Jugendliche aus dem Religionsunterricht am Dortmunder Stadtgymnasium, wo Protestanten, Katholiken und Muslime gemeinsam lernen
Bernd Thissen/Funke Foto Services/IMAGO
Integration
Ihr gehört doch dazu!
Viele junge Muslime fühlen sich nicht anerkannt, zeigt eine neue Studie. Wie Islamisten diese Kränkung nutzen – und was Gesellschaft, Politik und Bildung dagegen tun können
Peter Grewer
14.07.2025
3Min

Immer mehr junge Musliminnen und Muslime in Deutschland fühlen sich gekränkt. Eine aktuelle Studie, die wir im Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster durchgeführt haben, zeigt das deutlich. Dieses Gefühl der Kränkung entsteht meist nicht dadurch, dass die Menschen persönlich schlechte Erfahrungen gemacht haben, sondern weil viele den allgemeinen Eindruck haben, die Mehrheitsgesellschaft urteile pauschal negativ über die muslimische Gemeinschaft und erkenne damit auch sie persönlich nicht an und sehe sie nicht als gleichwertig. Diese Entfremdung kann das gesellschaftliche Miteinander belasten.

Etwa 20 Prozent der befragten 1887 Muslime und Musliminnen mit Migrationshintergrund verarbeiten solche negativen Gefühle nicht. Elf Prozent aus dieser Gruppe gaben sogar an, muslimische Interessen notfalls gewaltsam verteidigen zu wollen.

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Auffällig ist, wie stark diese Kränkung über Erzählungen weiterlebt. Junge Menschen übernehmen Geschichten von Diskriminierung, die sie selbst nie erlebt haben, fühlen sich ihnen aber eng verbunden. Sie orientieren sich weniger an eigenen positiven Erfahrungen, sondern an einer geteilten Identität als "Diskriminierte". So entstehen Narrative, die sich über soziale Medien, familiäre Gespräche oder politische Reden verbreiten.

Dabei bauen sich Feindbilder auf. Viele sehen die Gesellschaft nicht mehr als Heimat, sondern als fremd oder feindlich. Sie wollen sich nicht mit ihr identifizieren oder lehnen sie sogar bewusst ab. Stattdessen betonen sie ihre religiös-ethnische Identität und werten andere ab.

Islamistische Gruppen nutzen diese Entwicklung gezielt. Ihre Sprache hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Früher trennte der klassische Salafismus strikt zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Heute arbeiten islamistische Bewegungen mit identitätspolitischer Rhetorik. Sie sprechen vom "rassistischen Westen" und den "unterdrückten Muslimen", vom "weißen Mann" und den "People of Color".

Doch die Strategie bleibt dieselbe wie bei den Salafisten: Sie wollen polarisieren, indem sie Gefühle anheizen. Sie greifen reale Diskriminierung auf und deuten sie als Beweis für eine grundsätzliche Ungerechtigkeit des Westens. So fördern sie einen radikalen Islam.

Klar, es gibt Diskriminierung. Musliminnen und Muslime erleben sie im Bildungssystem, auf dem Wohnungsmarkt, im Berufsleben oder im Alltag. Solche Erfahrungen dürfen wir nicht kleinreden oder ignorieren. Schwierig wird es, wenn daraus pauschale Urteile über die ganze Gesellschaft entstehen. Sätze wie "Deutschland ist rassistisch" helfen ebenso wenig wie der Reflex, in jedem Muslim einen potenziellen Extremisten zu vermuten.

Wir müssen über Islamismus sprechen. Aber wir müssen auch die Ängste in der Gesellschaft ernst nehmen und Diskriminierungserfahrungen aufgreifen.

Die Lösung liegt darin, jungen Musliminnen und Muslimen zu zeigen: Ihr gehört dazu. Ihr seid selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft. Ihr müsst euch nicht ausgeschlossen fühlen.

Der islamische Religionsunterricht kann dabei helfen. Schon seine Existenz setzt ein klares Zeichen gegen Muslimfeindlichkeit. Wir brauchen aber noch mehr: Projekte, die gezielt positive Geschichten in den sozialen Medien verbreiten.

Musliminnen und Muslime gestalten diese Gesellschaft längst mit. Das zeigen die über 6000 syrische Ärztinnen und Ärzte und auch die über 2500 Moscheen in Deutschland. Vielen Muslimen ist gar nicht bewusst, welche Freiheiten sie in Deutschland genießen – etwa Religionsfreiheit –, die ihnen in vielen islamisch geprägten Ländern fehlen.

Wir müssen solche positiven Erfahrungen sichtbar machen und in gemeinsame Narrative übersetzen. Wenn junge Menschen ihre Geschichten erzählen und merken: "Ich bin nicht allein. Ich kann etwas verändern. Ich gehöre dazu", dann wächst ein starkes Gegengewicht zu Hass und Ausgrenzung.

Der Staat muss solche Räume ermöglichen und gleichzeitig klar gegen jede Form von Extremismus vorgehen. Kritik am Islamismus ist keine Islamfeindlichkeit. Kritik an gesellschaftlichen Zuständen rechtfertigt keine Gewalt. Wir müssen jungen Menschen zeigen: Du kannst gläubig sein und zugleich aktiver Teil dieser Gesellschaft. Beides schließt sich nicht aus – im Gegenteil, es bereichert uns alle. Nur wenn wir diese doppelte Botschaft glaubwürdig vertreten, entziehen wir jenen den Boden, die aus Kränkung Hass schüren wollen.

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Kolumne

Mouhanad Khorchide

Für den islamischen Theologen Mouhanad Khorchide ist die Freiheit des Glaubens sehr wichtig. Er tritt ein für einen Glauben, der die Menschen frei macht und die Liebe Gottes vermittelt. Für chrismon blickt er auf Gott und die Welt, mal religiös, mal politisch, immer pointiert.