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In diesen Tagen feiern Muslime weltweit das Opferfest. Es ist das höchste Fest im Islam und dauert vier Tage. Für Pilger in Mekka stellt es die Krönung der Pilgerrituale dar. Traditionell beginnt es mit dem Schlachten eines Tieres, meist eines Schafes oder einer Ziege, als symbolische Erinnerung an die Bereitschaft Abrahams, seinen Sohn Gott zu opfern.
Gott will keine blutigen Altäre. Dieser Satz mag in diesem Zusammenhang provokant wirken. Denn jahrhundertelang galt das Tieropfer als zentrales Element des Festes – als sichtbares Zeichen religiöser Hingabe. Doch vielleicht ist gerade jetzt die Zeit, das zu überdenken?
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Im Koran heißt es dazu bemerkenswert klar: "Nicht ihr Fleisch und nicht ihr Blut erreicht Gott, sondern eure Haltung der Frömmigkeit" (Sure 22:37). Diese Sure spricht von einer theologischen Verschiebung: weg von der äußeren Handlung des Tieropfers, hin zur inneren Haltung der Frömmigkeit. Was zählt, ist die aufrichtige Bereitschaft zur Hingabe – taqwa, die achtsame Nähe zu Gott, getragen von Verantwortung, Demut und Liebe.
Auch in der jüdisch-christlichen Tradition findet sich diese Wende. Gott verhindert das Opfer Isaaks – oder Ismaels, je nach religiöser Überlieferung –, nicht aus einer Laune heraus, sondern als Zeichen. Er will das Herz der Menschen, nicht ihr Blut.
Heute, im 21. Jahrhundert, stellt sich die Frage dringlicher denn je: Müssen wir wirklich noch Tiere töten, um Gott näherzukommen? Oder ist es an der Zeit, das Opfer neu zu verstehen?
Massentierhaltung ist nicht nur wegen der Qualen für die Tiere in der Kritik. Sie hat auch katastrophale Folgen für das Klima. All das muss man mitbedenken. Will Gott, dass Lebewesen gequält werden und seine Schöpfung zerstört wird, damit Tiere zu seinen Ehren getötet werden können?
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Es gibt so viele andere Möglichkeiten, das Opfer zu verstehen: Man kann etwas vom eigenen Wohlstand teilen oder Zeit mit einsamen Menschen verbringen. Man kann sich ehrenamtlich engagieren oder auf Dinge verzichten, die einem eigentlich wichtig sind, aber negative Auswirkungen haben: zu viel Fleischkonsum zum Beispiel.
Vielleicht ist genau das die spirituelle Einladung dieses Festes: den Blick nicht auf das Tier zu richten, sondern auf sich selbst. Sich nicht zu fragen, was bekomme ich heute, sondern: Was kann ich heute geben?
Wenn das Opferfest zu einem Symbol dafür wird – für ein Leben, das nicht vom Nehmen, sondern vom Geben geprägt ist – dann hat es seinen tiefsten Sinn erreicht.
Im Koran gibt es einen entscheidenden Unterschied zur biblischen Erzählung über Abraham, der seinen Sohn opfern möchte. Abraham bekommt keinen göttlichen Befehl, zu opfern. Stattdessen wird er durch einen Traum auf diese Idee gebracht. Der Koran berichtet, dass Abraham daraufhin seinen Sohn – dessen Name übrigens nicht genannt wird, auch wenn in der islamischen Tradition meist von Ismail statt Isaak ausgegangen wird – fragt: "Was meinst du dazu?" (Sure 37:102).
Diese Frage ist bemerkenswert: Abraham handelt nicht einfach über den Kopf seines Sohnes hinweg, sondern nimmt ihn ernst, gibt ihm Raum, selbst zu reflektieren und mitzuentscheiden – das kann man als koranische Werbung für das Prinzip der Selbstbestimmung lesen.
Doch der Sohn deutete den Traum als göttlichen Auftrag und ermutigte seinen Vater, ihn zu opfern – als Akt der Hingabe an Gott. Heute sollten wir fragen: Was wäre gewesen, wenn der Sohn gesagt hätte: "Unser barmherziger Herr wird sicher nicht wollen, dass du mich opferst"?
Der Himmel hätte ihm vermutlich recht gegeben. Denn die Botschaft der Erzählung – sei sie koranisch oder biblisch – läuft gerade auf die Ablehnung von Menschenopfern hinaus. Sie ist eine klare Abkehr von damals verbreiteten religiösen Praktiken.
Gott will keine Opfer aus Blut. Was er will, ist unsere Empathie, unser Mitgefühl mit den Mitmenschen, unser aufrichtiges Dasein füreinander. Es geht um Menschlichkeit, um Nächstenliebe.