Michael Dietrich Düllmann
Ein Bonner Rentner klagt gegen die Stadtkirche in Wittenberg: Michael Dietrich Düllmann, 79
Uli Deck/dpa/Picture Alliance
Wittenberger "Judensau"
"Ich teste die deutsche Gesellschaft"
Die Wittenberger Stadtkirchengemeinde will die "Judensau" nicht abnehmen. Interview mit Michael Düllmann, der dagegen klagt
Ruthe Zuntz
26.10.2022
9Min

Was bringt Michael Düllmann eigentlich so auf? Unter Einsatz eines Gutteils seiner Ersparnisse klagt der zum Juden­tum konvertierte Ex-Protestant seit 2019 gegen die evangelische Stadtkirchengemeinde in Wittenberg: Sie soll die "Judensau" an ihrer historischen Kirche entfernen.

Düllmann lebt in Bonn in einem sechsstöckigen Betonblock mit Außenflur. In den vollgepackten Regalen seines kleinen Wohnzimmers stehen jüdische Ritualschriften, ein siebenarmiger Leuchter, ein Schofar (ein Widder­horn und rituelles Blasinstrument) und andere Souvenirs aus Israel, außerdem Werke wie "Juden in Niedersachsen", "Ärzte im Dritten Reich" und "Atommacht Israel". Auf dem Tisch ein deutsch-hebräisches Wörter­buch, ein jüdischer Kalender, Fachliteratur zur Wannseekonferenz, zu Israels Krieg von 1973 und Götz Alys "Endlösung". Wenn der 79-jährige Rentner mit dem vollen weißen Haar, den schmalen Lippen und dem markanten Kinn in Fahrt kommt, ist er kaum zu bremsen.

chrismon: Was stört Sie an einem Relief, das 560 Kilometer von Ihnen entfernt ist?

Michael Düllmann: Ich las in der "Jüdischen Allgemeinen Zeitung" über eine Demonstra­tion von Christen in Wittenberg. Sie forder­ten die Abnahme der "Judensau" von der Wittenberger Stadtkirche. Das hatte mit dem 500-Jahr-Jubiläum der Reformation zu tun. Ich war elektrisiert: Luther, "Judensau", kirchlicher Antisemitismus – da gehörst du hin. Ich fuhr hin und fand Zeit, mir die Kirche ­innen und außen anzusehen, auch Lutherhaus und Schlosskirche, wo der Thesenanschlag war.

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Michael Düllmann

Michael Düllmann, geboren 1943, hat Theologie studiert und viele Jahre in unterschiedlichen Industriebetrieben gearbeitet. Mit 50 Jahren hat er sich zum Altenpfleger umschulen lassen und in der Gerontopsychiatrie gearbeitet. Er war in der Friedensbewegung aktiv und hat die Grünen in Bonn mitgegründet.

Spielt da der Zweite Weltkrieg eine Rolle?

Ich bin im Krieg geboren. Meine erste Erinnerung war die Bombardierung von ­Halberstadt. Wir saßen im Keller und fürchteten um unser Leben. Danach fand ich ein ­ruiniertes Deutschland vor. Mein Vater geriet in ­russische Gefangenschaft, meine Mutter erkrankte 1946 an Tuberkulose. Ich ging durch fünf verschiedene Pflegefamilien.

Waren Sie gläubig?

Ja, weil ich schon als Kind mit der Bibel verwachsen war. Obwohl ich bis 1953 in ­eine DDR-Grundschule ging. Wir erhielten ­Religionsunterricht nachmittags von einem Religionslehrer aus einem Nachbardorf. Wir hatten eine große Familienbibel in gotischer Schrift, Frakturschrift. Die verschlang ich.

Wie kamen Sie zu Ihrer Israelbegeisterung und zum Judentum?

Mit 13 Jahren war ich begeistert von der ­Sinai-Kampagne 1956 und vom Vormarsch der israelischen Panzer bis zum Suez­kanal. Ich hatte eine israelische Zeitschrift auf Deutsch abonniert, das "Israel Forum". Sie informierte mich ausführlich und umfassend, auch über die Geschichte der Juden im Dritten Reich und was im Weltkrieg passiert war. In meiner Wolfenbütteler Gymnasialzeit gab mir die Lyrik von Paul Celan und Nelly Sachs den Anstoß, mich mit der Schoah zu beschäftigen.

