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Zweifler an der Demokratie
Die richtigen Antworten finden
"Der Staat funktioniert ja nicht mehr", höre ich oft in Gesprächskreisen, in denen es um die Gefahr geht, die droht, wenn die AfD die Wahlen gewinnt. Dann abzuwiegeln hilft nichts. Reale Erfahrungen schildern dagegen sehr
06.05.2024
4Min

Zurzeit nehmen Anfragen zu, in denen ich bspw. gebeten werde, zur AfD zu referieren und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. So auch vor Kurzem, ein kleiner geschlossener Kreis von Leitungspersonen hatte mich eingeladen. 

Mitgebracht hatte ich keinen komplexen Vortrag über die Geschichte, Strukturen und Netzwerke der AfD. So kurz vor den anstehenden Wahlen halte ich es für wichtiger, sich mit tatsächlichen politischen Positionen und Vorhaben zu befassen. Hilfreich sind dann immer konkrete Zitate von den Personen auf den obersten Listenplätzen der Wahllisten, Verweise auf Wahlprogramme oder tatsächliches Abstimmungsverhalten in den Parlamenten. Mir ist es wichtig, dann für die ausgrenzenden Wirkungen einer AfD-Rhetorik und -Politik zu sensibilisieren. 

Nach meinem Beitrag folgte ein Meinungsaustausch, auch dieses Mal konnte ich fünf Personengruppen ausmachen. 

Da sind diejenigen, die bereits recht gut informiert sind und sich engagieren wollen. 

Es gibt diejenigen, die es irgendwie wissen und die dankbar sind für konkrete Anregungen und Hinweise.

Es gibt Personen, die zumeist überrascht und schockiert sind über das Ausmaß an ausgrenzenden und menschenfeindlichen Positionen. Einige sind zumeist ratlos und haben gewissermaßen resigniert. 

Und es gibt die Zweifelnden, ob denn alles tatsächlich so schlimm sei bzw. so schlimm kommen würde.

So konnte ich auch dieses Mal wieder hören: „Glauben Sie das wirklich, dass die das dann auch so machen?“ Letztere Personen sind zumeist auch diejenigen, die in ihren Alltagssituationen keine schwierigen Entwicklungen wahrnehmen, keine Beispiele schildern und aussprechen, dass es kaum eine Rolle in ihrem Alltag spielen würde. Sie wirken wie eine Gegenposition auf die anderen Gruppen. 

Denn diese schildern ja sehr detaillierte Entwicklungen, Vorkommnisse, Erschwernisse. Sie verdeutlichen, wie prägend die politischen Haltungen von Menschen und das Wirken von Politiker*innen der in Sachsen als rechtsextrem eingestuften Partei sind. Sie beschreiben kleine Gängeleien, die in Arbeitsmühsal am Schreibtisch münden ebenso wie bspw. scheiternde Gesprächskreise, weil deren Mitglieder keine gemeinsame Gesprächsebene mehr aufgrund verschiedener politischer Interpretationen der gesellschaftlichen Situation finden.

Der letzte Aspekt ist dann fast eine erlebbare Folge auch in dem kleinen Personenkreis gewesen, zu dem ich geladen war. Je länger das Gespräch dauerte, umso mehr war im Raum deutlich eine wachsende Anspannung zu spüren. Auch ich hatte wieder einen Moment, in dem ich Enttäuschung empfand: „Nein, nicht doch auch hier solch eine Meinung.“ 

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Doch, auch Leitungspersonen können die Auffassung haben und laut äußern, „der Staat würde nicht mehr funktionieren“. Und schon ist es wieder notwendig, Selbstverständliches formulieren zu müssen. Und das taten einige in der Runde nachdrücklich. 

Der Staat funktioniert. Ziemlich gut. Mit größeren und kleineren Fehlern, die aber in demokratischen gesellschaftspolitischen Debatten beantwortet werden können. Ich konnte wieder einmal beobachten, dass geäußerte Einschätzungen, konkret geschilderte Vorkommnisse seien doch gar nicht so schlimm, dem betreffenden Kollegen oder der Kollegin überhaupt nicht weiterhelfen. Und wenn die skeptischen Personen es dann zugleich sind, die das eigentlich viel dramatischere Bild zeichnen („der Staat funktioniert nicht mehr“), kann das Gespräch schnell keine gemeinsame Ebene mehr finden oder gar entgleiten. Obwohl auch zukünftig weiter vertrauensvoll miteinander gearbeitet werden muss. Und so besteht recht schnell die Schwierigkeit, dass in solchen Runden sich eben nicht mehr mit dem wahrnehmbaren Agieren und den konkreten Auswirkungen der AfD-Propaganda befasst wird. 

Die Runde hat jedoch gut verstanden, dass es gegenseitige Unterstützung bedarf. Es wurde einander gestärkt, miteinander nachgedacht, mögliche Herangehensweisen vorgeschlagen, Tipps und Ansprechpersonen benannt. Die Anspannung war nicht weg, aber sie nahm spürbar ab. Nicht „abgenommen“ hat mein Kalender, denn aus der Runde heraus ist gleich ein weiterer Termin mit einem anderen Personenkreis entstanden. Das finde ich überhaupt nicht schlimm, sondern sogar gut.

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Kolumne

Christian Kurzke

Christian Kurzke stammt aus Ostdeutschland und arbeitet heute bei der Evangelischen Akademie in Dresden. Anke Lübbert wurde in Hamburg geboren, lebt jedoch seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Greifswald. Beide schreiben sie im Wechsel über Politik und Gesellschaft aus ihrer Sicht. Alle zwei Wochen