderliche Zweidrittelmehrheit knapp: 47 Synodale stimmten dem Antrag zu, 25 lehnten ihn ab. Für eine Annahme der Verfassungsänderung wären 48 Stimmen notwendig gewesen.
Nicht nur ich war entsetzt, auch andere sprachen mich später an: "Ich trete zurück", hörte ich zum Beispiel.
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Die Ablehnung wurde in etwa so begründet: "Gleichberechtigung" und "gleichberechtigte Teilhabe" seien nicht biblisch begründbare und zu offene "Containerbegriffe". Und so kommt es, dass die sächsische Kirchenverfassung weiterhin in ihren grundlegenden Passagen die Gleichberechtigung zwischen den Menschen nicht benennt.
Dabei gibt es gerade in Sachsen so viele Ungleichheiten. Bei der graphischen Darstellung von Armut, Vermögen, Verdienst, Höhe des Erbes etc. zeichnen sich auf einer Deutschlandkarte bis heute die Umrisse der ehemaligen DDR ab. Und auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung lesen die Ruheständler*innen in Ostdeutschland, dass sie zumeist weniger Rente beziehen als Menschen in den westdeutschen Bundesländern. Auf Männer trifft dies noch häufiger zu. Was macht das mit ihnen, dass sie wissen, ähnlich lang und ähnlich hart gearbeitet zu haben, und doch weniger zu erhalten?
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Die AfD weiß dies zu nutzen. Sie strickt daraus eine Erzählung von einer bewusst benachteiligten ostdeutschen Bevölkerung und sammelt so populistisch Stimmen. Was die Partei nicht sagt: Wie viel Politik und Zivilgesellschaft tun, um die Ungleichheit aufzufangen. Und wie die AfD selbst dagegen agiert.
Zum Beispiel in Meißen im Stadtteil Triebischtal. Hier gibt es mit dem Projekt "Buntes Meißen - Bündnis Zivilcourage e.V" eine nachhaltig gewachsene Struktur der Sozialen Arbeit für materiell benachteiligte Menschen. Angeboten wird eine Anlaufstelle für Menschen in Krisensituationen, Begleitung für Geflüchtete in der Integration, Zuspruch und auch Freizeitmöglichkeiten. Gerade Menschen, die von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, finden so einen Zugang zum sozialen Miteinander in der Stadt und erlernen das Gefühl, Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Doch die Finanzierung ist gefährdet. Die AfD im Stadtrat hat Stimmung gegen das Projekt gemacht. Integration sei nicht relevant genug, es gäbe andere wichtigere Themen. Welche? Warum kann nicht weiterlaufen, was gut funktioniert und lange erprobt wurde? Für mich hat das wenig mit alternativen Politikmodellen, vielmehr mit dem Wunsch nach Verhinderung zu tun. Zeitgleich mit dem politischen Boykott erlebt das Bündnis zahlreiche rechtsextreme Angriffe auf seine Arbeit, wie der Verein auf seiner Webseite berichtet. Am Ende leiden vor allem die Menschen, die auf diese Sozialarbeit angewiesen sind.
Viele von uns gehen vermutlich davon aus, dass in den Kindertagesstätten und Schulen in unserem Land junge Menschen von dem Wert der Gleichheit der Menschen hören, ihn erfahren und erlernen. Erzieherinnen und Lehrer sollten diese Aufgaben umsetzen.
Doch auf den Fachtagungen, die ich organisiere, höre ich immer öfter, dass dies oft nicht gelingt. Etwa weil Pädagogen und Pädagoginnen unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen. Und weil viele junge Menschen mittlerweile überzeugt sind, dass eine Ungleichheit der Menschen natürlich oder gar nötig sei. So berichtete mir neulich eine Teilnehmerin von ihrem Kurs. Sie bildet zukünftige Erzieherinnen und Erzieher aus und wollte mit ihnen über Trumps Wahlsieg sprechen.
Die Klasse habe ihre Unlust klar zum Ausdruck gebracht: "Wieso darüber sprechen? Es ist doch super so! Trump bringt jetzt Frieden und kümmert sich wenigstens nur um die Weißen, nur um die Volksangehörigen." Ein Gedankenaustausch sei unmöglich gewesen, weder über das Wahlergebnis, noch über die Ungleichheit und Gleichheit von Menschen oder gar über die pädagogische Verantwortung, sich für gleiche Chancen für alle zu engagieren. Die darüber sehr betrübte Fachlehrerin sah sich zu alledem nach dem Kurs konfrontiert mit mehreren Beschwerden bei der Schulleitung über sie, auch aus den Elternhäusern der Schülerinnen und Schüler.
Ungleichheit – im Nachdenken darüber wird mir immer wieder bewusst – wie sehr sie in all ihren Facetten und Auswirkungen von den Menschen für die Menschen erschaffen – und erhalten – wird. Dabei gibt es so viele Gelegenheiten, anders zu handeln.