1963 haben Sie den Wehrdienst verweigert.

Ich war entsetzt über das, was ich über die NS-Zeit zu lesen bekam. Als ich verweigert habe, musste man noch vor einem Komitee erscheinen. Da gab es diese berüchtigte Fangfrage: "Was tun Sie, wenn ein Russe Ihre Frau mit dem Gewehr erschießen will? Greifen Sie dann nicht auch zur Waffe?" Darauf habe ich gesagt: "Das ist eine rein hypothetische Frage. Wer auf diese Frage eine Antwort weiß, der lügt!"

Hätten Sie denn in Israels Armee gedient?

Als ich ab 1971 dreieinhalb Jahre in Israel lebte, habe ich mehrmals darüber nachgedacht, selbstverständlich. Mein Antrag in ­Israel war ja, jüdisch zu werden, und es war für mich klar, dass dazu auch der Dienst in der Armee gehört.

"Die Gerechtigkeit Gottes ist Zionismus"

Sie studierten Theologie. 1968 zerstörten Sie in ­einer Wolfenbütteler Kirche vier Ehren­tafeln für Wehrmachtssoldaten mit einer Axt.

In der Zeit fuhr ich mit dem Fahrrad die Re­gion um Wolfenbüttel ab und schaute mir alle Kirchen an mit dem einzigen Interesse: Was wird hier zu den Weltkriegen gesagt? Ich war entsetzt. Mit dem Evangelium hatte das Ehrengedenken überhaupt nichts zu tun. Ich war entschlossen, die Kirche auf die Probe zu stellen.

Und zwar wie?

Ich habe ein großes Flugblatt verfasst, mit dem Titel: "Endlösung und Völkermord in der St.-Trinitatis-Kirche". Und auf der anderen Seite meine theologische Position: "Die Gerechtigkeit Gottes ist Zionismus und Messianismus."

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Wie verlief Ihre Protestaktion?

Erst hatte ich Gespräche mit dem Propst in der Trinitatiskirche. Als ich merkte, die wollen nicht – wie in Wittenberg heute –, schritt ich zur Tat. Im Gottesdienst am Heldengedenktag oder Volkstrauertag stieg ich auf die Kanzel und begann meine Ansprache. Die Trinitatis­kirche war eine Garnisonkirche, in der das ­Militär Gottesdienste feierte. Ich begann also mit meiner Antikriegsrede gegen den ver­logenen Volkstrauertag und das falsche Gedenken an Soldaten, die mordend durch Europa gezogen waren.

"Man trieb uns mit Fußtritten aus der Kirche"

Wie haben die Anwesenden reagiert?

Empört, entsetzt. Der Pfarrer gab dem Organisten ein Zeichen, mit vollem Werk loszu­legen. Meine Freunde warfen Flugblätter von den Emporen. Ein paar Männer stürmten die Kanzel, zerrten mich herunter, sie zerrten auch meine Freunde von der Empore. Man trieb uns mit Fußtritten aus der Kirche und schloss hinter uns die Tür. Wir verteilten die Flugblätter dann in der Stadt.

Kam die Polizei?

Nein, überhaupt nicht.

Also machten Sie eine Woche später am ­Vorabend des Totensonntags weiter.

Da war ich allein. In der Marienkirche in ­ Wolfenbüttel, der ältesten protestantischen Großkirche überhaupt, verherrlichten ­schlimme Tafeln den Krieg und verglichen den Soldatentod mit dem Tod Jesu Christi.

Und die haben Sie mit einer Axt zerlegt?

Samstagabend ließ ich mich einschließen. Als es dunkel war, begann ich, die hölzernen Gedenk­tafeln zu zerschlagen. Kurz vor Mitter­nacht kam die Küsterin, um die Heizung für den Gottesdienst anzumachen. Ich ­stellte mich vor und sagte: "Ich habe mein Werk getan und wünsche Ihnen noch einen guten Abend." Die Tür war ja nun auf. Ich bestieg sofort den ersten Zug nach Hamburg.

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Welche Konsequenz hatte die Tat für Sie?

