Ich bin Mitglied in der Synode der EKD, dem höchsten evangelischen Kirchenparlament. Dieses Gremium kann eigentlich viel verändern. Wir beschließen unter anderem die Kirchengesetze und wählen (gemeinsam mit den Mitgliedern der Kirchenkonferenz) den Rat der EKD, das höchste Entscheidungsgremium der evangelischen Kirche. Aber stimmt das wirklich, dass wir mitentscheiden können? Oft fühlt es sich nicht so an. Warum?
Von Sonntag bis Mittwoch, 10. bis 13. November 2024 tagt unser Gremium wieder. Während der Tagung sollen drei Sitze im Rat der EKD neu vergeben werden. Wir, die Synodalen sollen die Personen wählen. Allerdings stehen nur vier Kandidierende zur Wahl. Das empfinde ich als sehr unglücklich. Nicht, weil ich die Kandidierenden für ungeeignet hielte. Mir geht es vielmehr um drei grundsätzlichere Punkte, die ich erläutern und zur Diskussion stellen möchte.
Lisa Menzel
Wie ist der aktuelle Wahlvorschlag überhaupt zustande gekommen? Die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, gibt die Kandidierenden nur bekannt. Den Wahlvorschlag hat der Ratswahlausschuss erarbeitet. Dieser hat die Aufgabe, mögliche Kandidierende zu prüfen und geeignete Menschen anzusprechen, ob sie sich zur Wahl stellen lassen möchten. Wenn nur vier Kandidierende zur Wahl stehen, könnte das also daran liegen, dass der Ratswahlausschuss aus einem deutlich größeren Pool an möglichen Kandidierenden nur eine kleine Anzahl für geeignet hält. Das wäre eine schwerwiegende Entscheidung, bleibt jedoch ohne eine entsprechende Stellungnahme aus dem Ratswahlausschuss reine Spekulation. Wir sehen aber am Beispiel der Evangelischen Kirche von Westfalen, was passieren kann, wenn nur ein Kandidat für eine zu besetzende Position zugelassen wird. Dort hat der einzige Kandidat für das Präsesamt seine Kandidatur letztlich zurückgezogen.
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Dass nur so wenige Kandidierende zur Wahl stehen, könnte auch mit den ungeschriebenen Gesetzen und Traditionen zu tun haben, die mit darüber entscheiden, wer überhaupt für ein Amt in Betracht gezogen wird. Laut Ratswahlgesetz §5 muss der Ratswahlausschuss für seinen Wahlvorschlag begründen, "in welcher Weise die bekenntnismäßige und landschaftliche Gliederung der EKD berücksichtigt ist". 2021 gab es beispielsweise großes Empören der großen süddeutschen Landeskirchen, als diese sich nach dem letzten Wahldurchgang nicht ausreichend im Rat repräsentiert fühlten. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass sich die EKD aus 20 selbstständigen evangelischen Landeskirchen zusammensetzt, die in Bezug auf Mitgliederzahl und Finanzstärke sehr unterschiedlich sind.
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Eine weitere Tradition ist, dass ein Platz im Rat von einer Person aus dem Kreis der leitenden Kirchenjurist:innen besetzt wird. Nach dem Ausscheiden der Kirchenjuristin Stephanie Springer aus dem Rat der EKD 2023 stand laut Hans-Peter Strenge, dem Vorsitzenden des Ratswahlausschusses, aus diesem Kreis nur Stefan Werner für eine Nachwahl zur Verfügung. Damit wären dem Ratswahlausschuss die Hände gebunden, der ja schließlich auch keine zusätzlichen Kandidierenden herzaubern kann, sodass die Synode, spitz formuliert, letztendlich nur ein Veto-Recht hat.
Weitere (ungeschriebene) Kriterien für den Rat sind beispielsweise die Größe der vertretenen Landeskirchen und die Verteilung hinsichtlich Denominationen – es gibt lutherische, unierte und reformierte Landeskirchen innerhalb der EKD – sowie politischer Lager. Auch ob eine Person eine Verbindung zu den Universitäten mitbringt oder zur Diakonie kann für die Wahl wichtig sein. Und nicht zuletzt sollte auch eine gewisse Anzahl an sogenannten "leitenden Geistlichen" vertreten sein. Dieser Begriff wird bisher vor allem auf die ordinierten Theolog:innen bezogen, die Mitglied der Kirchenkonferenz sind.
Solche Proporze, die den Rat für die EKD möglichst repräsentativ machen sollen, führen in der Praxis leider nicht zu mehr Vielfalt, sondern vor allem zu einem verengten Feld möglicher Kandidierender.
Oder will den Job einfach niemand freiwillig machen und es finden sich deshalb nur ein paar wenige Kandidierende? Dann bringt uns auch die Möglichkeit nichts, auf der Synodaltagung noch weitere Kandidierende benennen zu können. Vielleicht ist das Amt nicht attraktiv, weil es mit einem hohen Grad an Verantwortung und Öffentlichkeit einher geht? Die Ratsmitglieder treffen sich in der Regel jeden Monat über ein ganzes Wochenende zu Sitzungen, hinzu kommen weitere repräsentative Aufgaben als Stimme der EKD nach außen. Um diese Leitungsämter attraktiver zu machen, wäre es sich wichtig, eine bessere Vereinbarkeit mit Hauptberuf und Familie zu ermöglichen.
Mehr mögliche Kandidierende bedeuten mehr Wahlmöglichkeiten und damit mehr Demokratie in der evangelischen Kirche. Als Protestant:innen sind wir immer so stolz auf unsere basisdemokratischen Strukturen. Umso wichtiger ist es, dass wir die demokratischen Ansprüche, die wir so gerne vor uns hertragen, auch tatsächlich erfüllen. Wenn wir unsere eigenen Ansprüche aber so wenig ernst nehmen wie derzeit, gibt es wenig Anlass, stolz auf unsere demokratischen Strukturen sein.