Polnische Polizei durchsucht die Umgebung von Przewodów
PRZEWODOW, POLAND - NOVEMBER 16: Members of the Police and locals searching the fields near the village of Przewodow in the Lublin Voivodeship, seen on November 16, 2022 in Przewodow, Poland. Two people were killed around 4pm on Tuesday afternoon in an explosion at a farm near the Polish village of Przewodow in south-eastern Poland. About six kilometers inside the country's border with Ukraine. Artur Widak / Anadolu Agency
Artur Widak/AA/picture alliance
"Wieso kann niemand Putin aufhalten?"
Am 15. November schlagen im polnischen Grenzort Przewodów zwei Raketen ein. Zwei Männer sterben. Damit greift der Ukraine-Krieg erstmals auf Nato-Gebiet über – viele Polen haben Angst vor einer Eskalation. Eine Landwirtin aus der Region spricht über die Lage.
Carsten Selak
17.11.2022

"Es war noch hell, als die beiden Raketen in Przewodów einschlugen, 15.40 Uhr am Dienstagnachmittag, die Sonne ging gerade unter. Sie trafen ein Gebäude, in dem Getreide getrocknet wird. Landwirte fahren mit ihren Traktoren hinein und auf eine große Waage, und gerade stand drinnen eine Zugmaschine mit geladenem Mais, als es explodierte. Das haben wir später aus den Medien erfahren. Nur 300 Meter weiter - und die Raketen wären in einem Wohngebiet eingeschlagen.

Wir selbst haben auf unserem Hof davon nichts mitbekommen. Wir hören hier nur selten die Gefechte hinter der ukrainischen Grenze, obwohl sie so nah ist. Aber in den grenznäheren Orten wie Przewodów hört man immer wieder Explosionsgeräusche und das Pfeifen der Raketen, erzählen die Leute, die dort leben.

Dienstag und Mittwoch standen alle ziemlich unter Schock. Es heißt, es könnten ukrainische Flugabwehrraketen gewesen sein. Was bedeutet das jetzt für uns? Gibt es Krieg in Polen? Wie wird Polen reagieren? Und die Nato? Gibt es einen Vergeltungsschlag? Wir hoffen ja, dass die Umstände, wie es zu diesem Raketeneinschlag kam, schnellstmöglich geklärt werden können, sodass es keinen Krieg gibt.

Carsten Selak

Marta Thor

Marta Thor ist gerade zu Besuch in Polen, als die Raketen explodieren. Sofort ruft sie bei ihren Bekannten an, die in der Nähe der polnisch-ukrainischen Grenze wohnen. Die Angst ist durch den Telefonhörer spürbar.

Seit Dienstagabend laufen die Telefone im Ort heiß. Meine Tochter, die knapp 120 Kilometer entfernt wohnt in der Großstadt Lublin, hat besorgt angerufen. Es ist alles so nah! Ich fühle mich beklommen und habe Angst, dass der Krieg jetzt auch hier real wird. Am Mittwochmorgen haben wir dann erfahren, dass eines der Opfer der Bruder der Grundschuldirektorin aus meinem Heimatort ist. Das macht betroffen. Hinter jedem Mensch steht eine Familie.

Die Bürgermeisterin von Hrubieszów, einer Kleinstadt nur zwei Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, hat noch Dienstagabend die Bevölkerung dazu aufgefordert, keine Falschnachrichten zu verbreiten und nicht in Panik zu geraten. Dass der Vorfall untersucht wird und man auf die offiziellen Mitteilungen warten soll. Wir sind froh, dass die Medien und Politik so zurückhaltend und besonnen reagieren. Das gesamte Gebiet um Przewodów ist seit Dienstagabend abgeriegelt, der Unterricht ist für Kinder abgeblasen.

Gerade die älteren Leute hier im Osten haben noch lebendige Erinnerungen daran, wie es während der Sowjet-Besatzung und später im Kommunismus war. Damals wurde die Grenze zwischen Polen und der Ukraine nach Westen verschoben, viele Menschen von Ukrainern aus ihrem Heimatort vertrieben. Deshalb sind die Vorurteile der Menschen hier im Osten gegenüber der ukrainischen Bevölkerung noch immer groß.

Die Ungewissheit bleibt

Ein Nachbar arbeitete vor zehn Jahren mit einem Ukrainer zusammen, der ihm sagte, dass er gerne mit ihm auf dem Feld arbeitet und abends etwas trinkt. Aber im Zweifelsfall wäre er der erste, der ihm ein Messer in den Rücken jagt. Mir machen solche Geschichten Angst. Wieso wird dieser Hass noch immer von Generation zu Generation weitergereicht?