Beide Kirchen erstatteten Straf­anzeigen. Zu meinem Erstaunen war mein größter Verteidiger beim Prozess im März 1969 der Staats­anwalt selbst. Es war die Wendezeit vom restaurativen Adenauer-Zeitalter zu Willy Brandt. Meine Strafe war milde: sechs Monate Gefängnis auf Bewährung. Die Trinitatis­kirche verzichtete auf eine Anzeige wegen Sachbeschädigung, und die Marienkirche hatte nicht die mindeste Lust, die Tafeln auf meine ­Kosten wiederherzustellen.

Warum gingen Sie1971 nach Israel?

Ich las in der "FAZ" eine Anzeige: "Suchen Freiwillige für Kibbutz-Einsatz". Da habe ich mich gemeldet und landete im Kibbutz Dovrat am Berg Tabor.

Haben Sie als Deutscher Vorbehalte erlebt?

Eine gewisse Scheu: Was ist das für einer? Ein Kibbutz lehnte mich ab. Die Mitglieder waren Juden aus Polen und Belarus, die Schlimmstes erfahren und die meisten ihrer Angehörigen verloren hatten.

Wann beschlossen Sie, jüdisch zu werden?

In Israel am jüdischen Neujahrsfest der ­Bäume. Wir machten einen Spaziergang. Alles blühte wunderbar.

"Die Figur diffamiert Juden als Nichtmenschen"

Warum sind Sie nicht gleich in Israel übergetreten?

Das Rabbinat lehnte mich ab, verlangte etwa, dass ich in einen religiösen Kibbutz wechsle. Die Stimmung und Mentalität unter den Jüngeren dort gefiel mir aber gar nicht. Das waren alles religiöse Nationalisten. Ich entschloss mich 1975, nach Deutschland zu gehen. Ich habe dann 1978 bei einem ­Überlebenden von Auschwitz meinen ­Giur (den Übertritt zum Judentum) vollendet. Die Beschneidung fand in einer Klinik in Bonn statt.

Und bald gab es Krach mit der jüdischen ­Gemeinde.

Das war 1982 beim Libanonkrieg. Ich ging auf die Straße unter dem Banner "Bonner Juden gegen Israels Krieg im Libanon". Das löste ­Ärger in der Gemeinde aus, nicht bei allen. Dass ein Jude öffentlich gegen einen Krieg Israels demonstrierte, war dort ein Skandal.

Hintergründe zu "Israel im Krieg" finden Sie auf unserer Themenseite

Nun kämpfen Sie gegen die "Judensau" in Wittenberg.

Sie diffamiert Juden als Nichtmenschen, Teufels­kinder und bringt sie in obs­zönster Weise mit Sodomie, Analverkehr und Schweinen in Verbindung. Die Skulptur selbst gibt nicht zu erkennen, dass die Figur hinter der Sau ein Rabbiner ist. Dazu wurde sie erst mit Luthers Überschrift "Rabini Schem HaMphoras", die die rabbinische Erklärung des Gottesnamens als Schweinedreck diffamiert.

Die "Judensau" hängt zwar hoch am Portal, aber sie ist von unten gut zu sehen

Sie fanden noch mehr Antijüdisches in der Stadtkirche.

Das berühmte Cranach-Bild im Chorraum zeigt Judas pauschal als "den Juden". Nur sein Gewand ist gelb, die Signalfarbe für Juden, sein Gesicht teuflisch. Die Jünger Jesu drum herum sind alle Wittenberger Honoratioren, Ratsmänner, auch Luther als Apos­tel Jesu. Das Bild stigmatisiert die Juden als Verräter.

Beim Festakt zur 500-Jahr-Feier der Re­formation am 31. Oktober 2017 haben Sie dagegen protestiert.

Die gesamte deutsche Staatsspitze war in der Schlosskirche, Bundeskanzlerin, Bundespräsident, Bundestagspräsident, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. In der Stadtkirche war niemand. Da stand ich allein mit meinem Plakat: "Was will diese Kirche sein? Kirche des Evangeliums oder ‚Judensau‘-Kirche?"

"Das Bodendenkmal ist eine Lebenslüge"

Eine Bodenplatte unterhalb des Schmäh­reliefs erinnert an den Holocaust. Macht es den Ort nicht zum Mahnmal gegen Anti­semitismus?

