Religiöse Rechte
"Trump gilt als von Gott gesandte Erlöserfigur"
Ist Trump der Messias? Viele rechte Christen in den USA sind davon überzeugt. Die Journalistin Annika Brockschmidt erklärt, warum das gefährlich ist und zu politischer Gewalt führen könnte
Ein Anhängerin von US-Präsident Donald Trump hält ein Kruzifix während einer "Stop the Steal"-Demonstration, nachdem die Präsidentschaftswahlen 2020 in den USA für den demokratischen Kandidaten Joe Biden ausgerufen wurden
Viele religiöse Rechte unterstützen Donald Trump
Jim Urquhart / Reuters /picture alliance
Tim Wegner
31.07.2024
7Min

chrismon: Frau Brockschmidt, seit dem Attentat wird Donald Trump als Messias gefeiert. Was steckt dahinter?

Annika Brockschmidt: Für die religiöse Rechte in den USA gilt Trump als von Gott gesandte Erlöserfigur. Dass er das Attentat überlebte, gilt für sie als eine Bestätigung dafür.

Bei der religiösen Rechten handelt es sich um eine Koalition aus Vertretern verschiedener christlicher Strömungen. Donald Trump ist zum dritten Mal verheiratet und hatte mehrere Affären. Wie passt das ins Bild einer christlichen Bewegung?

Trump entspricht nicht den Moralvorstellungen rund um das Bild des frommen, treuen Familienvaters, das die Evangelikalen predigen, aber er verkörpert ihre Vorstellungen von Männlichkeit. Evangelikale Eheratgeber stellen direkte Bezüge zwischen maskuliner Virilität und der nationalen Sicherheit her. Dass Trump selbst kein glaubhaft frommer Christ ist und keinen Lieblingsbibelvers zitieren kann, rechtfertigt die religiöse Rechte mit biblischen Vergleichen. Der Perserkönig Kyros beispielsweise sei selbst kein Christ gewesen und trotzdem Werkzeug Gottes. Auch König David dient als Beispiel, da er einen Mord in Auftrag gab, um Ehebruch zu begehen. Nach dieser Argumentation ist kein Verbrechen schlimm genug, um Trump die Unterstützung zu entziehen. Auch politische Ziele spielen eine Rolle: Trump hat der religiösen Rechten während seiner Amtszeit eine Mehrheit am Supreme Court verschafft.

Annika Brockschmidt (Historikerin) 4. Januar 2022 in "Markus Lanz", ZDF TV Fernsehen Talkshow Talk Show Deutschland Imago / Ullstein Bild

Annika Brockschmidt

1992 in Berlin geboren, Buchautorin und Journalistin, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der religiösen Rechten in den USA. 2021 erschien ihr Buch "Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet." In ihrem kürzlich erschienen Buch "Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen." beschreibt sie, wie porös die Brandmauer zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus in der Republikanischen Partei seit Jahrzehnten ist.

Glauben die Anhänger der religiösen Rechten wirklich, dass Trump ein Erlöser ist, oder wünschen sie sich seinen Sieg, um ihre politischen Ziele durchzusetzen?

Es gab genug Kandidaten der Republikanischen Partei, die Positionen der religiösen Rechten vertraten und sogar dem Bild des frommen Familienvaters entsprachen. Die Führungsriege der religiösen Rechten hatte sich im Wahlkampf 2016 tatsächlich einen anderen Kandidaten, wie etwa den Senator Ted Cruz, gewünscht. Die Basis der Republikaner hingegen wollte Trump. Sie glaubt an die Erzählung von Trump als von Gott auserwählt. Ob die Führungsriege auch daran glaubt, ist vielleicht gar nicht so relevant, aber sie nutzt solche Narrative, um politische Ziele zu verfolgen.

Inwiefern?

Indem sie den Wahlkampf in einen größeren theologischen Kontext stellt, laut dem wir uns in einem immerwährenden Kampf zwischen Gut und Böse befinden. Republikanische Politiker befeuern das, indem sie sich einer Rhetorik rund um geistige Kriegsführung – spiritual warfare – bedienen. Danach können nicht nur Personen, sondern auch Institutionen oder Parteien von Dämonen besessen und mit dem Satan im Bunde sein. Die Republikanische Partei unterstützt die Lüge ihres Anführers Trump, dass die Wahl 2020 gestohlen worden sei. Moderatere Konservative sind längst aus den Führungspositionen der Partei vertrieben worden. Die Extremisten geben den Ton an.

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Was bewirken solche Erzählungen?

Die Anhänger glauben, dass ihre Stimmen nichts mehr wert und Menschen und Institutionen wie das Kapitol von Dämonen besessen seien. Das versetzt sie in Angst. Sie wollen ihr Land, ihre Familie und ihre Kinder schützen. Der Schritt zur Gewalt ist nicht weit.

Wie gewaltbereit ist die religiöse Rechte?

