Rassismus
Die Wut muss bleiben
In einem Sylter Edel-Club grölen junge Leute völkische Parolen und wurden angezeigt, die ersten verloren ihren Arbeitsplatz. Was bleibt nach einem Wochenende der Empörung? Hoffentlich mehr als nur ein lästiger Ohrwurm
Gegenprotest auf Sylt: Eine Frau hat eine klare Meinung, wie ein Deutschland nur für Deutsche aussähe
Gegenprotest auf Sylt: Eine Frau hat eine klare Meinung, wie ein Deutschland nur für Deutsche aussähe
Lea Sarah Albert/picture alliance/dpa
Tim Wegner
27.05.2024
2Min

Die Melodie dürfte unzählige Menschen in die neue Woche begleitet haben - seitdem Ende letzter Woche bekannt wurde, dass junge Leute in einem Club auf Sylt völkische Parolen zum Pophit "L’amour toujours" gegrölt haben.

Heute, am Montag, hat die Debatte das Arbeitsrecht erreicht, nachdem einige Menschen, die auf dem Video zu sehen sind, ihren Job verloren haben. Dürfen Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden kündigen, wenn diese rassistische Sprüche klopfen? Nachdem solche Fachfragen öffentlich diskutiert worden sind, versanden diese Themen erfahrungsgemäß bald ganz. Das ist schade, denn gerade der zutiefst verstörende Vorfall auf Sylt und die Reaktionen darauf sind es wert, in unseren Köpfen zu bleiben. Nicht nur als Ohrwurm.

Warum? Weil es eben nicht mehr als Bagatelle abgetan wird, wenn Rassisten andere Menschen herabwürdigen, im Suff von einem völkisch bereinigten Land träumen, das nur für Deutsche gedacht ist (was, würde es Wirklichkeit werden, sogar den Gutbetuchten auf dem Sylter Video wehtun würde - jede achte Ärztin und jeder achte Arzt hatte 2023 keine deutsche Staatsangehörigkeit, vermeldete das Statistische Bundesamt heute. Aber das nur am Rande). Dass dieser rassistische Ausfall strafrechtlich verfolgt wurde und der öffentliche Aufschrei groß war, sind gute Nachrichten! Nach den großen Demonstrationen gegen die Vertreibungsfantasien der AfD zu Jahresbeginn sind viele Menschen nicht mehr bereit, den Hass zu ertragen.

Die "Feel Good"-Rassisten auf Sylt wurden angezeigt. Jochen Kopelke, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, sagt: "Jeder kann sehen, was mit Leuten passiert, die volksverhetzende Parolen grölen. Sie werden angezeigt, die Polizei ermittelt, sie verlieren zum Teil ihre Jobs, ihr Ruf ist ruiniert."

Keine Frage: Eine Straftat anzuzeigen, macht Arbeit. Diese Arbeit ist wichtig für die Demokratie, denn nur so werden rassistische Straftaten gezählt und fließen in die Statistik ein. Viel wichtiger – aber auch schwieriger – ist es, dem alltäglichen Rassismus entgegenzutreten. Und laut zu widersprechen, wenn Menschen - etwa auch Verwandte oder Bekannte - zweideutige Witze machen. Oder wenn Leute fernab von Sylt anfangen, völkische Lieder zu singen. Wer die Situation als zu gefährlich einschätzt, um direkt und allein zu widersprechen, kann immer noch Hilfe holen und die Polizei rufen. Oder Bekannte, die mitgegrölt haben, am nächsten Tag zur Rede stellen. "Warum machst du so etwas?"

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Worauf es ankommt, wenn die letzten Klänge von "L’amour toujours" in unseren Köpfen verklungen sind, ist, wachsam zu bleiben. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit lauert überall, in allen Schichten. Und immer wieder müssen wir dieser Ideologie widersprechen.

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Die NZZ bringt es auf den Punkt : " ...Was seither geschieht, kann man nur als kollektiv imaginierte Staatskrise bezeichnen. Deutschland schaltet in den moralischen Overdrive"
Früher hatten kollektiv imaginierte Staatskrisen wenigstens einen ihnen angemessen und ernsten Anlass (Dreyfus-Affäre, Reichstagsbrand etc.). Heute müssen dafür ein paar Besoffene herhalten. Liegt es vielleicht daran, dass man dringend eine landesweit herbeiphantasierte Krise benötigt und keinen bedeutsameren Anlass findet ?

Wenn Besoffene ihre nationale und somit ausländerfeindliche Gesinnung herausgrölen, ist der Alkohol am Grölen schuld. Das völkische Denken kann nicht dem Alkohol zugeschrieben werden. Das haben sich die Damen und Herren Gröler in stocknüchternem Zustand reingezogen.

Fritz Kurz