Im Berufsleben sind Meister die Könner, die Erfahrenen. Ein Handwerksmeister hat das Recht, einen Betrieb selbstständig zu führen und Nachwuchs auszubilden. In der bildenden Kunst und in der Musik unterrichten Koryphäen ihres Fachs Meisterklassen.
"Jünger" heißen ihre Auszubildenden oder Studierenden allerdings nicht. Das klänge zu sehr nach gedankenloser Gefolgschaft, nach sektiererischer Unterordnung. 50 Jahre nach der Studentenbewegung gilt es, selbst zu denken, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das ist das Ideal. Einst bewunderte charismatische Stars der deutschen Reformpädagogik, die weiterhin ihre Schüler als Jünger missverstanden, stürzten über ihre moralischen Verfehlungen.
Eduard Kopp
Auch in den Kirchen hat man sonderbare Meister kommen und gehen sehen. Ein lange anerkannter evangelischer Fernsehpfarrer wurde Esoteriker und begann, für Heilwasser und Kellerentfeuchter zu werben. Der deutsche Begründer und Leiter einer angeblich christlichen Kolonie in Chile herrschte über Jahrzehnte auf totalitäre Weise und missbrauchte Schutzbefohlene.
Vorbild oder Verführer – der Grat dazwischen ist schmal. Was zeichnet einen Meister oder eine Meisterin aus, die ihre Rolle als menschliches und religiöses Vorbild ausfüllt?
Aus der Bibel ist vor allem Jesus als Meister bekannt – und seine Anhängerinnen und Anhänger als Jünger. Die Jünger erwarten von ihrem Meister viel. Sie wollen ihm folgen (Matthäus 8,19). Er soll Kranke heilen – jemand bittet den Meister, seinen an Epilepsie leidenden Sohn zu heilen (Markus 9,17–18). Er soll Hilfe und Orientierung geben: "Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe?", fragt ihn ein reicher Jüngling (Matthäus 19,16).
Zuwendung und Dienst
Ihre Hingabe an den charismatischen Prediger und Heiler Jesus von Nazareth ist oft bedingungslos. Bisweilen akzeptiert der Bewunderte sie, dann durchkreuzt er sie aber auch wieder abrupt. Auch um sich von statusverliebten Schriftgelehrten abzusetzen, macht Jesus deutlich, worauf sein Charisma beruht: nicht auf Status und Macht, sondern auf Zuwendung und Dienst. "Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch. Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen." (Johannes 13,13–14) Sonst wuschen eigentlich nur Sklaven die Füße ihrer Herren.
Mit "Meister" übersetzte Martin Luther das griechische Wort "didáskalos" – Lehrer. Denn Jesus lehrte nicht theoretisch und abstrakt. Er tat, was er lehrte, und zeigte darin selbst eine Meisterschaft. Insofern passte für Luther der Vergleich mit einem Handwerksmeister besser als der mit einem Lehrer.
Manche fanden in Jesus ihren Meister, andere blieben lose neugierige Sympathisanten, andere wurden Gegner. Der von seiner Blindheit geheilte Bettler Bartimäus (Markus 10,52) sei Jesus gefolgt, heißt es – mehr erfährt man aus der Bibel nicht über ihn. Schon damals konnte man vom Charisma dieses Mannes erfasst sein, ohne ihm deshalb erlegen zu sein.
Bitte nur freiwillig
Charismatische Rednerinnen und Redner ziehen auch heute bei Kirchentagen, Umweltdemonstrationen, Gedenkveranstaltungen Tausende in ihren Bann, bringen sie auf neue Gedanken und motivieren sie zum Handeln. Sie geben Orientierung und tragen dazu bei, dass Dinge wieder ins Lot kommen, Verhältnisse geordnet, Missstände ausgeräumt werden. Wem der Einspruch dieser charismatischen Führungspersonen einleuchtet, mag ihnen folgen. Aber dies geschieht stets auf eigene Initiative, ohne jeden äußeren Druck.
Etwas anderes ist die Lust mancher Menschen auf autoritäre Führung. Dass sie Einzelnen zugestehen, ihre Macht durch Einschüchterung zu behaupten, kommt in der Politik vor, aber auch bei Therapeuten und Seelsorgern. Doch autoritäres Denken und Verhalten lässt alles vermissen, was ernstzunehmende Meister auszeichnet: dass sie zuhören und auf andere eingehen. Dass sie Vertrauen aufbauen. Und vor allem, dass sie selbst dienen.