Schon während der ersten großen Flüchtlingswelle war neben Hilfsbereitschaft auch ein gewisser Vorbehalt gegenüber den Ukrainern zu spüren, insbesondere unter den älteren Menschen. Doch neben der Frage, ob es nun ukrainische oder russische Raketenteile waren, die zu dem tragischen Tod der beiden Männer geführt haben, ist derzeit die Betroffenheit und Trauer um die beiden Opfer vorherrschend. Wir fragen uns ständig, wieso niemand Putin aufhalten kann.

Heute morgen habe ich mit meinem Mann Nachrichten im Fernsehen geschaut, aber irgendwann haben wir alles ausgemacht. Mir geht es jedenfalls besser damit, dass der Staat so zurückhaltend reagiert. Aber die Ungewissheit bleibt. Vielleicht schlagen morgen schon Raketen in unserem Hof ein?"

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Weil unsere Profitler kein Angebot für eine wirklich-wahrhaftig vernünftige/gerechte Welt machen!

Globalisierung des "freiheitlichen" Wettbewerbs, also die Deutungshoheit über den Kreislauf des imperialistisch-faschistischen Erbensystems, ist alles was zählt, dabei ist ihnen egal wie offensichtlich es ist, dass Globalisierung nur ein anderes Wort für Kolonialismus ist.

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Hallo, es ist zwar nachvollziehbar, keine Waffen in die Ukraine zu liefern, aber mit welchen Folgen, wenn man mal über den "Tellerrand" blickt: Für hier ein bequemeres Leben wieder zu haben sollen wesentliche Teile und unvorstellbares Elend der Menschen geopfert werden mit der Belohnung eines intelligent planenden Aggressors. Immer mehr kommen die Grausamkeiten zutage, die in den rückeroberten Gebieten erkennbar geworden sind. Wer sich mit dem Charakter Putins und seinen langfristig geplanten Überfällen auf andere Länder beschäftigt, wird die doch recht naiven Forderungen schnell vergessen müssen. Putin wird bei jedem Zugeständnis, das er nur als Schwäche wertet, ermuntert für weitere "Eroberungen". Er kennt die westliche Denkungsweise besser als der Westen selber und auch die immense Belastbarkeit der eigenen Bevölkerung, die jegliche Möglichkeit eines Protestes nicht hat. Bei uns wird gegen alles und jedes frei diskutiert und auch demonstriert. Der Gipfel im Interview war m.E. , dass man beten solle ! Das haben Millionen Menschen in allen Kriegen und Katastrophen gemacht: ein psychologischer Versuch der Beruhigung ohne Konsequenz einer Besserung. Hat im Ergebnis noch nie geholfen, es sei den, man wertet menschliche Hilfsbereitschaft als von Gott gegeben? Herr Kramer kann mal zum Roten Platz fahren und vor dem Kremel beten und singen ! Vielleicht gibt es das Ergebnis, dass sich Putin tot lacht, wäre doch denkbar ?! Vielleicht wäre aber mal eine ernste Ansprache an die russisch orth. Kirche, die als Folge der Korruption den Krieg unterstützt ! Was würden die Menschen in der ehem. DDR denken, wenn Russland seine besetzten Gebiete annektiert hätte, anstatt sie frei zu geben ? Aber dort wird in leider großem Maße die Aggression unterstützt aus Eigennutz. NOTWEHR ist MENSCHENRECHT ! Mit fast 80 Jahren bin ich desillusionslos geworden und versuche Vieles in meinem Umfeld menschenwürdig zu machen. Die 50er bis Ende der 60er-Jahre sind mir mit den kath. "Vorschriften" noch wie eingebrannt in Erinnerung. Evangelische waren die Abtrünnigen, die man zu meiden hatte!!! Über Iran sollte man sich nicht zu sehr aufregen, sondern in die eigene Geschichte schauen. Umsomehr ist heftige Kritik und Unterstützung notwendig. Ich könnte noch Vieles aus den Erfahrungen in vielen Ländern, die ich besucht und erlebt habe weit ab von touristischen Wegen, berichten. Sehr viele Deutsche leben ein bewundernswertes soziales Leben, das ich hier ausdrücklich anerkennen möchte. Aber viel Arbeit ist noch vorhanden. Aber solange schon die kleinsten Missverständnisse von Nachbarn zu unversönlichen Verhältnissen führen, ist das Potential gewaltig. Indem Sinne, Hans