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Vergangenes Wochenende durfte ich wieder ein Stück meiner Kindheit wiederentdecken. Das Stück Kindheit habe ich nicht etwa in Fotoalben gefunden, sondern während eines Ausflugs. Während meiner Zeit in Kenia, die Anfang Juli zu Ende gehen wird, habe ich öfters Wanderungen mit anderen Expats und Kenianern unternommen.
Zuletzt habe ich für zwei Tage den Vulkan Mt Longonot bestiegen, der sich weiter nördlich der Hauptstadt als breiter, mit Bäumen und Sträuchern überzogener Kegel bis auf 2700 Metern in die Höhe streckt. Beim Aufstieg regnete es in Strömen, wir quälten uns bei einem mit dunkelgrauen Wolken verhangenen Himmel den steilen Berg hinauf. Auf dem Kraterrand angekommen, hörte der Regen auf. Klitschnass hangelten wir uns an einem Seil entlang den Kraterrand hinunter, mitten in den Kegel des Vulkans. Dort würden wir also mit Zelten und Schlafsäcken die Nacht verbringen.
Wärme in der Kälte
Es war stockdunkel. Doch zwei der kenianischen Tourführer hatten in der Zwischenzeit Holzspalten auf der Feuerstelle zusammengestapelt, es knisterte als die ersten Äste Feuer fingen.
In den rot gelblich lodernden Flammen dachte ich über die letzten Lagerfeuer nach. Was bedeutete es mir um ein Feuer zu sitzen? War es einfach nur gemütlich und romantisch? Oder hatte so ein Feuer für mich eine ganz andere Verbindung?
In meiner Kindheit saßen wir oft um die Feuerstelle im Garten, mit den Nachbarskindern oder alleine in der Familie. Meine Mutter stellte nicht nur Würstchen, sondern auch Stockbrotteig bereit. Ich liebte es, einen passenden Ast auszuwählen, an dessen Ende ich mit meinem Taschenmesser so lange schnitzte, bis er spitz genug war. Mein Bruder und ich haben als Kinder heimlich gerne „gegogelt“, also mit Feuer gespielt. Oft hatten wir Brandblasen an den Fingern.
Am Feuer wird "zam gerückt"
Als mein Bruder vierzig Jahre alt wurde, erlebte ich das letzte große Lagerfeuer. Er feierte im Erzgebirge, es kamen viele Freunde und Bekannte. Es gab Salate, Bratwurst vom Grill und Stockbrot. Wir saßen auf Bierbänken um das Feuer, stundenlang, immer wieder wurde neues Holz nachgelegt.
Das Feuer mit seinem Licht prägt die Menschen im Erzgebirge. Früher war das Feuer der Grubenlampen in den finsteren Bergwerken Orientierung für die Bergleute. Später kamen die jährlichen Hexenfeuer dazu, die immer zum 30. April am Vorabend des Monats Mai in vielen erzgebirgischen Ortschaften auf den öffentlichen Plätzen angezündet werden. Mit dem Hexenfeuer bin ich groß geworden - die Flammen sollen dem alten Brauch nach die bösen Geister des Winters vertreiben.
Im Erzgebirge liebt man die Gemütlichkeit, das Beisammensein, das lange Sitzen am Feuer zu fast jeder Jahreszeit. Da wird gerne „zam gerückt“. Und die Menschen singen zusammen. Nicht aber die klassischen Lagerfeuer Ohrwürmer wie „Country Roads" oder etwa „Wonderwall“. Gesungen wird Mundart. Die Texte lese ich dann im funzeligen Feuerschein hochkonzentriert mit - in der Hoffnung, die Strophen mangels meiner erzgebirgischen Dialektkenntnisse annähernd richtig auszusprechen.
Heimatlieder werfen Fragen auf
An den Geburtstagen meines Bruders und meiner Mutter kam der erzgebirgische Liedermacher und Mundartdichter Kendy John Kretzschmar, ein Freidenker, der sich als studierter Biologe für ein ökologisches Bewusstsein einsetzt und in den 80er Jahren mit dem Gitarrenspielen anfing. Am Lagerfeuer gibt Kendy also eigene Liedstücke in tiefer erzgebirgischer Mundart preis, mit Bart, Jesus-Latschen und einer Stoffweste sowie einem kleinteiligen Instrumentenpotpourri.
Und er stimmt die vielen Lieder des Volksliedsängers Anton Günther an. Günther wurde 1876 in Böhmen geboren, er erfand die "Liedpostkarte" und seine Lieder kennen wir noch heute im Erzgebirge: „Feierobnd“, „Bleibn mer noch e wing do“ oder „Bild dor nischt ei“. Ich muss bei dem letzten Lied sehr oft über die Stelle „Bist när e Mensch, kast wetter nischt sei. Gruß oder klaa, arm oder reich, ben Afang on ben End sei mir alle z'samm gleich“ nachdenken. In der Mundart steckt viel Weisheit über das Menschsein, mitten in einer oft von Egoismus angetriebenen Welt. Das macht mich nachdenklich.
Bodenständig, heimatbezogen und warm ist diese Musik, das Knistern des Feuers fast schon Voraussetzung für das Anstimmen der Lieder.
Bei „Glück auf, der Steiger kommt“ singen alle auf den Bierbänken mit, fast schon selbstverständlich, gedankenversunken und doch im Moment anwesend. Das Lagerfeuer und die Mundart sind im Erzgebirge untrennbar. Und für mich bedeutet es zur Ruhe zu kommen, Geborgenheit spüren. Und ja, auch ein gutes Stück Identität mit dem, was wir Heimat nennen. Und jeder einzelne für sich anders beantwortet. Für mich braucht es dann auch kein „Country Roads“.