Iris Veit (links) und Susanne Krüger am Esstisch der Cluster-WG
Dorothea Heintze
Senioren-WG
Die beste Investition ihres Lebens
In der Berliner Genossenschaft Möckernkiez bewohnen sieben ältere Menschen eine Clusterwohnung. Sie wollen bis zum Tod so aktiv wie möglich zusammenleben. Wie funktioniert das?
Tim Wegner
17.12.2025
5Min

Es ist ein Klassiker: Als die Kinder von Iris Veit aus dem Haus waren, wurden die eigenen Eltern alt und brauchten Pflege. Und Iris Veit, Jahrgang 1952, kümmerte sich um beide Eltern bis zu deren Tod.

35 Jahre lang hat die heutige Rentnerin als Hausärztin und Psychotherapeutin im Ruhrgebiet gearbeitet. Die alten Eltern zu pflegen, war für sie selbstverständlich. Auch weil Krankheit, Tod und Einsamkeit für sie als Ärztin zum "täglich Brot" gehörten, wie sie erzählt. Und weil die Eltern sich auf sie verlassen hatten und keine Alternative akzeptiert hätten. Deshalb war für Iris Veit klar: Sie selbst wollte es im Alter anders machen. Nicht die Kinder verpflichten, sondern sich aktiv ein geeignetes Umfeld für den letzten Lebensabschnitt suchen.

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Das hat sie gemacht und zog 2019 aus dem Ruhrgebiet nach Berlin. Dort fand sie ähnlich denkende Mitstreiterinnen und lebt heute als Gründungsmitglied des Vereins "lebendig altern e. V." in der Genossenschaft Möckernkiez am Berliner Gleisdreieck. In dem Komplex der Genossenschaft mit über 450 Wohnungen hat der Verein zwei Wohnungen in zwei Stockwerken angemietet und konnte die Räume mitplanen. So zum Beispiel eine große offene Küche und eine innen liegende Treppe zur direkten Verbindung zwischen den Stockwerken.

In der WG leben sieben Menschen zwischen Mitte 60 und Mitte 70, drei Singles, zwei Paare. Jede Partei hat einen eigenen Wohnraum mit Bad; die Singles haben ein Zimmer, die Paare zwei. Für die gemeinschaftliche Nutzung stehen zwei Küchen, auf beiden Etagen große Wohn- und Essräume, eine kleine Sauna und ein Zimmer mit eigener Dusche als Gästewohnung zur Verfügung.

Clusterwohnung nennt sich das Konzept, das in Deutschland bei der Planung von Neubauten eine immer größere Rolle spielt. Viele Menschen wollen, gerade auch im Alter, mit anderen Menschen zusammenwohnen, doch eine klassische WG ist ihnen zu intim und bietet zu wenig Privatsphäre. Eine Clusterwohnung ist in der Regel so gestaltet, dass jedes Zimmer, für Paare dann meistens zwei Zimmer, ein kleines Bad hat, manchmal auch eine Minikochnische. Alles andere wird gemeinschaftlich bewohnt und organisiert.

Susanne Krüger auf der gemeinschaftlichen Dachterrasse mit Blick ins Grüne in den Park am Gleisdreieck. In allen Häusern der Genossenschaft gibt es AGs, die sich um den Erhalt der gemeinschaftlichen Flächen und Räume kümmern

Susanne Krüger, Jahrgang 1953, ist der jüngste Neuzugang. Sie war Professorin an der Hochschule der Medien in Stuttgart, hat keine eigenen Kinder und wohnte in jungen Jahren immer in Wohngemeinschaften. Als sie 1989 nach Stuttgart zog, fand sie keine Möglichkeit: "Das waren andere Zeiten damals", erinnert sie sich. Studentische WGs waren akzeptiert, doch als Frau von Mitte 30 mit anderen Menschen zusammenzuziehen, das fanden viele merkwürdig: "Ich musste mir viele blöde Sprüche anhören", erinnert sie sich. Und so wohnte sie allein.

Ende 2020 lernte sie bei einem Besuch in Berlin den Möckernkiez und die Senioren-WG kennen. Als Anfang 2025 ein Zimmer frei wurde, bewarb sie sich. Eine Woche wohnte sie zur Probe, es gab auch noch andere Bewerberinnen. Die Gruppe entschied sich für sie. Vier Monate später zog Susanne Krüger nach Berlin. Freundinnen und Freunde, so berichtet sie, fanden ihren Entschluss unglaublich "mutig". Sie selbst kennt sich besser und weiß: "Das war nicht mutig, sondern folgerichtig."

Wie Iris Veit ist auch Susanne Krüger der Überzeugung, dass es nicht unbedingt gute Freundinnen und Freunde sein müssen, die zusammenziehen. Sich im höheren Alter auf ganz fremde Menschen so intensiv einzulassen, biete viele Chancen.

Im Alltag hat die Gruppe sich einen festen Rhythmus gegeben: Jeden Sonntag mehr oder weniger verpflichtend ein gemeinsames Gruppenfrühstück, bei dem alle Themen, die anliegen, besprochen werden. Es gibt eine gemeinsame Lebensmittel- und Haushaltskasse, aus der Einkäufe getätigt werden. Wenn sie leer ist, beteiligt sich jeder mit 100 Euro. Einmal die Woche kommt ein Putzmann, jeden Abend kocht jemand für alle. Wer Zeit und Lust auf Gemeinsamkeit hat, nimmt teil.

Die Miete kostet 9 Euro pro Quadratmeter kalt. Susanne Krügers private Wohnfläche umfasst 35 Quadratmeter, Iris Veits Zimmer ist etwas größer. Die Kosten für die Gemeinschaftsflächen werden aufgeteilt. Hinzu kommen die sogenannten "wohnungsbezogenen Anteile" pro Quadratmeter.

Bei alteingesessenen Wohnungsbaugenossenschaften, die über viele gebaute und vermietete Wohnungen verfügen, sind das manchmal nur 100 Euro pro Quadratmeter. Genossenschaften, die wie der Möckernkiez neu bauen und viel Kapital brauchen, müssen mehr verlangen: 920 Euro pro Quadratmeter, hinzu kommen 1000 Euro Eintrittsgeld für die Genossenschaft. Im Gegenzug gibt es im Möckernkiez, wie bei allen Wohnungsbaugenossenschaften üblich, ein lebenslanges Wohnrecht und das Recht auf Wiederauszahlung der Gelder bei Auszug.

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Susanne Krüger und Iris Veit haben für ihr Wohnrecht in der Alters-WG je mehrere zehntausend Euro gezahlt. Iris Veit weiß: "Das ist das bestinvestierte Geld meines Lebens." Denn in der Alten-WG zu leben, sei auf lange Sicht nicht nur viel schöner, sondern auch günstiger als allein in der zu großen Familienwohnung zu bleiben oder in ein Heim zu ziehen. Alle Kosten, ob fürs Essen, WLAN, Putzen, neue Möbel usw., würden geteilt. Und vor allem seien sie alle füreinander da, wenn es wirklich ernst mit Alter und Pflege werde.

Die erste Bewährungsprobe hat die Gruppe bereits hinter sich, als Gründungsmitglied Heidi mit 78 Jahren viel zu früh verstarb. Bis zuletzt wurde sie in der eigenen Wohnung versorgt - durch die Schwester und durch die Mitglieder der WG. Bis zuletzt konnte sie sich selbst versorgen, aber hätte sie die Körperpflege nicht mehr geschafft, dann wäre ein Pflegedienst engagiert worden, darauf hatte sich die Gruppe im Vorwege geeinigt. "Mit allem anderen haben wir uns abgewechselt und auch gegenseitig getröstet", erinnert sich Iris Veit. Heute bewohnt Susanne Krüger Heidis Zimmer.

Wenn eines Tages die Treppe zum Problem wird, ist die technische Vorrüstung für einen Fahrstuhl vorhanden, ebenso kann die Gästewohnung für eine Vollzeitpflege genutzt werden. Noch ist es nicht so weit, noch planen sie nicht Krankheit und Tod, sondern Ausflüge, gemeinsame Reisen und vor allem den gemeinschaftlichen Alltag.

Infobox

Die Genossenschaft Möckernkiez eG hat sich aus einer Nachbarschaftsinitiative heraus im Jahr 2009 gegründet und konnte 2010 ein großes freies Grundstück am Berliner Park am Gleisdreieck erwerben. Sie organisierte dann den Bau von heute 14 Wohngebäuden inklusive Hotel, Kita, Supermarkt, Restaurants, Gewerbeflächen und Gemeinschaftsräumen. In den 471 Wohnungen leben heute gut 1000 Menschen.
Unter dem Dach der Genossenschaft gibt es mehrere Vereine, neben "lebendig altern" auch den großen Möckernkiez-Verein. Viele Menschen, die in der Genossenschaft wohnen, bringen sich in Arbeitsgruppen ein. Gerade wurde zudem die Gründung eines Solidarfonds beschlossen, um Menschen zu unterstützen, die kein eigenes Kapital haben, aber Anteile der Genossenschaft erwerben und dort wohnen wollen.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach.