In der Schulkantine essen Kinder mit verschiedenen Hintergründen gemeinsam. Begegnung und Austausch sollten selbstverständlich sein
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Halal-Essen an Schulen
Vielfalt auf den Teller
Nur halal-zertifiziertes Essen in Schulkantinen? Das wollen nicht mal muslimische Eltern - außer vielleicht eine Minderheit. Schulen sind für alle da - das sollte sich auch im Speiseplan spiegeln
Peter Grewer
11.08.2025
4Min

In jüngster Zeit wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob die eine oder andere öffentliche Schule nur noch Halal-Essen anbieten sollte. Die Debatte mag auf den ersten Blick banal erscheinen, es geht ja "nur ums Essen". Doch schnell zeigt sich, dass sie viel tiefere Fragen berührt: nach religiöser Anerkennung, gesellschaftlichem Zusammenhalt und den Grenzen pluraler Rücksichtnahme.

"Halal" heißt wörtlich "erlaubt". Gemeint ist damit, was im Islam ethisch oder religiös zulässig ist, beim Essen insbesondere bestimmte Fleischsorten und Zubereitungsweisen. Es ist unter Muslim*innen Konsens, dass der Verzehr von Schweinefleisch und Produkten, die Schweinefett enthalten, verboten (haram) ist. Ebenso verboten ist der Konsum von Alkohol, wenngleich es in der islamischen Tradition auch Stimmen gibt, die betonen, nicht der Genuss an sich sei das Problem, sondern die Trunkenheit.

Beim Fleisch scheiden sich die Geister an der Frage: Muss ein Tier zwingend nach islamischem Ritus geschächtet werden, damit es halal ist? Oder genügt es, auf Schweinefleisch zu verzichten?

Die islamische Gelehrsamkeit ist uneins. Viele Muslime beziehen sich auf den Koranvers: "Das Essen derer, denen die Schrift gegeben wurde (gemeint sind Juden und Christen), ist euch erlaubt, und euer Essen ist ihnen erlaubt" (Koran 5:5). Darin sehen sie die Erlaubnis, auch nicht geschächtetes Fleisch zu essen, sofern es kein Schweinefleisch ist. Andere wiederum legen Wert auf das rituelle Ausbluten, wie es beim klassischen Schächten erfolgt. Die Praxis der meisten Muslime in Deutschland aber ist pragmatisch: Sie kaufen Fleisch im Supermarkt, vermeiden Schweinefleisch, aber verzichten meist auf spezielle Halal-Zertifikate.

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Die Idee, an öffentlichen Schulen nur noch Halal-Fleisch anzubieten, ist gut gemeint. Sie kann als ein Akt der Wertschätzung gegenüber muslimischen Schülerinnen und Schülern gelesen werden, als Zeichen dafür, dass ihre religiösen Traditionen gesehen und respektiert werden. Religiöse Vielfalt sichtbar zu machen und zu würdigen ist ein wichtiger Schritt in einer inklusiven Gesellschaft.

Gleichzeitig aber birgt ein solcher Schritt Probleme. Denn es könnte der Eindruck entstehen, dass sich staatliche Einrichtungen wie Schulen religiös positionieren zugunsten der einen, möglicherweise auf Kosten der anderen. Zudem verbinden nicht wenige das Wort "halal" mit einem diffusen Gefühl von Islamisierung. In einer Gesellschaft, in der solche Ängste ohnehin stark geschürt werden, ist Sensibilität gefragt, ohne damit Forderungen von Populisten nachzugeben.

Wäre es nicht viel überzeugender, wenn sich die Schulküche tatsächlich als Spiegel einer pluralen Gesellschaft zeigen würde? Warum nicht eine Auswahl anbieten, die möglichst alle Kinder und junge Menschen mitnimmt: halal, nicht halal, vegetarisch, auch Schweinfleisch? Produktiv mit Vielfalt umzugehen heißt eben auch, sich in Unterschiedlichkeit zu begegnen, ohne dass eine Lebensweise die andere verdrängt. Und dazu gehört auch die Erkenntnis: Nicht alle Muslime bestehen auf Halal-Fleisch, und schon gar nicht auf einer exklusiv islamischen Ernährung in öffentlichen Einrichtungen.

