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Die Wohnlage berichtet jetzt über Fußball?
Stimmt, allerdings nur ein bisschen. Es geht nicht um Sport, sondern um die neue Organisationsform vom FC St. Pauli in Hamburg. Als erster Profifußballverein Deutschlands hat er eine Genossenschaft gegründet. Nicht, um mit viel Geld teure Spieler zu finanzieren, sondern um das Stadion des Vereins zu kaufen und es dann dauerhaft, preisstabil und spekulationsresistent an den Verein zurückzuvermieten. "Steine statt Beine" ist der Slogan.
Genossenschaften sind vor allem im gemeinwohlorientierten Wohnungsbau bekannt. Und genauso wie bei vielen Wohnhäusern, die sich als Genossenschaften organisieren, geht es auch hier im Kern um die Vergesellschaftung von Gebäuden, in diesem Fall um ein Fußballstadion im Herzen der Stadt Hamburg. 2025 ist das Internationale Jahr der Genossenschaften - ein schöner Anlass, sich dem Beispielhaften dieser Neugründung zu widmen.
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Im Nachhinein wundern sich viele, dass niemand vor den St.Paulianern auf diese Idee gekommen ist, so logisch scheint sie. Schon gibt es erste Nachahmer, Schalke 04 zum Beispiel, wie mir FC St. Pauli-Genossenschaftsvorstand Andreas Borcherding berichtete.
2024 ist der FC St. Pauli aufgestiegen in die erste Bundesliga. Ein "emotionales Momentum" für die Gründung der Genossenschaft, beschreibt es Andreas. Der Verein hatte Schulden, weil er sein Stadion komplett umgebaut und renoviert hatte. Nix Neues im Profifußball. In der Regel holt sich der Verein dann einen Investor an Bord. Doch dieser Investor oder die Investorin will in der Regel mitreden. Vielleicht den Stadion-Namen ändern, eine neue Trainerin einstellen – was auch immer.
St. Pauli ist anders. Neben dem Fußball gibt es noch über 25 andere Sportabteilungen, der Verein mischt sich ein in der Stadt, im Quartier. Im Vereinsheim gibt es Veranstaltungen gegen rechts oder gegen die Gentrifizierung im Stadtviertel. Das Stadion beheimatet eine Kita, und im Vereinsmuseum widmet man sich der Geschichte der jüdischen Sportler*innen vor dem Krieg. Wenn also Geld von außen nötig sei, so erzählt es mir Andreas, dann sollte das Kapital von den eigenen Leuten kommen, von der "Fanschaft", wie sie hier sagen.
Über 20 000 Menschen haben seit November 2024 Genossenschaftsanteile gezeichnet, die angestrebten 30 Millionen Euro für den Kauf des Stadions kamen fast zusammen. Die Genossenschaft ist formell gegründet. Andreas Borcherding, gelernter Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, und in der Gründungsphase der Genossenschaft noch rein ehrenamtlich für sie tätig, ist mittlerweile mit einer Co-Vorständin in Teilzeit angestellt. Die erste Generalversammlung mit über 1500 Teilnehmern fand digital im Juni 2025 statt.
Es gibt eine Warteliste von über 1000 Menschen und weiteren 2,3 Millionen Euro. Selbst aus dem Ausland wollen Menschen Anteile zeichnen, das öffentliche Interesse sei enorm, erzählt Andreas. Auch die New York Times hat berichtet. Alles ziemlich spektakulär für den eigentlich kleinen und in der linken Szene beheimateten Verein von der Elbe.
Genossenschaften gibt es in fast allen Bereichen und fast immer geht es nicht nur um Geldverdienen. Es geht um Mitbesitz und Mitsprache, um Partizipation, um Vergesellschaftung. Denn egal, wie viele Anteile wer auch immer in welcher Genossenschaft gezeichnet hat: Er oder sie hat in der Generalversammlung nur eine Stimme. Alle sind gleichberechtigte Mitbesitzer oder Mitbesitzerin, können mitreden und mitgestalten.
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In Deutschland boomt die Idee: Mehr als 7500 Genossenschaften gibt es bereits, jedes Jahr kommen ein paar hundert hinzu. Mit über 23 Millionen Menschen ist fast jeder vierter Einwohner dieses Landes Mitglied einer Genossenschaft. Das internationale Jahr der Genossenschaften 2025, englisch Cooperatives, wird weltweit gefeiert. Seit 2016 gehören Genossenschaften zur UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit.
Ich lebe in Hamburg und kenne einige Menschen, die jetzt Mitglied der Pauli-Genossenschaft wurden. 750 Euro kostet ein Anteil, hinzu kommen 100 Euro Verwaltungsgebühr. Ermittelt wurde die Höhe des Betrages durch mehrere Marktforschungen und Umfragen unter den Mitgliedern. Auch unser Freund Björn wurde befragt und war sofort dabei. Seit den 1980er Jahren ist er Mitglied im Verein, weil er den Laden "einfach cool" findet.
Die 850 Euro sieht Björn nicht als Kapitalanlage, sondern als Invest in eine stabile Zukunft des Vereins. Doch es sei ein schwieriger Spagat für den Verein. Der Profifußball sei "brutal durchkommerzialisiert". St. Pauli schwimme dagegen an. Ob das in der 1. Liga klappen wird?
Björn ist sich da nicht so sicher, aber eigentlich sei das nicht das Entscheidende. Er findet es großartig, dass der Verein ein Zeichen setzt. Für Mitsprache, für gelebte Demokratie und für Solidarität in einer großen Gemeinschaft. Bei dieser Genossenschaft, so sagt er, gehe es einfach um viel mehr als nur den Fußball.
Und da schließt sich wieder der Kreis zu den Wohnungsbaugenossenschaften. Auch bei ihnen geht es fast immer um mehr als nur Wohnen. Wohnungsbaunossenschaften schaffen sicheren Wohnraum, der preisstabil vermietet wird. Sie sind eine echte Alternative im spekulationsgetriebenen Baubetrieb. So wie die Genossenschaft St. Pauli eine Alternative im Profifußball ist. Hoffentlich gibt es noch viel mehr Nachahmer, natürlich im Wohnungsbau und gerne auch im Fußball.