Vielleicht kennen Sie das. Sie gehen gedankenverloren an einem Samstagnachmittag in Ihrer Stadt spazieren, schauen in die Auslagen der Geschäfte, überlegen, einen Kaffee zu trinken, und sinnieren ein bisschen darüber, was Sie im neuen Jahr alles so erwartet. Da passiert es. Einige Meter vor Ihnen sitzt recht platzgreifend ein Obdachloser, der Sie ganz unmissverständlich um ein Almosen bittet. Schöner Mist!
Armin Falk
Der Abstand ist zum Glück noch groß genug, um mehr oder weniger unauffällig die Straßenseite zu wechseln, um damit dem Bedürftigen auszuweichen. Um sich der moralischen "Prüfung" zu entziehen, ihm entweder einen Geldbetrag zu geben oder sich egoistisch dagegen zu entscheiden. Sie wechseln also die Straßenseite, und obwohl Sie sich damit de facto gegen die "gute Tat" entschieden haben, fühlt es sich irgendwie besser an, als am Bettler vorbeizugehen und ihm nichts zu geben.
Immerzu ringt das Gute mit dem Bösen in uns. Immerzu sind wir hin- und hergerissen zwischen dem eigenen Vorteil für uns und der guten Tat für jemand anderen. Der Alltag ist in dieser Hinsicht eine einzige Zumutung. Was wird nicht alles von uns erwartet? Mehr Spenden, häufiger aufs Auto verzichten, weniger Fleisch essen, sich im Verein engagieren oder die kranke Tante im Altersheim besuchen. Und obwohl wir in der Regel wissen, was wir für uns selbst als richtig und angemessen ansehen, entscheiden wir uns doch oft dagegen. Wieso ist das so? Warum ist es so schwer, ein guter Mensch zu sein? Und wie können wir dem Guten auf die Sprünge helfen?
Testamentsspende: Wie Sie nach dem Tod Gutes tun können
Für unsere Bereitschaft, uns mehr oder weniger moralisch zu verhalten, gibt es viele Gründe. Beschränken wir uns hier auf einen: Menschen möchten geliebt und geachtet werden. Sie streben nach einem guten "Image", möchten vor sich und anderen "gut" dastehen. Der Wunsch nach einem guten Image verleiht unserem moralischen Verhalten Flügel. Wenn andere uns beobachten, sind wir die "besseren" Menschen, helfen mehr, kooperieren eher und spenden häufiger. Viele wissenschaftliche Experimente und Studien belegen das. Sie zeigen auch, wie wichtig uns unser Selbstbild ist. Wir sind auch deswegen weniger egoistisch, weil wir gern von uns denken, dass wir ein guter Mensch sind.
Moralische Buchhaltung
Allerdings erklärt der Wunsch nach einem guten Image auch, warum wir uns häufig gegen die gute Tat entscheiden. Wie das sein kann, will ich an drei Verhaltensweisen erläutern.
Wir vermeiden Handlungen oder weichen Entscheidungssituationen aus, genau wie im Beispiel mit dem Obdachlosen. Offenbar fühlt es sich für uns oft besser an, auszuweichen und nichts zu geben, als dem Bettler zu begegnen und nichts zu geben. Im ersteren Fall können wir uns im Nachhinein sagen, dass wir ja gar nichts geben konnten, da wir ja gar nicht in der Nähe waren. Wir können dann weiter gut über uns denken, obwohl wir uns egoistisch verhalten und das Geld behalten haben. Und auch andere Leute haben uns nicht dabei beobachtet, dass wir einem Obdachlosen nichts gegeben haben. Genau wie das Ausweichen funktioniert auch das Wegsehen und Nicht-wissen-Wollen. Oft können wir sehr leicht mehr darüber in Erfahrung bringen, welche möglicherweise bedenklichen Folgen unser Verhalten hat. Aber wir ziehen es oft vor, die Augen zu verschließen und uns von den Fakten abzuwenden. Nur, um vor uns selbst und anderen behaupten zu können, es ja nicht besser gewusst zu haben. Gut fürs Image, aber schlecht für andere.
