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Jakobus beschreibt in seinem Brief das menschliche Handeln und Reden sehr anschaulich. Er führt vor Augen, wie mächtig wir Menschen sind: Selbst Naturgewalten machen wir uns zunutze – für gute und schlechte Zwecke. Auch die Sprache kann wie eine Naturgewalt wirken. Die Menschen zu Jakobus’ Zeiten dachten dabei auch an die schöpferische Kraft Gottes, der durch sein Wort die Welt aus dem Nichts schuf. Nicht von ungefähr schreibt der Evangelist Johannes im Prolog: "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort."
Wolfgang Schäuble
Auch das menschliche Wort hat Macht. Jakobus mahnt zum umsichtigen Umgang mit der Sprache: Leichtfertige Äußerungen können schnell ins Verderben führen oder kaum korrigierbare Kurswechsel auslösen – ähnlich wie kleinste unbedachte Bewegungen am Steuerruder großer Schiffe. Daher rät Jakobus, die Zunge im Zaum zu halten.
Indem er den drastischen Vergleich mit dem verheerenden Feuer wählt, verleiht er seinem Anliegen besonderes Gewicht: Das ist mehr als die freundliche Warnung vor Geschwätzigkeit oder einem spontanen Kraftausdruck. Er deutet auf die Niedertracht hin, die sich in böswilligen Reden äußert. Auf Rechthaberei und die zerstörerische Wirkung von Unterstellungen und Gerüchten, Falschaussagen und Unwahrheiten.
Das Böse ist in uns angelegt
Das Faszinierende an Bibeltexten ist ihre zeitlose Gültigkeit: Die Welt verändert sich in rasantem Tempo – das Wesen des Menschen, seine Stärken und Schwächen bleiben aber beständig, auch in der Kommunikation. Jakobus wusste um die Ambivalenz der menschlichen Natur. Ihn trieb schon damals um, dass in der Sprache Fluch und Segen eng beieinanderliegen. Die heute weltumspannende digitale Kommunikation in Echtzeit konnte er sich nicht ausmalen. Doch seine Worte bleiben treffend: Wir übertreiben beim Reden, wir sind versucht, uns auf allen Kanälen zu ereifern.
Wir brauchen keine 280 Zeichen, um einen anderen mit einem einzigen scharfen Tweet niederzumachen, ihn schlechtzureden, sein Recht auf freie Meinungsäußerung wegzuwischen. Die Versuchung ist von jeher groß, den zu erniedrigen, der rhetorisch unterlegen ist. Kein schöner Zug, aber menschlich. "Verleumden, Schmäh’n und Richten, Verdammen und Vernichten ist überall gemein", heißt es in einer Bach-Kantate.
Jakobus beschreibt die Zunge, also die Sprache, als "aufrührerisches Übel, voll tödlichen Gifts". Das liest sich wie eine Analyse aus unseren Tagen über soziale Medien, in denen der Mord an einem, der anders denkt oder handelt als die eigene Peergroup, Häme oder Beifall auslöst. Doch der Text will mehr als Verhaltensregeln in Erinnerung rufen. Jakobus fordert auf, vernünftig zu handeln und gut zu sein – obwohl in uns auch Unvernunft und das Böse angelegt sind. Es gilt, die dunklen Seiten zu zähmen. Nicht allein im Bekenntnis, sondern durch aktives Handeln. Durch gute Werke: "So ist der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber." Diese radikale Aussage kann Widerspruch herausfordern. Ist Gottes Liebe zu den Menschen, seinen Geschöpfen, nicht bedingungslos? Sind wir uns der Gnade Gottes nicht trotz unserer Fehler und Verfehlungen sicher?
Martin Luther hatte Einwände, weil Jakobus Taten und Werke der Menschen so wichtig nimmt und ihnen auf dem Weg zu Gott eine so bedeutende Rolle beimisst. Vielleicht steckt gerade darin die Aktualität des Jakobusbriefes. Die lebensnahe Haltung, seine Aufforderung zur konsequent gelebten Mitmenschlichkeit und Vernunft. Man kann nicht zügellos niederen Instinkten folgen und gleichzeitig der Gemeinschaft oder sogar Gott dienen. Entweder – oder. Wir müssen uns entscheiden. Passen wir auf, dass wir keine kleinen Feuer entzünden. Sie können große Verheerungen entfachen.
"Siehe, auch die Schiffe, obwohl sie so groß sind und von starken Winden getrieben werden, werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wohin der will, der es führt. So ist auch die Zunge ein kleines Glied und rechnet sich große Dinge zu. Siehe, ein kleines Feuer, welch großen Wald zündet’s an!"