Die Diskussion um Halal-Essen an Schulen ist Teil einer viel größeren Debatte: Wie gestaltet sich das Verhältnis von Religionsfreiheit, gesellschaftlicher Anerkennung und demokratischen Leitplanken?

Muslimische Religionspraxis hat in den vergangenen Jahren sichtbare Fortschritte gemacht: islamischer Religionsunterricht an Schulen, der Bau von Moscheen, die Anerkennung muslimischer Feiertage in manchen Regionen. All das sind wichtige Zeichen, dass Muslime Teil dieser Gesellschaft sind, mit gleichen Rechten, aber auch gleichen Pflichten. Dabei müssen wir uns auch mit Grenzen beschäftigen: Ist es mit unseren Prinzipien vereinbar, wenn muslimische Studierende an Universitäten Geschlechtertrennung verlangen? Sollen muslimische Mädchen tatsächlich vom Sportunterricht befreit werden? Welche islamischen Praktiken verdienen institutionelle Anerkennung, und welche sollten als persönliche Entscheidung im privaten Raum verbleiben?

Ein oft übersehener Aspekt in dieser Debatte ist die innermuslimische Vielfalt. Viele Positionen, die als "die islamische Sichtweise" präsentiert werden, sind in Wahrheit nur eine unter vielen. Viele Muslime wünschen für ihre Kinder kein strikt Halal-zertifiziertes Essen. Hauptsache, es enthält kein Schweinefleisch. Nur wenige würden die Geschlechtertrennung an Universitäten als "islamisch" vertreten. Viele Eltern wollen, dass ihre Mädchen unbedingt am Sport- und Schwimmunterricht teilnehmen. Es ist deshalb nicht nur eine Frage zwischen "Gesellschaft" und "Islam", sondern auch eine innerhalb muslimischer Gemeinschaften selbst.

Wirklich weiter kommen wir nur, wenn wir uns gegenseitig zuhören, offen, sachlich und differenziert. Wenn wir lernen, auch innerhalb religiöser Gruppen Vielfalt anzuerkennen. Wenn wir Debatten nicht moralisch oder ideologisch abwürgen, sondern argumentativ führen. Wenn wir Räume schaffen, in denen sich gerade junge Muslime nicht zurückziehen müssen, sondern sich eingeladen fühlen, Teil dieser Gesellschaft zu sein, nicht trotz ihres Glaubens, sondern auch mit ihm.

Manche argumentieren, dass an Schulen, in denen die Mehrheit der Schülerschaft muslimisch ist, ausschließlich Halal-Essen angeboten werden sollte - die anderen müssten sich anpassen. Das jedoch wäre das Ende von gelebter Vielfalt. Und im Umkehrschluss würde diese Argumentation bedeuten: Wo Muslime selbst in der Minderheit sind, müssten sie sich der Mehrheit anpassen, auch in Fragen des Essens. Vielfalt aber ist kein relativer Wert, der je nach Kontext angepasst wird, sie ist ein unverzichtbarer Grundpfeiler unserer pluralen Gesellschaft. Und genau deshalb muss sie geschützt und aktiv gefördert werden.

Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Religion nicht zum Rückzugsort vor der Gesellschaft wird, sondern zur Quelle von Sinn, Spiritualität und Dialog. Dann ist selbst ein Teller Essen mehr als nur Nahrung, er wird zu einem Ort der Begegnung. Eine Küche, die Vielfalt abbildet, wäre daher das richtige Signal, unabhängig von Mehrheiten oder Minderheiten.

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Kolumne

Mouhanad Khorchide

Für den islamischen Theologen Mouhanad Khorchide ist die Freiheit des Glaubens sehr wichtig. Er tritt ein für einen Glauben, der die Menschen frei macht und die Liebe Gottes vermittelt. Für chrismon blickt er auf Gott und die Welt, mal religiös, mal politisch, immer pointiert.