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Man muss ehrlich sein: Manche Lyrikerin, mancher Lyriker hat es sich im Avantgarde-Ghetto gemütlich eingerichtet und schreibt Verse bloß für sich und die Branche. Dann darf man sich nicht darüber beschweren, dass ein nicht-doppelpromoviertes Lesepublikum sich abwendet. Die Lösung soll natürlich nicht heißen, dass man populistisch wird und den Leute nach dem Munde reimt.
Wohl aber kann es helfen, an den Anfang zurückzukehren und sich Fragen wie diese zu stellen: Was macht ein Gedicht eigentlich aus? Was kann man mit ihm alles anstellen? Warum schenkt es Freude? Wieso würde uns etwas fehlen, wenn wir es nicht hätten?
Deshalb hat die Zeitschrift „Das Gedicht“ vor einigen Jahren eine eigene Rubrik mit Kindergedichten eingerichtet. Kuratiert wird sie von dem renommierten Kinder- und Jugendbuchlektor Uwe-Michael Gutzschhahn. Was er zusammenträgt, ist aber gar nicht infantil, sondern kann für Menschen aller Altersklassen eine Entdeckung und ein Genuss sein: Da wird gespielt, geträumt, gereimt, geformt, manchmal auch einfach nur Quatsch gemacht, die Sprache gefeiert – und das wohltuend unbefangen.
Wie schön, bewegend, beglückend und erschreckend es dann werden kann, zeigt ein Gedicht aus dem aktuellen Heft von Jutta Richter, von der ich schon einige großartige Kinder- und Jugendbücher gelesen habe. Es listet auf, was einen Sonntag besonders macht, mit vertrauten und überraschenden Bildern. Es öffnet den Sinn dafür, dass manchmal Himmel und Erde sich berühren. Es schenkt eine Ahnung von der Fülle der Zeit – und ihrer furchtbaren Begrenztheit. Ach, lesen Sie dieses „Sonntagsgedicht“ doch lieber selbst:
Im Wasser schwimmen Wolken
Der Himmel ist seeblau
Die Möwen üben Tiefflug
Ein Fisch sucht seine Frau.
Stumm grasen weiße Schafe
Der Wind haucht übern Deich
Ich liege hier und schlafe
Mein Sand ist warm und weich.
Ein Flugzeug malt zwei Streifen
Der Sperling hustet Töne
Komm, flüstert eine Schnecke
Du bist so rot, du Schöne.
Ich sitz im Sand. Wir trinken
Die laue Sonntagsluft.
Ein erster Stern will winken
Weil ihn die Eule ruft.
Die Sonne steht jetzt tiefer
Das Wasser glitzert rot
Bald glänzt es schwarz wie Schiefer
Dann ist der Sonntag tot.
P.S.: In der neuen Folge meines Podcasts „Draußen mit Claussen“ spreche ich mit dem Zeithistoriker Klaus Große Kracht über eine Studie, in der einen problematischen Aspekt der Homosexuellenbewegung untersucht hat.
VERSE u. REIME bringen auf den Punkt!
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Danke H. Claussen!
Gelungene Gedichte und Reime konzentrieren Gedanken überzeugend auf den Punkt. Leser und Autor verschmelzen. Ihr Hinweis auf das elitär unverständlich abstrakte Verständnis als Beweis des eigenen IQ ist eine Bereicherung. Auch diese Formulierung ist schon verständlich an der Grenze. MfG Ockenga