Plakat CDU AfD
Hält die "Brandmauer"? Vor einer Wahlkundgebung mit Friedrich Merz war dieses Plakat im niedersächsischen Vechta zu sehen
Noah Wedel/picture alliance
Bundestagswahl 2025
"Rechtsaußenparteien profitieren, wenn ..."
Die Kontrolle der Zuwanderung war das dominierende Thema im Wahlkampf, CDU-Chef Friedrich Merz nahm Stimmen der AfD im Bundestag in Kauf. Welche Auswirkungen das hatte, erklärt Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl
Tim Wegner
25.02.2025
4Min

Die AfD hat bei den Bundestagswahlen mehr als 20 Prozent erreicht. Manche sehen darin eine Bedrohung für unsere Demokratie, andere das Signal, dass 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler die Partei offenbar ablehnen. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Jasmin Riedl: Die AfD selbst wird froh sein über ihr Ergebnis, sie wollte mehr als 20 Prozent der Stimmen erreichen – und das ist ihr gelungen. Aus der Sicht derer, die vor der AfD warnen, ist das Wahlergebnis alarmierend. Die AfD vereint populistische, rechtsextreme und rechtsradikale Strömungen. Trotzdem schafft sie es offenbar, Angebote zu unterbreiten, die andere Parteien so nicht machen können oder wollen.

Jasmin Riedl

Jasmin Riedl ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München.

Woran machen Sie das fest?

Die AfD konnte die meisten Nichtwählerinnen und Nichtwähler mobilisieren – allein das brachte ihr knapp zwei Millionen Stimmen.

Beherrschendes Thema im Wahlkampf war die Migration. Die Unionsfraktion im Bundestag unter Friedrich Merz brachte entsprechende Anträge und ein Gesetz ins Parlament ein, auch die AfD stimmte zu. Wer hat von diesem Schritt bei der Wahl profitiert – die Union oder die AfD?

Die Union hatte zwei Ziele: Sie wollte 30 Prozent oder mehr erreichen. Und sie wollte das Potenzial der AfD verringern. Beides ist ihr nicht gelungen. In der politikwissenschaftlichen Forschung ist sehr gut belegt, dass Rechtsaußenparteien profitieren, wenn Migrationspolitik in der öffentlichen Debatte mit sicherheitspolitischen Debatten verknüpft wird. Genau das ist aber spätestens nach dem schrecklichen Verbrechen an einer Kitagruppe in Aschaffenburg passiert. Heute können wir feststellen, dass die Union zwar auch etwa eine Million Nichtwählerinnen und Nichtwähler von sich überzeugt, aber fast genauso viele Stimmen an die AfD verloren hat. Unter dem Strich kann man sagen: Der Kurs von Friedrich Merz in dieser Frage hat eben nicht dazu geführt, dass der Union die Wähler zugeflossen sind.

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Von SPD, Grünen und den Linken, aber auch aus den Kirchen und den Medien gab es viel Kritik an CDU und CSU. Andererseits ist auch klar, dass schwere Straftaten die Menschen aufwühlen …

Ja, die Politik ist zu einem regelrechten Eiertanz gezwungen. Die Parteien wissen: Wenn sie nach einzelnen Straftaten schnelle Lösungen versprechen, sind diese Vorschläge immer unterkomplex. Ein Beispiel: Die Forderung, eine Notlage zu erklären und die Grenzen zu schließen, hätte kein Verbrechen ungeschehen gemacht, aber neue Probleme geschaffen, etwa auf dem europäischen Binnenmarkt. Ein Teil der Öffentlichkeit hat aber ein Politikverständnis, das den Ruf nach vermeintlich harten und schnellen Lösungen begünstigt. Es gibt Menschen, die schlicht erwarten, dass die Politik ihnen ein sicheres und glückliches Leben organisiert. Wenn Parteien dieser Gruppe gerecht werden wollen, laufen sie erst recht Gefahr, einen Eiertanz zu machen.

Zu den großen Überraschungen dieser Wahl zählt der Wiederaufstieg der totgesagten Linken. Welche Gründe gibt es dafür?

Mehrere. Zum einen ist da die besagte Strategie von Friedrich Merz aus dem Januar, Stimmen der AfD in Kauf zu nehmen. Viele Menschen empfanden das als gefährlich. Sie fragten sich: Wer steht denn wirklich für die Brandmauer?

Zu welcher Antwort ist diese Gruppe gekommen?

Die Union selbst beansprucht für sich, weiterhin für die Brandmauer zu stehen. Friedrich Merz schloss am Wahlabend eine Zusammenarbeit mit der AfD erneut aus. Aber viele stellten sich nach der Abstimmung im Bundestag noch weiterreichende Fragen: Darf man überhaupt noch mit dieser CDU, die angeführt wird von Friedrich Merz, kooperieren? Wer steht am deutlichsten gegen eine Kooperation mit der Union? Das konnten SPD und Grüne nicht von sich behaupten, denn für beide war vor der Wahl eine Koalition mit der Union nicht völlig aussichtslos. Das konnte daher glaubhaft nur Die Linke von sich sagen – sicher ein Erfolgsfaktor. Aber nicht der einzige.

Was kam noch dazu?

Die Linke ist unter jungen Menschen sehr erfolgreich. Und diese Altersgruppe hat eine Gemeinsamkeit: Durch Corona – diese Erfahrung liegt erst fünf Jahre zurück – weiß diese Gruppe, wie es ist, wenn von einem Tag auf den anderen Sicherheiten verloren gehen und die Zukunft plötzlich ungewiss erscheint. Viele Junge fühlten sich deshalb angesprochen vom starken sozialpolitischen Fokus der Linken, der entsprechende Sicherheitsbedürfnisse anspricht. Die Linke hat beispielsweise die hohen Mieten zum Thema gemacht. Und hohe Mieten können im Extremfall dazu führen, dass man das Dach über dem Kopf verliert.

Viele meinen ja auch, es war die Social-Media-Strategie …

Das ist der dritte Faktor, der aber den Erfolg allein auch nicht erklären könnte. Aber ja, insbesondere Heidi Reichinnek war sehr präsent, auch mit ihrer scharfen Replik auf Friedrich Merz im Bundestag. Sie hat ein Talent, politische Botschaften in diesen Formaten zu setzen, während der zweite Spitzenkandidat Jan van Aken auch ältere Gruppen mit seiner meist ruhigen Art überzeugen konnte. Diese Arbeitsteilung hat aus Sicht der Linken gut funktioniert.

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