Überhaupt nicht. Das Bodendenkmal ist ­eine Lebenslüge. Wie kann man der Schoah mit christlichen Symbolen gedenken? Die ­bronzene Platte bricht zu vier Platten auf und bildet so ein Kreuz. Die Umschrift besagt, Gottes ­Name sei in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen gestorben. Die Juden kamen aber mit einem Davidstern in ­Ausch­witz an! Die Mörder, die fast alle Christen ­waren, die haben vielleicht unter einem Kreuz gehandelt, die Juden aber nicht. Und woher weiß die Kirche, dass Gottes Name gestorben ist? Die Kirche drückt sich vor der einfachen, klaren Aussage, dass hier Menschen ermordet wurden und nicht Gott!

"Das Schmähwerk hat nur diesen Zweck: Antisemitismus verkünden"

Was fordern Sie?

Die Abnahme der "Judensau" und ihre Überstellung in ein Museum, am besten ins Lutherhaus, wo auch die Kanzel, von der Luther Antisemitismus predigte, und Luthers anti­semi­tische Originalschriften sind. An der Kirche ist die "Judensau" Teil kirchlicher Verkündigung. Und es ist doch ganz klar, dass dieses Schmähwerk nur diesen Zweck hat: Antisemitismus zu verkünden. Mit der Kirche als Mega­fon. Die Schoah ist Ergebnis dieser jahrhundertelangen Verhetzung eines ganzen Volkes.

50 jüdische Kunst- und Kulturhistoriker ­sagen, ein Bildersturm stoppe nicht den Antisemitismus. Beweise vor Ort seien "ein gutes Instrument der Bildung". Stimmt’s?

Das überzeugt mich, unter einer Bedingung: Die gesamte Wittenberger Stadtkirche wird zum Museum des Antisemitismus erklärt und als Kirche entwidmet.

Die jüdische Gemeinde in Regensburg argumentiert, in einem Museum wäre die Schmähplastik nur für ein gezieltes, interessiertes Publikum sichtbar. An der Kirche sei sie eine Mahnung für alle.

Nach 700 Jahren antijüdischer Verhetzung soll eine kleine Erklärtafel jetzt plötzlich das Umgekehrte bewirken? Das ist ja lächerlich!

Die Unesco erkannte 1996 die Luthergedenkstätten in Wittenberg, unter anderem auch die Stadtkirche, als Kulturerbe der Menschheit an.

Eine Kommission der Unesco war in Wittenberg und hat sich die Kirche angesehen. Sie hat alles von der Stadtkirche aufgenommen, innen und außen, und mit Skizzen festgehalten. In diesem Antrag wurden aber die "Judensau" und das Bodendenkmal komplett verschwiegen. Die Unesco wurde getäuscht.

"Mir geht es um eine gesellschaftliche Veränderung"

Bekommen Sie für Ihre Haltung Drohungen?

Nein, ich habe aber gar kein Internet. An mir geht das vorbei.

Haben Sie keine Angst?

Nein, aber ich bin nicht naiv.

Aber Sie lassen sich nicht entmutigen.

Nein, überhaupt nicht. Ich teste mit der Haltung zur "Judensau" die deutsche Gesellschaft, Justiz und Politik und auch den Zentralrat der Juden in Deutschland.

Geht es Ihnen auch um andere "Judensäue"?

All diese Skulpturen stammen aus katholischer Zeit. Die protestantischen Kirchen ­haben kommentarlos den Antijudaismus übernommen, Luther sogar noch viel heftiger. Das Problem betrifft ganz Deutschland.

Wurde jemals eine "Judensau" abgenommen?

Zu Mozarts Zeit hat der Erzbischof von Salzburg eine "Judensau" vom Dom ­entfernen lassen. In Bad Wimpfen bei Heilbronn hat man in den 1980er Jahren die verwitterte ­"Judensau" ins Stadtmuseum gestellt. Ein Steinmetz machte eine neue "Judensau". Sie hängt nun da für die nächsten 700 Jahre.

Haben Sie mal überlegt, die Axt wieder einzusetzen?

Nein. Mir geht es ja jetzt um eine gesellschaftliche Veränderung. Und da gehe ich den ­juristischen Weg. Den muss ich jetzt auch bis zum Ende gehen, und wenn es bis Straßburg lange dauert.

­"Auch die katholische Kirche in Wittenberg könnte sich mal zu dem Thema äußern"

Dafür verwenden Sie einen Großteil Ihrer Rente.

Bisher reichten meine 1200 Euro Rente für die 12 000 Euro Ausgaben. 7000 Euro wurden mir gespendet.

Die Stadtkirchengemeinde von Wittenberg hat gerade entschieden, die Plastik nicht abzunehmen.

Das überrascht mich nicht. Aber warum hat der Kirchenvorstand eine Expertenkommission eingeladen, wenn sie deren Empfehlung dann doch nicht folgen? Auch die katholische Kirche in Wittenberg könnte sich mal zu dem Thema äußern, schließlich stammt die Plastik aus katholischer Zeit. Auch die evangelische Akademie in Wittenberg sollte sich äußern. Und was sagt eigentlich der evangelische Landesbischof Kramer dazu? Auch die EKD hält sich zurück. Das ist skandalös.

Sie ziehen jetzt in vierter Instanz vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe. Was erhoffen Sie sich davon?

Seit Anfang August liegt meine Beschwerde dem Bundesverfassungsgericht vor. Bis jetzt haben sie die Beschwerde nicht zurückgewiesen. Das deute ich als gutes Zeichen. Wenn das Bundesverfassungsgericht ent­scheidet, dass die "Judensau" von der Wittenberger Kirche abgenommen werden muss, dann ist das verfassungsrechtlich für alle Kirchen mit solchen Skulpturen maßgeblich.

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Das Wittenberger Relief

Die "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche von 1290 ist ein Schmährelief: eine Sau, an deren Zitzen jüdische Kinder saugen. Eine als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz und blickt in den After. Später wurde der Titel von Luthers antijüdischer Hetzschrift "Schem Hamphoras" von 1543 ergänzt, Hebräisch für den unaussprechlichen biblischen Eigennamen Gottes.

1988 rang die Kirchengemeinde der "Mutterkirche der Reformation" dem DDR-Staat ab, dass sie eine mahnende Bodenreliefplatte unter dem Relief anbringen durfte: "Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem HaMphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen." Darüber steht in hebräischer Schrift der Anfang von Bußpsalms 130: "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir". Eine Expertenkommission hat nun, mehr als 34 Jahre später, empfohlen, das Schmährelief zu entfernen und in einem Museum auszustellen.

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Das Schmähmotiv

Schweine gelten im Judentum als unrein. Schon altkirchliche Theologen wollten mit ihren Beleidigungen Juden an einer besonders empfindlichen Stelle treffen. Die Nazi-Propaganda griff von Christen geprägte Begriffe wie Judenschwein oder Saujude auf.

"Judensäue" gibt es an 48 Orten in Europa: in Köln, Erfurt, Nürnberg, Colmar, Metz, Basel, Bayreuth, Bad Wimpfen, Magdeburg, Salzburg, Wien, Xanten und Frankfurt. Zwei Drittel von ihn sind in Deutschland.

Seit dem 13. Jahrhundert zeigen Reliefs und Skulpturen Juden in Kontakt mit Schweinen, oft wenig auffällig an Wasserspeiern oder Säulenkapitellen oder als Schnitzarbeiten im Chorgestühl. In St. Marien, Lemgo, kniet unter der Westempore eine Sandsteinfigur mit Spitzhut und umarmt ein Schwein. In Regensburg beschlossen Diözese, jüdische Gemeinde und Denkmalschutzbehörde Ende September, eine Erklärtafel vor einem 700 Jahre alten Judensau-Relief außen an der Südseite des Doms anzubringen – vergleichbar mit der Bodenreliefplatte an der Wittenberger Stadtkirche.

