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Man mag es nicht glauben, aber gerade jetzt wäre es an der Zeit, Gedichte zu lesen. Natürlich, als verantwortungsvolle Bürgersleute werden wir das Weltgeschehen mithilfe ausgewählter Qualitätsmedien genau verfolgen. Aber "breaking news" in Dauerschleife, unablässige "Push-Nachrichten" sollten wir meiden. Medien-Diät ist angesagt. Sie schützt uns vor radikalen und populistischen Aufmerksamkeitsvampiren.
Es gilt, die eigene Aufmerksamkeit auf das auszurichten, was für unser Leben wesentlich sein sollte. Dabei helfen besonders Gedichte, weil sie eben keine aktuelle Dringlichkeit haben, sondern uns einen anderen Blick auf die Wirklichkeit eröffnen, unseren Blick in die Welt vertiefen, uns eine andere Sprache lehren. Sie erklären nichts, verkünden nichts. Sie zeigen etwas. Sie setzen etwas in Bewegung – ohne Effizienz und Plan, ohne Macht und Gewalt, nur mit sorgfältig gewählten Worten. Sie spielen und laden uns zum Mitspielen ein.
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Einigen im Buchhandel gelten Lyrikbände als Kassengift. Viele Leserinnen und Leser scheuen vor Gedichten zurück. Vielleicht hatten sie keinen guten Deutschunterricht. Vielleicht meinen sie, man bräuchte einen Doktor in Germanistik, um Gedichte von heute zu verstehen. Alles Unsinn, man muss es einfach nur versuchen. Dann wird man schöne Überraschungen erleben.
Jetzt hat Anton G. Leitner, der leidenschaftliche Lyriker und Lyrikherausgeber, zwei Bücher herausgebracht, mit denen man sich auf Entdeckungsreisen in die Welt der Poesie begeben kann. Ich habe aus jedem Band ein Gedicht ausgewählt, das Lust macht, gerade jetzt und trotz alledem den Frühling zu begrüßen und dem Sommer entgegenzugehen. Sie sprechen für sich, ich muss gar nichts groß erklären.
Das erste hat Heike Haas (geboren 1973) geschrieben. Es findet sich in dem auf der Leipziger Buchmesse vorgestellten, sehr ansprechend gestalteten Reclam-Band "Jede Jahreszeit ist schön. Gedichte für Frühling, Sommer, Herbst und Winter" und trägt den Titel "Lichtnelken":
Der Frühlingstag kam unerwartet.
Plötzlich Magnolien und Löwenzahn,
Lichtnelken und Hundescheiße.
Mit verklebten Wimpern und
Colamix in der Sonne
fallen wir in die Brennnesseln
und küssen uns dort
ein letztes Mal.
Kurz.
Das zweite Gedicht geht schon weiter ins Jahr, berührt sogar leicht das Ende des Sommers. Dirk von Petersdorff hat es geschrieben. Es findet sich in dem Jahrbuch "Das Gedicht", das Anton G. Leitner gemeinsam mit Paul-Henri Campbell zusammengestellt hat. Es handelt von einem Wurfring und davon, wie dieser Menschen in Bewegung sitzt und zusammenbringt. Eigentlich sollten Gedichte keine Botschaft enthalten. Aber von diesem hier lass’ ich mich gern dazu ermuntern, das abzuwerfen, was mich innerlich einkreist.
Große Wiese im Park, Ricarda hat ihn,
hoher Abflug, er kommt, die Luft als Kissen,
segelt zur Sonne, sinkt zu dir, du fängst und
senst den September.
Trudelt und fällt, dann schnell vom Boden pflücken,
wieder in die Schwebe, spiegelnder Streifen
über Frieda, Heiligenschein, und Holger
fasst ihn im Fallen.
Was dich innen umringt, dich einkreist, wirf es
Ab, zieh durch, auch die schrägen Bahnen finden
Ziele, wenn andre starten, ihn mit einem
Finger erwischen.
Wenn es dämmert, Planetenringe oben,
unten federnder Boden, Götterkinder
wieder, sinnlos hungrig, was tun wir, schneiden
Scheiben vom Licht ab.
Was tut sich im März, April in Garten und Natur?
Auch am unspektakulären Siedlungsrand lässt sich schon im März in der Natur einiges entdecken. Winterweizen zum Beispiel. Rumspazieren macht selbst bei Regen glücklich