Ein zweiter psychologischer Trick, der uns dabei hilft, ein gutes Image zu bewahren, obwohl wir uns egoistisch verhalten, ist die moralische Buchhaltung. Wir halten genau nach, wenn wir moralisch etwas auf der Habenseite verbuchen können. Genau das kann jedoch dann problematisch sein, wenn wir uns weniger verpflichtet fühlen, etwas wirklich relevant Gutes zu tun, weil wir gerade eine "Miniwohltat" begangen haben. Die kleine symbolische Wohltat macht mich immun gegen moralische Zweifel, zum Beispiel, wenn die Blaubeeren aus Peru oder das Rinderhack in einer Jutetüte verpackt wird. Seht her, ich tu ja das Richtige! Schlechtes kommt ironischerweise auch deswegen in die Welt, weil wir viele kleine gute Dinge tun. Dinge, die uns nicht viel kosten. Hab doch schon gezeigt, wie toll ich bin! Wieso in der Flüchtlingsunterkunft oder bei der Tafel helfen, wenn ich doch gerade durch meine Ein-Euro-Spende gezeigt habe, was für ein famoser Kerl ich bin?
Eine dritte Strategie ist das Erzählen von halb- oder unwahren Geschichten. Geschickt gewählte Geschichten ermöglichen ein kleines Wunder: etwas Egoistisches zu tun, ohne das Selbstbild zu gefährden. Bleiben wir beim Obdachlosenbeispiel. Welche Geschichten könnten Ihnen in den Kopf kommen? Sie könnten sich beispielsweise sagen, dass er von Ihrem Geld ohnehin bloß Bier kaufen würde, dass Spenden ihn davon abhielten, sich eine anständige Arbeit zu suchen, oder dass er am Ende vielleicht gar nicht bedürftig sei. Im Grunde wäre es also besser, nichts zu geben! Oder denken Sie an Ihre nächste Flugreise, die Sie planen, die Ihnen aber wegen des Klimawandels Bauchschmerzen bereitet. Wieso nicht eine der vielen Klimalügengeschichten anführen und weitererzählen, etwa dass der Klimawandel ja nicht bewiesen sei, dass er ein natürliches Phänomen sei oder dass man eh nichts dagegen machen könne. Gerade Geschichten, die unsere angebliche Unzulänglichkeit belegen, sind gefährlich. Denn ich kann ja nie die ganze Menschheit retten. Und dennoch ist es richtig, wenn ich meinem kranken Nachbarn helfe.
Vielleicht kommen Ihnen diese Strategien bekannt vor. Letztlich funktioniert der Trick aber nur, weil wir uns etwas vormachen. Wir konstruieren eine Wirklichkeit, in der wir gut aussehen, auch wenn wir uns nicht besonders großzügig verhalten. Aber muss das so sein? Sind wir unseren eigenen Tricks ausgeliefert? Natürlich nicht! Wer möchte, kann einfach rauskommen aus der selbst erschaffenen Wohlfühlecke, in der wir es uns trotz egoistischen Verhaltens mit einem guten Selbstbild gemütlich machen. Wer so sein möchte, wie er es eigentlich von sich erwartet, der muss sich ehrlich machen.
Wir müssen wissen wollen. Oft verschließen wir die Augen vor den Konsequenzen unseres Handelns, um uns nachher sagen zu können, wir hätten es nicht besser gewusst. Wenn wir uns ehrlich machen, erkundigen wir uns über die Folgen unseres Tuns, wir sammeln Informationen und denken über Handlungsoptionen und Alternativen nach. Sich ehrlich machen heißt, Entscheidungen nicht auszuweichen. Sich mit den Problemen zu konfrontieren und Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen. Vielleicht scheitert man dann in der jeweiligen Situation und gibt – bildhaft gesprochen – dem Bettler dennoch nichts. Aber scheitern ist ehrlich. Wer ausweicht, kann nicht einmal scheitern, er oder sie hat sich immer schon gegen das Gute entschieden.
