Dietrich Bonhoeffer im US-Kino
Bonhoeffer-Kitsch
Ein neuer Kinofilm über Dietrich Bonhoeffer sorgt für Aufregung. US-amerikanische Rechtsevangelikale vereinnahmen ihn ihn für ihre autoritär-nationalistische Agenda. Dagegen protestieren Theologen und Familienangehörige. Ich ergänze das mit einer anderen kritischen Frage
Der konservative christliche Sänger Sean Feucht am 25. April 2024 eine Pro-Israel-Kundgebung vor der Columbia University in New York
Der konservative christliche Sänger Sean Feucht besucht eine Pro-Israel-Kundgebung vor der Columbia University in New York
Zach D Roberts/picture alliance/NurPhoto
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
29.11.2024
3Min

Eigentlich versuche ich erbauliche Biopics zu ignorieren. Der Trailer des letzten Films über Albert Schweitzer oder Ausschnitte von "Luther" haben mir schon gereicht, mehr als das.

Ich kann solche kinematografische Religions- und Moralpropaganda nicht ertragen. Deshalb hätte ich "Bonhoeffer" am liebsten still an mir vorüberziehen lassen. Schon der Untertitel "Pastor, Spy, Assassin" ist unwahr. Es ist sehr zweifelhaft, ob man den widerständigen Theologen als Spion bezeichnen kann. Ein Attentäter war er gewiss nicht. Der Trailer dann bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: aufgedonnerte Dramatik, blanker, dunkler Kitsch. Schließlich das Plakat: Bonhoeffer mit Pistole in der Hand. Das mag waffensüchtige US-Amerikaner ansprechen. Vernünftige und sensible Menschen wenden sich mit Ekel ab.

Nun also die Vereinnahmung dieses Films und seines frommen Superhelden von rechtsaußen – natürlich ist sie abstoßend. Aber sie ist weder überraschend noch neu, in diesem Fall nur besonders dreist. Ob es hilft, dagegen zu protestieren? Ich glaube nicht, dass christliche Nationalisten in den USA sich zur Besinnung bringen lassen.

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Ich möchte deshalb lieber über eine andere, grundsätzlichere Frage nachdenken: Wie ist unser Verhältnis heute zum Widerstand damals? Wie verstehen wir Dietrich Bonhoeffer, wie stellen wir uns zu ihm? Sein Lebenszeugnis ist beeindruckend, seine Briefe aus der Haft sind bewegend. Aber taugt er tatsächlich als der unanfechtbare Theologe, die eine Leitfigur eines modernen Protestantismus?

Ich wünschte mir im Gedenken an ihn und in der Auseinandersetzung mit ihm auch in Deutschland mehr Distanzbewusstsein. Allzu oft wird das Unfertige, Suchende und tragisch Abgebrochene in seinem Denken und Leben ausgeblendet. Gegenmoderne, autoritäre, keineswegs demokratische Prägungen und Tendenzen, die in seiner Theologie und Ethik zu finden sind, werden immer noch zu häufig beschwiegen oder eilfertig umgebogen. Allzu oft wird eine sentimentale Identifikation mit ihm angestrebt, wo es doch zunächst darum gehen müsste, ihn zu verstehen, gerade auch in seinem Anderssein.

Das aber verhindert eine eigennützige theologische Aneignung – egal, ob von rechter oder linker Seite, in den USA oder in Deutschland. Bei uns war sie nicht eben selten – so ehrlich sollten wir sein – von dem Motiv getrieben, sich über die Bonhoeffer-Verehrung aus der eigenen NS-Verstrickung hinauszuträumen. Vereinnahmung ist ein Zeichen mangelnden Respekts. Zur Achtung eines anderen gehört eine gute Portion Distanz. Man sollte einen Märtyrer wie Bonhoeffer also dadurch ehren, dass man ihn nicht in gegenwärtig beliebte Schablonen presst oder für die eigenen Leitbegriffe in Dienst nimmt, sondern ihm seine Fremdheit und Freiheit lässt.

Wer wissen will, wie man Menschen, die in der NS-Diktatur widerständig waren, in einem Film wahrhaftig darstellt, mit ihrem Glanz und Mut, ihrer Unfertigkeit und Gebrochenheit, ihrer Verwirrung und Tragik, der schaue sich "In Liebe, Eure Hilde" von Andreas Dresen an – ein Film ohne Kitsch, Erbaulichkeit oder Aneignung, mit großer Sympathie, aber auch dem nötigen Abstand.

Ein kleiner Trost zum Schluss: So wie all die anderen frommen Biopics im deutschen Kino bisher nicht erfolgreich waren, gibt es Gründe für die Hoffnung, dass "Bonhoeffer" bei uns ein Flop wird. In den USA ist er für einen "special interest"-Film ganz ordentlich angelaufen und hat bisher etwas weniger als 5 Millionen Dollar eingespielt. Aber das ist eben ein anderes Land.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur