Filmemacher Rainer Fromm im Interview
"Demokratieverdruss ist überall in Deutschland zu finden"
Unsere Demokratie ist angeschlagen – woher kommt der Hass auf das politische System? Der Fernsehjournalist Rainer Fromm sucht in seinem neuen Film "Wir Egoshooter – Sozialer Klimawandel in Deutschland" nach Antworten
Filmemacher Rainer Fromm: "Mir war wichtig, zu dokumentieren, nicht zu belehren."
Szene aus dem Film "Wir Egoshooter - Sozialer Klimawandel in Deutschland"
Rainer Fromm
Lena Uphoff
21.10.2024
4Min

chrismon: In Ihrem neuen Film setzen Sie sich mit unserer Demokratie auseinander und fragen sich, warum ihr so viele Menschen den Rücken kehren. Wie kamen Sie auf die Idee zum Film?

Rainer Fromm: Ich bin überzeugt, dass wir in Deutschland eine funktionierende Demokratie haben. Gleichzeitig nehme ich aber wahr, dass es innerhalb der Gesellschaft ein sehr großes Misstrauen gegenüber unserer Demokratie gibt. Das sieht man nicht nur an antidemokratischem Wahlverhalten, sondern auch daran, dass Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates regelmäßig attackiert werden. Sogar Feuerwehrleute, Sanitäter und Polizeibeamte, die für unsere Sicherheit da sind, werden als vermeintliche Repräsentanten des Staates zur Zielscheibe von Hass und Gewalt. Das ist für mich unbegreiflich. Ich wollte herausbekommen, warum Menschen so einen großen Hass auf unser politisches System haben.

privat

Rainer Fromm

Rainer Fromm, geboren 1965, ist Politikwissenschaftler und Fernsehjournalist. In seinem neuen Film "Wir Egoshooter – Sozialer Klimawandel in Deutschland" geht er der Frage nach, warum sich Menschen von der Demokratie abwenden

Und – haben Sie es herausgefunden?

Ja. Hass und Misstrauen sind oft Produkte von Unsicherheit. In den letzten Jahren gab es eine Vielzahl gesellschaftlicher Probleme, die die Menschen als existenzielle Bedrohung wahrgenommen haben. Zuerst gab es eine Finanzkrise, dann eine Migrationskrise, dann die Coronapandemie und zuletzt der russische Überfall auf die Ukraine, gepaart mit der Angst um die Energieversorgung. Das sind riesengroße Themen, die viele Menschen ohnmächtig zurückgelassen haben. Ein Mechanismus, mit dieser Ohnmacht umzugehen, ist die Flucht in Verschwörungsdenken. Es werden einfache Lösungen suggeriert, die es so nicht gibt. Menschen flüchten sich in Irrationalismus, eine Folge ist Hass und Misstrauen.

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Welche Rolle spielen dabei die sozialen Medien?

Die sozialen Medien potenzieren den Hass. Sucht man ein Feindbild oder auch eine Community, die ähnlich denkt, wird man problemlos fündig. So können Verschwörungsmythen schnell weiterverbreitet werden. Eine Politik, die rational handelt, hat gegen diese Mythen kaum eine Chance, weil sie fundiert arbeiten muss.

Was kann die Politik gegen diese Ängste tun?

Transparent sein. Ich glaube, es ist wichtig, dass Politikerinnen und Politiker ehrlich im Umgang mit Problemen sind und kommunizieren, dass es auch mal mehrere Jahre dauern kann, um Probleme zu lösen. Es ist eine gefährliche Entwicklung, dass der Konsens, konstruktiv miteinander umzugehen, in unserer Demokratie offenbar verloren gegangen ist. Es gibt viele demokratische Politikerinnen und Politiker, die sich mit populistischen Aussagen überbieten und damit genau das demokratische Gebäude zerstören, das sie regieren und gestalten möchten.

Außerdem brauchen wir mehr Medienerziehung. Es ist wichtig, schon in der Schule den Umgang mit Verschwörungstheorien zu lernen. Im Moment erleben wir nicht nur einen Angriff auf unsere Demokratie, sondern auch auf wissenschaftliche Standards und empirisches Wissen. Belege sind zum Beispiel die Verbreitung von Mythen rund um die angebliche Fremdbestimmung demokratischer Parteien und Prozesse durch Geheimbünde, Menschenversklavungspläne durch Eliten im Zuge der Corona-Maßnahmen oder die mannigfaltigen Versuche, den von Menschen erzeugten Klimawandel zu negieren.