Politische Gewalt wird nur dann verurteilt, wenn sie sich gegen einen der ihren wendet. Als der Ehemann der demokratischen Politikerin Nancy Pelosi von einem Rechtsextremen mit einem Hammer niedergeschlagen wurde, haben sich führende Republikaner darüber lustig gemacht. Es ist gefährlich, wenn eine politische Bewegung sich religiös legitimiert sieht und Gewalt mitunter für ein legitimes Mittel hält. Zusammen mit der faschistoiden Rhetorik ist das ein explosives Gemisch. Die Republikanische Partei hat sich in den letzten Jahren, was den Umgang mit politischer Gewalt betrifft, radikalisiert. Das hat man beim Sturm auf das Kapitol gesehen.

Könnte sich der Sturm auf das Kapitol bei einer Wahlniederlage wiederholen?

Nach dem Rückzug von Joe Biden von der Nominierung sind die Republikaner in heller Aufruhr. Vor allem, weil vielleicht eine schwarze Frau an der Spitze der Demokraten stehen wird, deren Eltern indische und jamaikanische Einwanderer waren. Das geht gegen alle Vorstellungen von Geschlecht und "race"* der religiösen Rechten. Der republikanische Politiker George Lang sagte kürzlich, dass bei einem Wahlsieg der Demokraten nur ein Bürgerkrieg das Land retten könne. Da schrillen alle Alarmglocken. Und Donald Trump hat bisher keinerlei Anzeichen gegeben, dass er eine Wahlniederlage akzeptieren würde.

Ist die Demokratie in Gefahr, wenn es zu einem Wahlsieg der Republikanischen Partei kommt?

Bei dieser Wahl geht es um alles. Die Republikaner haben Pläne in der Schublade, die auf die Zerstörung der Demokratie, des administrativen Staates abzielen. Das könnten die letzten freien Wahlen für die kommenden Jahrzehnte sein. Der nächste Präsident wird vermutlich zwei weitere Richter an den Obersten Gerichtshof berufen können.

Was fordert die religiöse Rechte noch?

Sie fordert beispielsweise ein nationales Abtreibungsverbot. Das für weiße Evangelikale wichtigste Thema für die religiöse Rechte in diesem Wahlkampf ist aber Migration. Trump hat versprochen, die größte Deportationsaktion in der amerikanischen Geschichte durchzuführen. Das trifft bei der religiösen Rechten auf Zustimmung. Kern des weißen christlichen Nationalismus ist, dass nur bestimmte Christen als "echte" Amerikaner gelten. Die USA seien von weißen Christen für weiße Christen gegründet worden, als explizit christliches Land - das ist jedoch Geschichtsklitterung.

Häufig wird das Christentum als Religion der Nächstenliebe und Moral verstanden. Handelt es sich bei der religiösen Rechten in diesem Sinne überhaupt um richtige Christen?

Ich habe dieselbe Frage dem US-amerikanischen Religionswissenschaftler Brad Onishi gestellt und seine Antwort lautete: Diese Leute benutzen christliche Symbole, sie berufen sich auf christliche Texte, sie belegen ihre Interpretation des Christentums mit Bibelstellen – objektiv betrachtet handelt es sich also um Christen. Genauer gesagt um die moderne Form eines autoritären Christentums, das eine jahrhundertelange Tradition hat.

Wie eine Erhebung des Forschungsinstituts "Public Religion Research Institute (PRRI)" zeigt, ist die Gruppe der weißen Evangelikalen insgesamt kleiner geworden. Gibt das Hoffnung?

Die religiöse Rechte hat jetzt schon extrem viel Einfluss auf die politische Agenda der Republikanischen Partei. Die Zeit reicht nicht aus, um zu warten, dass der demografische Wandel die Gruppe weiter schrumpfen wird - sie besetzen bereits wichtige Machtpositionen. Zudem hat die politische Führungsriege der Bewegung viel besser als die politische Gegenseite verstanden, wie sie ihre Anhänger professionalisiert, trainiert und ihnen Ressourcen an die Hand gibt. Ein Beispiel dafür ist das von Morton Blackwell gegründete Leadership Institute, das bis heute rechtskonservative Aktivisten darin trainiert, wie sie Spenden sammeln, einen Wahlkampf organisieren und Öffentlichkeit generieren.

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Rund 70 Prozent der US-Amerikaner sind Christen. Den Anteil der weißen Evangelikalen an der amerikanischen Bevölkerung gibt das PRRI mit rund 14 Prozent an. Gibt es in den USA auch christliche Gegenbewegungen?

Natürlich sind nicht alle Christen in den USA Anhänger der religiösen Rechten. Es gibt auch eine religiöse Linke und neue Bündnisse liberaler und progressiver Christen. Angesichts der Bedrohung durch die religiöse Rechte tun sie sich mit atheistischen Gruppen zusammen, um gläubigen Christen Argumente gegen christlichen Nationalismus an die Hand zu geben.

Wieso ist die Strömung der religiösen Rechten ausgerechnet in den USA so stark vertreten?

Die christliche Religionslandschaft in den USA ist zerklüfteter, anarchischer, als wir das in Deutschland mit den Landeskirchen kennen. "Race" spielt in den USA auch in der Religion eine große Rolle: Weiße Evangelikale und Schwarze Protestanten unterscheiden sich beispielsweise in ihren Ansichten bezüglich Polizeigewalt, Sozialleistungen durch den Staat und systemischen Rassismus stark. Varianten des christlichen Nationalismus gibt es aber auch in Europa.

