Podiumsdiskussion auf der Synode zum Schwerpunktthema "Migration, Flucht und Menschenrechte" mit Ebru Tasdemir, Anne Harms, Christian Staeblein, Sabine Sitter und Tareq Alaows (von links).
Podiumsdiskussion auf der Synode zum Schwerpunktthema "Migration, Flucht und Menschenrechte" mit Ebru Tasdemir, Anne Harms, Christian Staeblein, Sabine Sitter und Tareq Alaows (von links).
Heike Lyding/epd-bild
Migration
Im Herzen konservativ
Der evangelischen Kirche wird oft vorgeworfen, politisch zu links und grün zu sein. Die Debatte zur Migrationspolitik auf der Tagung der EKD-Synode zeigte, dass die Dinge etwas anders liegen
Lena Uphoff
13.11.2024
4Min

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sei links-grün - das wird ihr zumindest oft vorgeworfen. Wer einmal auf einer Tagung der EKD-Synode war, des obersten Kirchenparlaments, wird schnell erkennen, dass es so einfach nicht ist. Anzüge sind gesamtgesellschaftlich betrachtet ja eher auf dem Rückzug und Krawatten beinahe ausgestorben. Beides sieht man hier zuhauf. Und die weiblichen Synodalen tragen Blazer, Kostüm oder gar Tweedrock. Es wirkt alles sehr bürgerlich, gerade auch deswegen, weil die Jüngeren dann doch mal T-Shirt und Sneaker tragen. Die EKD ist optisch konservativ. Sie ist es aber auch inhaltlich, wie sich am Dienstag auf der Synodentagung zeigte.

Jedes Jahr berät die Synode auf ihrer Jahrestagung über ein inhaltliches Schwerpunktthema. Diesmal ging es um "Migration, Flucht und Menschenrechte". Migrationsforscherin Petra Bendel von der Universität Erlangen-Nürnberg verwies in ihrem Impulsvortrag auf die gesetzlichen Grundlagen des Asylrechts. Die in ihrem Zentrum stehenden Menschenrechte seien jedoch "keine Autorität an sich", sagte sie, auch sie "lassen sich aufkündigen". Diese normativen Grundlagen müssten also verteidigt werden.

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Der Kulturbeauftragte der EKD und chrismon-Kolumnist, Johann Hinrich Claussen, forderte in seiner Replik auf Petra Bendel dazu auf, eine häufige Erwartung zu enttäuschen: dass die EKD immer mit der Moral komme. Claussen sagte, die Gesellschaft sei verunsichert und rechtsextreme Wucht polarisiere die Debatte um Migration und Asyl. Auch er verwies daher auf die Grundrechte und sieht die Aufgabe der Kirche darin, die Stimme der Vernunft hochzuhalten, die mahnt, dass die Gesetze auch eingehalten werden sollten.

In den beiden Vorträgen ging es also um Recht und Vernunft – und die Moral, das Lieblingswort der EKD-Gegner, wurde gerade als unpassend zurückgewiesen.

Ob Hermann Gröhe richtig zugehört hatte? Der CDU-Politiker, Synodale und ehemalige Gesundheitsminister meldete sich anschließend recht emotional zu Wort und warf Claussen vor, die "Wucht von millionenfacher Flucht" zu verkennen und den Zusammenhang von Kontrollverlust bei der Zuwanderung und Sicherheitsproblemen nicht zu sehen. Es müsse immer um Humanität und Ordnung gleichermaßen gehen. Sein Statement wurde mit ordentlich Applaus aus den Reihen der Synodalen unterstützt. War das ein Vorgeschmack auf den kommenden Wahlkampf?

Nur, Claussen war der falsche Adressat dieser Kritik. Er hatte auf die Menschenrechte verwiesen, unnötiges Moralisieren zurückgewiesen und deutlich gemacht: Es ist Teil der christlichen DNA, Menschen auf der Flucht zu helfen. Sein Vortrag hatte also mit bürgerlich-konservativen Stammthemen gearbeitet: Recht und Tradition gegen Moral. Dafür wurde er nun von rechts kritisiert und die Kritik auch noch mit Applaus quittiert – das waren dann wohl die rechten Stimmen der Synode.

Im anschließenden Podiumsgespräch wurde jedoch deutlich: Rechts ist nicht gleich konservativ. Die immer weitergehende Verschärfung der Asylgesetze und die immer rauere Debatte um das Thema Migration sind keineswegs eine Rückkehr zu konservativen Werten. Im Gegenteil: Hier werden konservative Werte verleugnet, um die AfD in der Wählergunst nicht davonziehen zu lassen.

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Das Podium war mit Anne Harms von der kirchlichen Hilfsstelle für Flüchtlinge fluchtpunkt und Tareq Alaows von Pro Asyl mit zwei Praktikern besetzt, die aus ihrer Erfahrung berichten konnten, wo es hakt und was dagegen getan werden kann. Außerdem war der innerhalb der EKD für das Thema Flucht zuständige Berliner Bischof Christian Stäblein dabei. Am interessantesten waren allerdings die Aussagen der zwei Unionspolitiker auf dem Podium: des Würzburger Oberbürgermeisters Christian Schuchardt und von Sabine Sitter, Landrätin des Main-Spessart-Kreises.

Sie zeigten – ähnlich wie Claussen zuvor –, dass der Schutz von Menschen auf der Flucht und ein menschlicher Umgang mit Migrantinnen und Migranten Themen sind, die ins christliche Herz der Unionsparteien gehören. Oder anders gesagt: dass es dieses christliche Herz noch gibt.

Der Oberbürgermeister und die Landrätin, die sich beide zu ihrer christlichen Grundüberzeugung bekannten, machten deutlich, dass Hermann Gröhes Versuch, Ordnung gegen Humanität auszuspielen, unredlich ist. Mit politischem Willen, das war die Botschaft der beiden, geht beides: human handeln und Ordnung bewahren.

Rechtspopulistisch werden, um die Rechtspopulisten zu besiegen, wird nicht funktionieren und höhlt außerdem das christliche Fundament der Union aus. Oder wie Christian Schuchardt sagte: "Ich warne davor zu denken, dass man die Populisten aus den Parlamenten heraushalten kann, indem man sie in der Tonspur rechts außen überholt."

Es ist möglich, sachlich über das Thema Migration zu streiten und zu diskutieren. Und es gibt auch in der Union noch immer christliche Stimmen der Vernunft. Das macht Hoffnung für den kommenden Wahlkampf.

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