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Es wird oft gesagt, dass Deutschland immer noch in Ost und West gespalten sei, weil wir die Geschichten des jeweils anderen Landesteiles nicht kennten. Was das wirklich bedeutet, kann man an einem Beispiel besonders klarmachen. Man muss nur "Wismut" sagen.
Ich habe das in den vergangenen Wochen mehrfach getan. Das hat mit einem Buch zu tun, das ich gemeinsam mit meinem Kollegen Klaus-Martin Bresgott geschrieben habe. Für den Monumente-Verlag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz haben wir anlässlich des Kulturhauptjahres "Streifzüge durch Chemnitz und das Erzgebirge" unternommen und dabei sehr unterschiedliche "Menschen, Bücher, Baudenkmäler" – so der Untertitel – kennengelernt. Dabei hat uns auch die Wismut AG sehr beschäftigt.
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"Die was?", fragen mich westdeutsche Freunde regelmäßig, wenn ich ihnen davon erzähle. Ganz anders sind die Reaktionen in Chemnitz und Umgebung. Dort ist die Wismut tief ins kollektive Gedächtnis eingelagert, für viele Menschen sogar mit traumatischen Erinnerungen verbunden.
Die Wismut AG stand wie kein anderes Unternehmen für die frühe DDR und den Kalten Krieg. Sie war mehr als eine Bergbaufirma, eher ein Staat im Staat, mit zeitweise an die 200.000 Mitarbeitenden, viele Jahre wurde sie von den Sowjets beherrscht, mit eigener Polizei und Sicherheitsabteilung.
Während der Anfänge des Kalten Krieges hielten die Sowjets das Unternehmen für überlebenswichtig. Denn die Wismut AG produzierte den überwiegenden Teil des Urans, ohne den sie den atomaren Rüstungswettlauf mit den USA verloren hätten. Entsprechend ambitioniert waren die Pläne, überaus hart war die Arbeit.
Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, wie sehr sie das Leben von Menschen geprägt hat, kann es nachlesen – vor allem in zwei wenig bekannten Romanen. Besonders beeindruckt hat mich "Rummelplatz" von Werner Bräunig (1934-1976). Das hätte ein klassisch-sozialistischer Arbeiterroman werden können, wenn der Autor – aus eigener Anschauung – nicht so ehrlich über Arbeiter geschrieben hätte. Weil er das tat, wurde er zum Opfer von Erich Honeckers Kulturpolitik.
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In Bräunigs Roman wurde die Wismut AG zum Inbegriff und Symbol der DDR, der Hoffnung auf ein besseres Leben für Arbeiter und der Erkenntnis gravierender Fehlentwicklungen. Wie die Welt, von der er erzählt, ist dieser 600 Seiten lange und doch Fragment gebliebene Roman hart und roh, aus den tiefen Schächten des Lebens gehauen, um unbedingte Wahrhaftigkeit bemüht. Erst nach der Wiedervereinigung konnte er erscheinen – als unvollendeter Gedenkort für die Wismut AG und ihre Opfer.
Mit größerem Abstand und in leiseren Tönen erzählt die 1950 in Chemnitz geborene Schriftstellerin Angela Krauß von der Wismut AG. Sie liefert keine Arbeiterliteratur, sondern innige Erinnerungen an ihren Vater, der dort Berg-Polizist war. So intensiv Krauß die Bilder und Geschichten ihrer Kindheit wachzurufen versucht, entziehen die Erinnerungen sich ihr doch immer wieder. Das liegt vor allem an der Verschwiegenheit und Unnahbarkeit des Vaters, was mit seiner Arbeit bei der Wismut zu tun hatte. Bergbau-Folklore kommt in Büchern wie "Der Dienst" nicht auf. Denn die Wismut AG stand für härteste Arbeit unter schwierigsten Bedingungen mit größtem politischen Druck und fatalen globalen Folgen: "Die glühende Luftsäule, die sich am ersten November 1952 über dem Stillen Ozean erhob, erreichte nach zehn Minuten eine Höhe von vierzig Kilometern und eine Ausdehnung von einhundertneunzig Kilometern. Und mit einem Donnerschlag zerstörte der erste sowjetische Wasserstoffbombenversuch ein Dreivierteljahr später die letzten Illusionen von der Überlegenheit der Amerikaner im Weltmaßstab."
Der sowjetischen Atombombe diente der Vater wie so viele andere Menschen in Chemnitz und Umgebung. Abwesend und verschwiegen war er, so die Erinnerung der Tochter. 1968, mit nur 48 Jahren, erschoss er sich im Dienst: "Seinen Tod hat er kaltblütig geplant. So jedenfalls sollte es nach seinem Willen aussehen: wie ein Urteil."
Als Westdeutscher kann ich kaum nachvollziehen, was die Wismut AG für die Familien bedeutet hat und immer noch bedeutet, deren Mitglieder für sie gearbeitet haben. Aber ich finde es unerlässlich, zumindest von ihr zu wissen. Deshalb zeigen wir in unserem Buch ihre Geschichte – und andere Geschichten, die viel mehr Westdeutsche zur Kenntnis nehmen sollten. Es wäre schon einiges gewonnen, wenn wir uns in Deutschland mehr füreinander interessierten. Und ja natürlich: Ein Besuch bei der Europäischen Kulturhauptstadt und ihrer Umgebung ist in diesem Jahr unbedingt zu empfehlen. Es gibt viel zu sehen und zu erleben.