Ist die religiöse Rechte in den USA mit ähnlichen europäischen Strömungen vernetzt?

Da gibt es viele Querverbindungen. Die christlichen Nationalisten in den USA schauen beispielsweise darauf, wie Viktor Orban in Ungarn fungiert. In Deutschland nutzt vor allem die AfD ähnliche Narrative. Vertreter der deutschen religiösen Rechten sprechen auf US-amerikanischen Veranstaltungen. Auch die Rhetorik folgt einem ähnlichen Muster und zielt auf die Dämonisierung bestimmter Menschengruppen ab.

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Was können die Kirchen in Deutschland tun, um einer Ausweitung der religiösen Rechten hierzulande entgegenzuwirken?

Ich war neulich auf einer Aufklärungsveranstaltung zur religiösen Rechten, die in den Räumen einer evangelischen Kirche stattfand. Ich habe mich dort mit einem älteren Herrn unterhalten, dem in seiner Gemeinde AfD-Rhetorik begegnet war. Solche Veranstaltungen in Kooperation mit Kirchen sind wichtig, um Christen wie ihm Argumente an die Hand zu geben und den Raum nicht der AfD zu überlassen. Außerdem ist es eine Frage dessen, wer die Botschaft überbringt: Wenn ein Pfarrer oder ebenjener alte Herr seine Gemeindemitglieder davor warnt, hat das wahrscheinlich eher einen Effekt, als wenn ich das tue.

Ist es richtig, dass sich die Kirchen klar gegen die AfD positionieren?

Absolut. Das ist ja keine Wahlempfehlung, sondern ein Zeichen gegen Menschenfeindlichkeit und gegen eine Partei, die sich der Zerstörung unserer Demokratie verschrieben hat. Ich glaube, wenn sich die Kirchen klar gegen die AfD positionieren, hat das eine Wirkung, die nicht zu unterschätzen ist. Auch Gemeindemitglieder sollten wachsam sein, was andere Mitglieder von sich geben, um dagegenhalten zu können.

*Das aus dem US-Kontext übernommene Konzept von "race" lässt sich nicht mit dem deutschen Begriff "Rasse" übersetzen. Der deutsche Rassenbegriff ist biologistisch konnotiert und verstärkt Stereotype. In den USA ist das Konzept "race" eng mit Kämpfen gegen soziale Ungleichheit und rassistische Diskriminierung verbunden und wird vielseitiger diskutiert.

Infobox

Unter der religiösen Rechten versteht man eine Koalition über verschiedene Strömungen des Christentums hinweg, die sich unter dem Banner christlicher Nationalismus versammeln und die Vorstellung vertreten, dass nur ein "rechtgläubiger" Christ auch ein "echter" Amerikaner ist. Weiße Evangelikale bilden historisch den bedeutsamsten Teil der Bewegung. Vor allem in den vergangenen Jahrzehnten haben sich ihnen rechtskonservative Katholiken und pfingstkirchliche Strömungen angeschlossen, die in der heutigen religiösen Rechten immer mehr Einfluss gewinnen. Die heutige organisierte religiöse Rechte entstand aus den Versuchen, vor allem weiße Evangelikale für die Republikanische Partei zu mobilisieren - ein Vorhaben, das 1981 Ronald Reagan ins Weiße Haus brachte. Laut des Institut Pew Research Center sind 81 Prozent der registrierten republikanischen Wähler Christen, davon 30 Prozent weiße Evangelikale und damit die größte Religionsgruppe unter Wählern der Republikanischen Partei.

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Tja, es ist mal wieder die Zeit der skrupellosen Populisten des zeitgeistlichen Reformismus und der daraus resultierenden Erfolgssucht, wo ignorante Arroganz und heuchlerische Verlogenheit, im Sinne des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs um die Deutungshoheit, als gottgegeben und SCHEINBAR unabänderlich die menschliche Natur zur wettbewerbsbedingten Symptomatik auf die Spitze treiben.
Die herkömmlich-gewohnten Heuchler und Lügner haben mal wieder abgewirtschaftet und sind nun eben nicht mehr die Spitzen der wettbewerbsbedingt-gebildeten Suppenkaspermentalität.

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Was besonders die Wohlstands-/Gewohnheitsmenschen nicht hören, nicht sehen und schon garnicht sprechen wollen, ist die Tatsache, daß die Globalisierung der "Dienstleistungsgesellschaft" (die nichts anderes als der herkömmlich-gewohnte Kolonialismus ist!) nicht das gewohnte Verhältnis von 1:5 (Wohlstand : Tittytainment) der Weltbevölkerung wie gewünscht im Sinne der wettbewerbsbedingten Konfusion ÜBERALL verteilt gestaltet, damit niemand mehr sagen kann: "Hier die Armut, dort der Wohlstand".
Es muss also wieder und diesmal ganz heftig knallen!?