Macht euch ehrlich!
Sich ehrlich machen heißt auch, auf Tricks wie moralische Buchhaltung, Greenwashing oder Virtue Signaling zu verzichten. Virtue Signaling bedeutet, dass man symbolische Handlungen vollzieht, die die eigene Tugendhaftigkeit signalisieren sollen. Etwa auf Twitter eine politisch korrekte Meldung likt oder retweetet oder im Café einen auffälligen Bambuskaffeebecher zur Schau stellt. Oder auf der Party erzählt, dass man seine CO2-Emissionen kompensiert. Schön daherreden ist leichter als wirklich Gutes tun.
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So tun "als ob" ist ein mächtiger Feind der guten Tat. Sich gefallen in schönen Reden, symbolischen Handlungen oder gut in Szene gesetzten Miniwohltaten hat eben so gar nichts mit gutem Verhalten zu tun. Und schließlich: keine billigen Ausreden und falschen Geschichten erzählen. Wer sich ehrlich macht, muss Lügen als Lügen entlarven, darf sich und anderen keinen Mist erzählen. Und er oder sie darf Lügengeschichten auch nicht auf Social Media teilen, weil auch das den Lügen Legitimation verschafft und weitere Menschen zu falschem Verhalten verleitet.
Gutes tun ist eine Handlung, eine Entscheidung, und jede Entscheidung zählt. Und vergessen wir nicht: Wer wir sind, bestimmen wir dadurch, was wir tun. Machen wir uns ehrlich!
Eine erste Version des Textes erschien am 9. Janaur 2023.
Ehrlich machen/sein
Falk: "Gutes tun ist eine Handlung, eine Entscheidung, und jede Entscheidung zählt. Und vergessen wir nicht: Wer wir sind, bestimmen wir dadurch, was wir tun. Machen wir uns ehrlich!"
Mensch ist NICHT der "Einzelne/Individualbewusste", Mensch bedeutet IMMER ALLE / eine Gemeinschaft in globalem Gemeinschaftseigentum ("wie im Himmel all so auf Erden") OHNE wettbewerbsbedingt-konfusiinierte Symptomatik / eine Gemeinschaft OHNE "Wer soll das bezahlen?", OHNE heuchlerisch-verlogene "Freiheit" in/zu unternehmerischen Abwägungen von/zu "Ökonomie" in "Arbeit macht frei" (Ökonomie ist erst, wenn alles fast unendlich teilbar organisiert ist), OHNE Steuern zahlen, OHNE manipulativ-schwankende "Werte", OHNE irrationalen Zeit-/Leistungsdruck zu einer Karriere von Kindesbeinen, OHNE Regierungen in parlamentarisch-lobbyistischem Marionettentheater von "treuhänderischen Demokraten" durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck, usw., auf der Basis eines UNKORRUMPIERBAREN Menschenrechts zu KOSTENLOSER Nahrung, MIETFREIES Wohnen und ebenso KASSEN-/KLASSENLOSER Gesundheit.
Mensch bedeutet wirklich-wahrhaftige Möglichkeiten in zweifelsfrei-eindeutiger Vernunft und Verantwortungsbewusstsein / in Kommunikation von/zu geistig-heilendem Selbst- und Massenbewusstsein, OHNE die heuchlerisch-verlogene Schuld- und Sündenbocksuche im gleichermaßen imperialistisch-faschistischen Erbensystem / OHNE Bewusstseinsbetäubung im "Recht des Stärkeren" / im "Tanz um den heißen Brei"!
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Miniwohltaten
Das ist doch ein entlarvender Begriff! Die Ungerechtigkeit ist im System festgeschrieben, und der Euro, den ich nicht dem Bettler, sondern dem Straßenmusikanten gebe, ist auch "nur" als Anerkennung gedacht.
Weil hier auch das Recht auf freie Ernährung genannt worden ist, möchte ich die #Biolebensmittelgrundversorgung nennen, mit der für Natur und Bedürftige gleichfalls eine Wohltat "sprudeln" könnte.
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