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Die Motive von Herrn Düllmann in allen Ehren. Die Deutsche Gesellschaft testen. Kann es es nicht noch größer sein? Die ganze Welt testen ginge doch auch. Die Geschichte war unbarmherzig. die Zukunft wird es auch sein. Und der Holocaust wird bis auf weiteres das größte denkbare Verbrechen sein. Wir müssen es ertragen. Ägypter und Römer habe doch damit begonnen. Andere Völker waren ebenso davon betroffen. Man darf auf keinen Fall den Holocaust relativieren. Er war zu schrecklich und? Unchristlich! Rom hat mit ihm als Rache für den Tod Jesu begonnen. Das Denken und Handeln kannte bisher keine Grenzen. Auch die jüdische Gesellschaft kann man testen und fragen, was denn dort noch alles verborgen ist. Aber allein diese neutrale Frage ist ja bereits grenzwertig. Ich gebe ihm Recht. Jede Verherrlichung der Gewalt, und wenn sie auch nur durch Andenken geschieht, ist moralisch zwiespältig. Aber die Geschichte mit dem Beil zerschlagen ist vergeblich. Wer mit der Rache beginnt, kann nie aufhören. Sie erzeugt lediglich, wie die Blutrache, eine Endlosigkeit.

3 X gelesen und keine Zurückhaltung mehr. Die Skulptur ist ein Ärgernis. Das Ärgernis wird vielfältig auch ohne uns täglich erneuert. Maßlose Idealisten mit dem Anspruch alle testen zu dürfen, sind eine Gefahr.. Besteht wer vor den Augen von H. Düllmann nicht, kommt das Urteil. Was ist, wenn er oder ein Anderer seinen Scharfsinn auch auf politische Ziele richtet? Ein ganzes Volk, am besten noch jeden Einzelnen, testen. Er selbst das BVG? Wir haben unseren Richter gefunden. Auch Despoten praktizieren solche absoluten Ansprüche. So wird das neuzeitliche Christentum mit den so häufig beklagten modernen Auslegungsvarianten zum Segen und Schutz vor selbst ernannten "Idealisten", von denen man nicht wissen kann, was sie mit "Macht" tun würden.

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Gesetzt den Fall, dass BVG folgt ihm. Was hat er dann davon? Und wenn sie es denn nur hypothetisch tun, es wird Evangelikale geben, die auch im Bemühen um abslolute Wahrheit fordern, dass der Tod Jesu durch die Juden (obwohl die Verallgemeinerung falsch ist) durch einen Mordprozess und Urteil gesühnt werden muß. Wer das Recht auf die Spitze treibt, wird einsam.

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Ich wurde in der Wittenberger Stadtkirche getauft und konfirmiert und wahrscheinlich habe ich in keiner Kirche mehr Gottesdienste besucht. Drinnen wird der Jude Jesus verkündigt - draußen, an der Außenseite des Altarraumes, wird er verhöhnt. Das will mir nicht in den Kopf und ich finde es gut, dass Michael Düllmann sich nicht beirren lässt. Nun hat gerade eben der Wittenberger Gemeindekirchenrat beschlossen - gegen das Votum des von ihm selbst bestellten Expertenrates -, dass doch alles gut so sei, wie es ist und so bleiben könne. Das ist peinlich und beschämt mich. Da hilft nur weitermachen, weiter klagen und weiter argumentieren, auch wenn es noch lange nötig sein sollte. Von Verstocktheit weiß ja schon die Bibel reichlich zu erzählen.

Antwort auf von Uwe-Karsten Plisch (nicht registriert)

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Das ist doch Schattenboxen gegen sein eigenes Bild im Spiegel. Der Tod Jesu war, wenn man AT+NT Glauben schenkt, ein göttlicher Auftragsmord am eigenen "Sohn". Vorhergesagt und vollzogen. Spätestens an jedem Karfreitag wird hierfür die nie tilgbare angebliche Schuld der Juden gepredigt. Die tägliche Gewohnheit wirkt seit ca. 1600 Jahren. Purer Antisemitismus. Lt. Christlicher Lehre war es kein irre geleiteter jüdischer Mob. Luther für die bildliche Diffamierung verantwortlich zu machen, ist falsch. Er und Alle sind bis heute Opfer des Widerspruchs, der offensichtlich sadistische menschliche Eigenschaften hat. Die Kurie (zumindest ihr bestimmender Teil) war schon immer eine Furie, die die Werte des Christentums nach Belieben manipuliert hat. Ein Mißbrauch von Gott. Kinderkreuzzüge, Heilige Kriege. Andere Religionen können das auch.

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Und bitte nicht vergessen, die gesamte Religionsstiftung beruft sich auf diese aberwitzigen und konstruierten Zusammenhänge. Welcher Theologe kann uns von diesem Wirrwarr befreien und dem Glauben an das Gute wieder ein menschliches Fundament geben?