Und die Gesellschaft?

Die Gesellschaft muss sich wieder bewusst werden, dass Demokratie kein Selbstbedienungssystem ist, sondern Verantwortung bedeutet. In einer Demokratie zu leben heißt nicht, die angenehmen Seiten anzunehmen und die unangenehmen Seiten zu verteufeln. Mit unserem Versorgungs- und Sicherheitssystem sind viele Menschen zufrieden, wenn es aber darum geht, zum Beispiel eine Maske zu tragen, um sich und andere zu schützen, oder für das Klima auf ein großes Auto zu verzichten, reagieren Menschen mit Ablehnung. Dabei bedeutet Demokratie Solidarität.

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Wie lange haben Sie an dem Film gearbeitet?

Die Dreharbeiten haben lange vor dem Filmprojekt begonnen. Vor vier bis fünf Jahren habe ich angefangen, ganz unterschiedliche Menschen zum Schwerpunkt der Delegitimation des Staates zu interviewen. Mit Menschen aus dem Querdenkerspektrum, aus dem politischen Extremismus, aber auch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Aktiv gedreht habe ich dann ein halbes Jahr. Dafür war ich in verschiedenen Regionen Deutschlands unterwegs, unter anderem in Sachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Mir war es wichtig, zu zeigen, dass dieser Demokratieverdruss im Moment überall in Deutschland zu finden ist.

Wie haben die Menschen vor Ort auf Sie reagiert?

Ich bin nie anklagend in die Gespräche gegangen. Wenn man mit Menschen zu tun hat, die auch irrationale Weltbilder haben, ist es wichtig, ihnen zu zeigen, dass man zuhört. Mir ist keine Aggression begegnet. Selbst bei Menschen, die nicht mit Journalisten reden wollten, ist es am Ende doch gelungen. Man darf sie nur nicht belehren, sondern muss sachlich mit ihnen kommunizieren. Gerade die emotional hoch aufgeladenen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen oder die Proteste gegen den Zuzug von Migranten durch die Pegida-Bewegung sind gute Beispiele. Hier bekam ich von Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern immer wieder geschildert, dass Journalisten eine anklagende und zum Teil sogar verächtliche Haltung im Umgang an den Tag legen. Auch wenn ich oft keine einzige Position teilen konnte, war es für mich wichtig, Aussagen zu dokumentieren und nicht zu belehren. Das heißt aber nicht, dass ich derlei Positionen in den Filmprojekten unkommentiert stehen lasse und mich als Propagandaplattform für Irrationalismen missbrauchen lasse.

Glauben Sie, dass wir in Zukunft wieder zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt finden?

Es ist sehr schwer. Im Moment beobachte ich eher eine gegenteilige Entwicklung. Selbst in Teilen des demokratischen Politikspektrums, aber auch in Medien und in immer größeren Teilen der Gesellschaft verbreitet sich ein ungehemmter Populismus. Wenn Menschen der Mitte nicht lernen, mehr Verantwortung zu übernehmen, um dieser Entwicklung entgegenzutreten, habe ich große Sorgen, ob wir in zwanzig oder dreißig Jahren noch in diesem demokratischen System leben.

Infobox

Wir Egoshooter – Der soziale Klimawandel in Deutschland (Deutschland, 2024), Erscheinungstermin: 21.10.2024.

Dokumentation von Rainer Fromm; Dauer: 31 Minuten

www.matthias-film.de

Der Film erscheint bei Matthias Film: Lehrerpersonal/Schulen oder Gemeinden können dort die Rechte am Film erwerben, um ihn einer Gruppe von Interessierten zu zeigen.

Eignung: ab 15 Jahren, Sek I+II, Klassen 9 -12/13, außerschulische Bildungsarbeit

Fächerbezug: Sozialkunde, Politik, Ethik/Werte und Normen

Begleitmaterialien: Vorwort | Filminfos | didaktisch-methodische Tipps | 3 Infoblätter | 1 Textblatt | 6 Arbeitsblätter | 8 Szenenbilder | Medien- und Linktipps

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