München, zwei muslimische Männer werben an einem Informationsstand mit Botschaften, die für Respekt, Toleranz und Einigkeit. Auf einem Transparent ist zu lesen: "Wir sind alle Deutschland"
Zwei Muslime stehen Mitte Januar 2025 in München und werben für Respekt und Toleranz
Michael Nguyen / NurPhoto / picture alliance
Bundestagswahl
Welche Partei wählen Muslime?
Es gibt in Deutschland keine relevante muslimische Partei. Warum eigentlich nicht? Und welche Partei sollte man als deutscher Muslim wählen?
Peter Grewer
10.02.2025
4Min

Mir wurde in den letzten Wochen von Journalisten und Politikern oft die Frage gestellt, welche Partei die Muslime bei der bevorstehenden Bundestagswahl wählen werden. Meine erste Antwort lautete immer: "Die Muslime" gibt es so nicht. Es gibt zwar thematische Überschneidungen, die durch die Religionszugehörigkeit bedingt sind, aber es gibt unter den Musliminnen und Muslimen in unserer Gesellschaft zugleich eine große Bandbreite an Interessen, Vorstellungen, Wünschen sowie Erwartungen, aber auch Ängsten. Bei dieser Frage liegt ein Denkfehler vor, weil sie davon ausgeht, dass Muslime eine homogene Masse in der Bevölkerung sind, die in ihren Entscheidungen und Vorstellungen stets abgestimmt sind. Dem ist auf keinen Fall so. Und das ist gut so.

Es ist ein Zeichen der Integration der muslimischen Bevölkerung in die Gesellschaft, wenn sie sich politisch nicht primär als Muslime wahrnehmen, sondern als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. In der Vergangenheit gab es zwar den einen oder anderen Versuch, eine islamische Partei zu gründen. Zuletzt wurde im Januar 2024 die DAVA (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch) gegründet und im November 2024 zu einer Partei umgewandelt. Sie trat erstmals im Juni desselben Jahres bei der Europawahl in Deutschland an. Dabei erhielt sie bundesweit 148.496 Stimmen, was einem Anteil von 0,4 % entspricht. Experten hielten dieses Abschneiden der DAVA für überraschend schwach im Vergleich zu der großen Aufmerksamkeit, die die Partei anfänglich bekommen hatte. Zur Bundestagswahl 2025 reichte die Partei nur eine Landesliste ein. Diese wurde vom Wahlausschuss in Nordrhein-Westfalen abgelehnt.

Das schwache Abschneiden solcher Parteien in Europa zeugt vom Desinteresse eines Großteils der muslimischen Bevölkerung, sich politisch als Muslime zu organisieren. Sie sind vielmehr auf die verschiedenen politischen Parteien verstreut. Es sollen sogar etwa 3 Prozent der muslimischen Wählerschaft die AfD wählen wollen. Das lässt sich vielleicht mit der These erklären: Die Letzten, die gekommen sind, sind die Ersten, die dagegen sind, dass noch mehr nachkommen.

Nun haben immer mehr Muslime nicht nur Angst vor einer stärker werdenden AfD, sondern auch vor einem wachsenden islamfeindlichen Diskurs. Das kommt davon, dass die AfD-Rhetorik auch von Politikern anderer Parteien übernommen wird. Es wird gehofft, der AfD so Wählerstimmen abnehmen zu können. Dadurch rückt ein islamfeindlicher Diskurs immer mehr in Richtung Mitte.

Was können, ja sollten, Muslime tun, um dieser Entwicklung konstruktiv zu entgegnen? Zuerst gilt, dass nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist, Energie und Nerven darauf zu verschwenden, sich über die herausfordernde politische Situation zu beklagen. Es ist auch nicht zielführend, die Gesellschaft zu spalten: hier die Guten und dort die bösen AfD-Wähler. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sind, das von uns Solidarität und Loyalität erwartet. Wir sollten uns stets vor Augen halten, dass es unsere Aufgabe ist, Hände der Liebe und des Konstruktiven zu sein. Diejenigen unter uns, die die AfD wählen (das ist inzwischen fast jeder fünfte Wahlberechtigte), haben ihre Gründe dafür. Meist ist es die Angst vor einem Verlust von Arbeitsplätzen durch Zugewanderte oder der eigenen kulturellen Identität, oder einfach die Unzufriedenheit mit den bisherigen politischen Entwicklungen.

Islamisten und Rechtspopulisten sind auf Feindbilder angewiesen

Diese Ängste müssen ernst genommen werden, unabhängig davon, ob wir sie berechtigt finden oder nicht. Und wenn es um Kritik an Islam und Muslimen geht, dann sollte Muslime diese Kritik ernst nehmen und Selbstkritik nicht scheuen. Tun Muslime dies, und zwar lösungsorientiert, nimmt man Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln. Rechtspopulisten vermarkten sich in der Bevölkerung als Anwälte der deutschen Identität, die sie vor einer vermeintlichen Islamisierung retten wollen. Islamisten hingegen vermarkten sich als Anwälte der vermeintlich unterdrückten Muslime. Beide sind auf Feindbilder angewiesen.

Islamisten und Rechtspopulisten argumentieren nach dem Motto: Der Islam und die Muslime an sich seien das Problem beziehungsweise der Westen an sich sei das Problem für den Islam und für die Muslime heute. Damit pauschalisieren sie ihre zum Teil berechtigte Kritik. Sie zeigen dadurch, dass sie kein ehrliches Interesse an konstruktiven Lösungen haben. Sie sind auf das Feindbild angewiesen, das das jeweils "andere" verkörpern soll. Sie nutzen dieses Feindbild, um Menschen in die eigenen Reihen zu rekrutieren. Es soll gelten: Wir müssen zusammenrücken, um uns gegen den ‚Feind‘ zu solidarisieren. Gäbe es diesen Feind nicht mehr, hätte man kein starkes und vor allem kein emotionales Argument mehr für ein Zusammenrücken.

Irritierend ist allerdings, dass diese Erzählung von den beiden konstruierten Feindbildern Islam/Westen immer mehr Platz in der Mitte der muslimischen Community und in der Mitte unserer Gesellschaft findet. Viele Muslime, die weder fundamentalistisch noch islamistisch angehaucht sind, reden heute inflationär von Rassismus und Diskriminierung durch die deutsche Gesellschaft. Und zugleich reden immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft, die mit Rechtspopulismus nichts anfangen können, von Gefahren durch den Islam.

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Wir benötigen heute daher dringend eine vereinende Großerzählung unserer Gesellschaft. Muslime sollten mehr über die Bereicherung durch das Leben in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft reden, und Nichtmuslime sollten mehr über die Bereicherung dieser Gesellschaft durch den Islam und die Muslime reden. Uns fehlen solche Großerzählungen. Dies soll nicht heißen, dass wir nicht mehr über die Gefahren der Diskriminierung von Muslimen sowie durch Islamismus und Terror reden, nur darf unsere Erzählung weder pauschalisierend noch einseitig sein.

Eine erste Version dieses Textes erschien am 10. Februar 2025.

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Kolumne

Mouhanad Khorchide

Für den islamischen Theologen Mouhanad Khorchide ist die Freiheit des Glaubens sehr wichtig. Er tritt ein für einen Glauben, der die Menschen frei macht und die Liebe Gottes vermittelt. Für chrismon blickt er auf Gott und die Welt, mal religiös, mal politisch, immer pointiert.